# taz.de -- Wortlandstreichers Karstbrevier | |
> ■ Mit einer neuen Textauswahl wandert Ludwig Hartinger durch die | |
> slowenische Dichtung | |
Man kann ihn, rotbeschalt und eine speckige Ledertasche unter den Arm | |
geklemmt, nachts in den Kneipen Ljubljanas treffen, berauscht von | |
Philosophie und Wein, im Labyrinth der Wortwechsel mit slowenischen | |
Autoren. Es kann sein, daß er manchmal mit kaum leserlicher Schrift etwas | |
auf einen Zettel notiert: blazen – wahnsinnig, blažen – glückselig; povir… | |
– Ort, wo ein Teich war und noch Schilf ist; oder: Kras – Karst, diese | |
Zuflucht im Lügen-Europa –, und dann wieder Kras-ocutje – Gespür für das | |
Schöne. Wozu er das macht? Er sammelt Worte, seltene Exemplare, die es in | |
anderen Sprachen nicht gibt. | |
Man kann ihn auch auf dem Karst treffen, in Vilenica etwa, wo alljährlich | |
ein mitteleuropäischer Literaturpreis vergeben wird. Einige Preisträger hat | |
er ausgeforscht, diesen und jenen ihrer Verse über die Grenze gebracht. Man | |
kann ihn auf dem Bahnhof von Pivka treffen, auf der Strecke zwischen | |
Ljubljana und Rijeka, und er wird erzählen, welches Gedicht der slowenische | |
Dichter Srecko Kosovel hier geschrieben hat, während er auf den Zug | |
wartete. Auf den Hügeln hinter Piran weiß er von Ciril Kosmac zu berichten, | |
und natürlich weiß er auch, während man mit ihm durch Tolmin im Soca-Tal | |
streift, auf welchem Markt sich die Legende vom Narren Tantadruj abspielt, | |
die Kosmac aufgezeichnet hat: „Tantadruj war ein winzig kleines Wesen, und | |
auch Verstand hatte er nur einen winzigen, seine Seele aber war geräumig | |
genug, um darin seinen großen und einzigen Wunsch zu bergen: zu sterben.“ | |
Und man kann ihn sitzen sehen in einem Gasthaus nächst Štanjel oder im | |
Wartesaal des Bahnhofs von Divaca oder in einem Kaffeehaus am Bootshafen | |
von Izola, einen Pakken Manuskripte vor sich. | |
Der Wortlandstreicher Ludwig Hartinger ist nicht nur ein herausragender | |
Kenner der slowenischen Literatur, er ist auch ein vorzüglicher Übersetzer. | |
„Durch Buchstaben trete ich in den Raum“ ist das Motto seines Buches „Im | |
Schatten der Worte“. Dieses Buch, das fünfzig AutorInnen, vorwiegend | |
LyrikerInnen, auf vierzig Seiten versammelt, ist weit mehr als eine | |
Anthologie. „Keine repräsentative Sammlung“, wie er selbst sagt, sondern | |
ein Buch zum Umherstreifen durch Gegenden und Sprache, zum Annähern an | |
fremde und doch nahe Wortlandschaften, das dem Vorbild von Stéphane | |
Mallarmés „Coup de dés“ (Würfelbuch) folgt. | |
In jeder Hinsicht ist es ein Buch für die Sinne: aus Hanfpapier und | |
Gmund-Kaschmir, handgesetzt und handgedruckt, versehen mit vier | |
Original-Letternholzschnitten von Christian Thanhäuser, in dessen | |
Buchwerkstatt es auch hergestellt wurde. Die Paginierung folgt dem | |
slowenischen Alphabet, im Itinerar am Ende des Buches sind Autorennamen, | |
Titel, Erscheinungsort und -zeit angegeben, so daß die Textseiten | |
ausschließlich der Lyrik vorbehalten bleiben. Ein Traumbuch. Balduin Winter | |
‚/B‘„Im Schatten der Worte. Das Buch des Wortlandstreichers l“. Aus dem | |
Slowenischen von Ludwig Hartinger. Holzschnitte von Christian Thanhäuser. | |
Edition Thanhäuser, Ottensheim an der Donau 1998, 40 Seiten, 130 DM | |
6 Jul 1999 | |
## AUTOREN | |
Balduin Winter | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |