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# taz.de -- „Wie Sauerkraut“
> ■  Nordirlands Friedensprozeß ist zugleich unumkehrbar und ungenießba…
> Interview mit Bernadette McAliskey, katholische Aktivistin in Nordirland
taz: Vor drei Jahren sagten Sie, daß Sie gegen den Friedensprozeß in
Nordirland seien, weil dadurch keines der Ziele erreicht werde. Wie sehen
Sie das heute?
McAliskey: Meine Einschätzung hat sich nicht geändert, worüber ich
allerdings nicht sonderlich erfreut bin. Die Abwesenheit von Krieg – wir
haben ja noch keinen Frieden – hat zwar zu einer erheblichen Reduzierung
der Zahl der Todesopfer geführt. Aber ich habe diesen Prozeß von Anfang an
als Befriedungsstrategie bezeichnet. So wird der historische Konflikt nicht
gelöst werden. Es handelt sich dabei um einen britischen Plan, wie schon
1972, um die Widerstandsbewegung zu demoralisieren, zu entwaffnen und zu
demobilisieren. Und das steht kurz vor dem Abschluß. Es wäre ehrlich von
Sinn Féin, zu sagen, daß es 30 Jahre lang keinen Fortschritt gegeben hat
und wir wieder bei Null anfangen müssen.
Sie glauben, das Ziel bestehe darin, die republikanische Bewegung aus Sinn
Féin und IRA zu beseitigen und nicht die Gewalt?
Ja. Der bewaffnete Kampf der IRA wird jetzt gleichgestellt mit der von Haß
und Rassismus erfüllten Gewalt der Loyalisten, er wird auf eine Form des
nationalistischen Extremismus reduziert. IRA und Sinn Féin haben ihre
Stärke überschätzt. Sie sind nicht Hauptakteure in der Allianz mit den
nordirischen Sozialdemokraten und der Regierung in Dublin. Und die stehen
gemeinsam mit Bill Clinton auf der Seite von Tony Blair und Unionistenchef
David Trimble. IRA und Sinn Fein haben ein Prinzip nach dem anderen
aufgegeben. Ob sie nun an der Regierung beteiligt werden, ist unerheblich
für eine Lösung des Konflikts.
Es gab doch auch interne Kritik und Abspaltungen bei der IRA.
Wer eine sozialistische, demokratische – und keine militaristische – Kritik
äußerte, wurde als Militarist diffamiert. Das mußten wir, die wir seit
dreißig Jahren aktiv sind, uns von gerade erst demilitarisierten
Militaristen anhören. Es wurde an die Loyalität der Basis appelliert, die
der Führung unhinterfragt vertrauen sollte. Und die Basis vertraute ihr.
Zur Zeit sind die Dissidenten vereinzelt und marginalisiert, weil die
Übermacht von Medien, Kirchen und Politik jeden Dissens erstickt. Diese
Erfahrung ist nicht auf Irland beschränkt. Wenn ich mit palästinensischen
oder südafrikanischen Exilanten rede, erfahre ich genau dasselbe.
Die IRA soll ihre Waffen abgeben, bevor Sinn Féin in die Regierung
aufgenommen wird. Bis 30. Juni muß es eine Einigung darüber geben, sonst
ist das britisch-irische Karfreitagsabkommen gescheitert. Wird die IRA
abrüsten?
Das ist inzwischen egal. Diese Hürde ist aufgebaut worden, um den Prozeß zu
verlangsamen. Es ist so, als versuche jemand, einen Kuchen zu backen, nähme
aber die Zutaten für Sauerkraut. Die Sache ist grundsätzlich falsch.
Die nordirische Polizei soll reformiert werden. Was erwarten Sie sich
davon?
Dieser Staat ist ebenso intakt wie seine Institutionen. Daher werden die
Institutionen sowenig wie möglich reformiert werden. Die Reformen werden
kosmetischer Natur sein, um die katholischen Mittelklassen zu
beschwichtigen, ohne die Unionisten zu verärgern.
Gibt es eine Alternative zum Friedensprozeß?
Die irische und die britische Regierung haben eine clevere Strategie
verfolgt. Jede Entscheidung, die Sinn Féin traf, machte es beim nächsten
Schritt schwieriger, eine Alternative zu wählen. Es war wie bei einem
Trichter, es wurde immer enger, bis es nur noch eine einzige Möglichkeit
gab. An diesem Punkt sind wir jetzt. Sinn Féin muß da durch oder wird alles
verlieren. Der Prozeß ginge weiter, er ist nicht umkehrbar, auch wenn sich
Sinn Féin daraus verabschiedet. Eine Rückkehr zu einer militärischen
Strategie wäre zu diesem Zeitpunkt glatter Selbstmord.
Hätte es vor zehn Jahren eine Alternative gegeben?
Gehen wir zurück zu den Anfängen der Bürgerrechtsbewegung. Es ging ihr
nicht um einen Umsturz, sondern um Reform, um Gleichheit. Der bewaffnete
Widerstand war das Resultat der staatlichen Unfähigkeit, diese Forderung zu
erfüllen. Jetzt wird es darum gehen, wie man einen bestimmten Teil der
katholischen Bevölkerung beschwichtigen kann, doch wird sich dann
herausstellen, daß es keinen Raum gibt, auch den Rest zu beschwichtigen.
Dann setzt der Staat erneut seine ganze Maschinerie in Gang. Er muß dafür
sorgen, daß diese Leute entweder unterdrückt oder in alle Himmelsrichtungen
verstreut, zur Emigration gezwungen oder demoralisiert werden. Hätten die
Menschen mehr über die Situation in Nordirland und die Lehren daraus
nachgedacht, dann hätte es vielleicht nie ein Kosovo gegeben.
Interview: Ralf Sotscheck und Jürgen Schneider
19 Jun 1999
## AUTOREN
Sotscheck / Schneider
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