# taz.de -- Das zweite A ist endlich wiedergefunden | |
> ■ Nach jahrelangem Drittliga-Elend darf Alemannia Aachen wieder gegen | |
> Mönchengladbach und den 1. FC Köln spielen, doch zunächst gibt es heute | |
> abend eine Messe für den verstorbenen Trainer | |
Aachen (taz) – Spektakuläre zehn Siege in Folge, soeben den Aufstieg in die | |
2. Liga geschafft, und Aachens Präsident Wilfried Sawalies war „ziemlich | |
traurig, wie schnell die Trauer verschwunden war“. Er sprach von Ehrfurcht, | |
von „stillem Gedenken“ und von seiner Angst, daß die Fans in der Nacht | |
womöglich „jubelnd durch die Stadt ziehen“. Taten sie nicht. Alle wußten, | |
welch bizarrer Triumph das sonntägliche 2:0 bei der SpVgg Erkenschwick war. | |
Nur fünf Tage vorher, kurz nach dem weichenstellenden 1:0 gegen | |
Mitkonkurrent Preußen Münster, war der hochbeliebte Trainer Werner Fuchs | |
(50), scheinbar kerngesund, beim Waldlauf mit dem Team tot | |
zusammengebrochen. Aus verzückter Aufstiegseuphorie wurde | |
Fassungslosigkeit. Fuchs war Trainer, Sportdirektor, Planer und gute Seele | |
in einem und hatte in Aachen den Ruf eines Fußball-Heiligen. In | |
Erkenschwick wurde von fast zehntausend mitgereisten Aachenern, alle mit | |
Trauerflor am Arm, zwar angefeuert und gesungen ( „der Trainer hätte es so | |
gewollt“); aber als die Tore fielen gegen einen pietätvoll zurückhaltenden | |
Gegner, blieben so manche sitzen und heulten Rotz und Wasser. | |
Alemannia war einmal eine Fußballmacht, das Tivoli-Stadion galt als | |
Fußballfestung wie der Betzenberg. Sensationell Deutscher Vizemeister 1969. | |
Dann der Abstieg. Fast 30 Jahre lang hieß vor einer jeden Saison das | |
erklärte Ziel: Aufstieg. Geklappt hat es nie. Zwischendurch, 1989, ging es | |
sogar noch eine Liga tiefer. Alemannia drittklassig: Das sei, meinte einer | |
damals, als hätte man dem Stadtnamen ein A gestohlen. | |
Aachen ist Sportdiaspora. Wer hat schon Sinn für Turmspringen, | |
Formationstanz, Dressurreitdramatik? Bleibt nur die Alemannia. Und was | |
haben deren Freunde nicht alles ertragen müssen: erst einen | |
Nato-Viersternegeneral als Präsidenten, dann den örtlichen Marmeladenkönig. | |
Zeitweilig die Unterwanderung der Fanszene durch Rechtsradikale, die im | |
Vereinstrikot Nazi-Treffen besuchten. In Liga 3 war die Liaison zwischen | |
Trainer Winfried Hannes und der miniberockten Vizepräsidentin Gaby Mohne | |
(Tribünenchoräle: „Für Gaby tu ich alles“) bisweilen spannender als die | |
tölpelhafte Kickerei. Und schließlich beendete auch noch Publikumsliebling | |
Günter Delzepich, eine Art Zweimeter-Zweizentner-Zweitliga-Briegel, seine | |
preßschlagreiche Karriere. | |
Noch im vergangenen Sommer ruinierte der Schmachtgeiger André Rieu den | |
Tivoli-Rasen, zwei Heimspiele mußten in der Provinz ausgetragen werden. Nun | |
will die Stadt das anerkannt schlechteste Geläuf jenseits aller Kreisligen | |
grunderneuern. Die plötzliche Siegesserie ab März wurde begleitet von einer | |
hochvirulenten „Alemanie“ (Lokalzeitung), einer „richtigen Volksbewegung�… | |
(Präsident): gegen Kracher wie den SC Verl kamen 17.000 und gegen Münster | |
22.500 (Ligarekord). Jetzt wartet eine 2. Liga, die attraktiv wird wie nie | |
mit den Nachbarn Gladbach und 1. FC Köln. Und was in dem maroden | |
Tivoli-Fossil jetzt schon abgeht! „Tribünenathletik“ attestierte das | |
Fachblatt Reviersport: eine mitreißende Mischung in klaustrophobischer Enge | |
aus pausenfreiem Schunkeln, aus Gesängen, Olas und ständigen Aufständen | |
aller, die da Aachener sind. „You never stand alone“: Rote Feuerleuchten. | |
Blaskapellen. Wildgewordene Ehrengäste bei der Handarbeit. | |
Dabei spielte die Mannschaft mit ihrer vabanquösen Viererkette selten | |
überzeugend, manche Siege gerieten fast schon beschämend. Das Delzepichige | |
ist Alemannias Prinzip: Ackern, rackern und wühlen mit leidenschaftlichem | |
Willen. Stellungsfehler scheinen mit Absicht gemacht, damit die Nebenleute, | |
jeder einzelne zäher als ein Stück Walspeck, sie wieder umjubelt auswetzen | |
können. Optimisten meinen, man brauche in der 2. Liga nur vier bis fünf | |
neue Leute. | |
Seit Sonntag abend hängt ein großes Foto von Werner Fuchs am alten Rathaus, | |
wo sie eigentlich alle eine Riesenparty steigen lassen wollten. | |
Den Platz vor der Geschäftsstelle haben die Fans jetzt zu einer Art Altar | |
umgebaut: Hunderte Blumengebinde, Grableuchten, Teddybären; davor stehen in | |
Schweigen versunkene Anhänger, manche betend. „Es ist schon komisch“, | |
schrieb einer ins überquellende Internet-Kondolenzbuch, „jemanden so zu | |
vermissen, den man gar nicht persönlich gekannt hat.“ Heute abend endet der | |
seltsame Aufstieg mit einer Messe im Aachener Dom. Präsident Sawalies: „Ich | |
bin überwältigt, daß das für unseren Freund Werner Fuchs möglich ist. Eine | |
Trauerfeier im Dom kriegt sonst nur ein Bischof.“ Bernd Müllender | |
18 May 1999 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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