# taz.de -- Schweine stinken zum Himmel | |
> Eine Mastanlange auf dem Gelände eines ehemaligen Roma-Lagers erhitzt in | |
> Tschechien die Gemüter. Menschenrechtler wollen die Tiere verbannen, dem | |
> Staat fehlt Geld ■ Aus Lety Ulrike Braun | |
Es stinkt. Vierzehntausend Schweine fristen hier im südböhmischen Lety bei | |
Pisek, eingepfercht in elf Baracken, ihr kurzes Leben. In der Schweinemast | |
der Aktiengesellschaft Pisek (AGPI), einer der größten im Land, werden sie | |
aufgepäppelt und gefüttert, bis der Schlachter ruft, um schließlich den | |
Zweck ihres Daseins, verarbeitet als Prager Schinken oder gereicht zu Kraut | |
und Knödel, zu erfüllen. | |
Das stinkt zum Himmel, schimpfen Menschenrechtsaktivisten und tschechische | |
Roma. Denn: An der Stelle der Schweinemastanlage stand während des Zweiten | |
Weltkriegs ein Konzentrationslager, hauptsächlich für Roma. „Als würden sie | |
uns mit Schweinen gleichsetzen“, meint Cenek Ruzicka resigniert, als er an | |
der bescheidenen, 1994 eingeweihten Gedenkstätte für die Opfer von Lety | |
beim alljährlichen Pietätsakt eine kurze Rede hält. | |
Der agile Rom aus dem Riesengebirge hat Vater und Bruder in Lety verloren. | |
Seit Jahren kämpft er mit dem deutschen Journalisten Markus Pape und seinem | |
„Komitee zur Entschädigung der Opfer des Roma-Holocausts“ dafür, dass die | |
Schweine sich in Zukunft nicht mehr dort suhlen, wo so viele Menschen | |
gelitten haben. | |
In der tschechischen Gesellschaft stößt er damit größtenteils auf | |
Ablehnung. „Die Tschechen sind bestenfalls intolerant, fast könnte man auch | |
sagen verborgene Rassisten“, glaubt Ruzicka. Doch selbst der Teil der | |
Bevölkerung, der sich nicht dazu zählt, tut sich schwer mit Lety: Nicht die | |
deutschen Besatzer haben das Lager geplant, gebaut und geleitet, sondern | |
Tschechen. Man wird nicht gerne damit konfrontiert, dass auch Tschechen | |
ihre Rolle im Holocaust gespielt haben, so Ruzicka: „Das stört doch das | |
Geschichtsbild, das die Tschechen von sich selbst haben, das des Opfers. | |
Neunzig Prozent der tschechischen Roma sind im Holocaust ums Leben | |
gekommen.“ | |
„Die Deutschen haben sich während des Protektorats bei uns eher um die | |
Juden gekümmert. Die Zigeuner überließen sie uns,“ gibt Petr Uhl mit | |
erstaunlicher Offenheit zu. Der ehemalige Linksaußen der Charta 77 kämpft | |
als Menschenrechtsbeauftragter der tschechischen Regierung für den Umzug | |
der Schweinemast. Das Vorhaben scheitert am Geld. Die sozialdemokratische | |
Regierung, seit einem Jahr im Amt, kann beim besten Willen nicht die | |
geschätzten 350 Millionen Kronen (rund 2 Millionen Mark) lockermachen, die | |
solch ein Umzug kostet. Auch Uhls Vorschlag, die Gelder hierfür in einer | |
öffentlichen Sammlung im In- und Ausland zu beschaffen, wurde abgelehnt. | |
Dazu kommt die Befürchtung, sich beim Wähler unpopulär zu machen. „Man hat | |
Angst, es würde heißen, das wäre herausgeschmissenes Geld“, sagt Uhl. | |
Wenigstens stößt der Ex-Dissident zu Hause auf mehr Verständnis. „Seit sie | |
über Lety Bescheid weiß, isst meine Tochter kein Schweinefleisch mehr.“ | |
„Wenn der Staat kein Geld hat, soll er doch enteignen“, rufen die Gegner | |
der Schweinemast. Ihr Argument: Nach dem Abkommen von Helsinki sollen | |
Stätten des Holocaust in ihrer ursprünglichen Form erhalten werden. Das sei | |
ja wohl in Lety nicht der Fall; wollte sich die Tschechische Republik an | |
Helsinki halten, sollte sie das schleunigst ändern. Doch: Was ist eine | |
Holocaust-Stätte? „Es ist ja nicht einmal zu 100 Prozent sicher, ob das | |
ganze Lager auf dem Gelände der heutigen Schweinemast stand, vielleicht war | |
es nur ein Teil“, meint Jan Cech, Vorstand der AGPI. Der aalglatte | |
studierte Ökonom versichert immer wieder, er habe nichts gegen die Roma. | |
„Lety war ein Lager für Arbeitsscheue, davon gab es viele.“ Die Tatsache, | |
dass dort Menschen gestorben sind, habe, so Cech, weniger mit der Endlösung | |
zu tun als mit menschlichem Versagen. „Damals war Krieg. Anstatt an die | |
Insassen die ihnen zustehende Lebensmittelration zu verteilen, haben die | |
Aufseher die Lebensmittel in Kellern gehortet und auf dem Schwarzmarkt | |
verkauft.“ | |
Cech ist Realist. Nein, er habe überhaupt nichts gegen einen Umzug | |
einzuwenden, solange das keine finanziellen Einbußen bedeutet. Wenn der | |
Staat ihnen an anderer Stelle eine gleichwertige Schweinefarm finanzierte, | |
übernähme die AGPI sogar die Umzugskosten. „Aber ein richtiges KZ mit | |
Wachtürmen und Gaskammern war das nicht.“ | |
Das Lager in Lety wurde am 15. Juli 1940 per Beschluss des | |
Innenministeriums des Protektorats Böhmen und Mähren errichtet und mit | |
Absegnung durch den Reichsprotektor drei Wochen später als | |
„Arbeits-Straflager I“ eröffnet. Die Idee, so genannte Arbeitsscheue in | |
Lagern umzuerziehen, wurde in Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen schon | |
lange propagiert. 1942 wurde das „Arbeits-Straflager“ in ein „Anhaltelager | |
für Zigeuner“ umbenannt, von dem aus die Roma Böhmens und Mährens nach | |
Auschwitz transportiert wurden. | |
Im August 1943 wurde das Lager aus hygienischen Gründen geschlossen, eine | |
Typhusepidemie hatte sich ausgebreitet. Die verbleibenden Roma wurden mit | |
dem Zug gen Osten geschickt, die restlichen, der Nazi-Lehre nach rassisch | |
reinen Insassen auf andere Lager im Protektorat verteilt, manche sogar | |
entlassen. Während dieser Zeit sollen 1.289 Männer, Frauen und Kinder die | |
Tore des Lagers Lety durchschritten haben, 337 an Hunger, Typhus oder | |
Überarbeitung gestorben sein. | |
Offiziell. Inoffiziell wird die Zahl um das Zehnfache höher angesetzt. „Man | |
braucht sich nur Archivmaterialien anzusehen und etwas rechnen zu können, | |
um zu sehen, dass die offizielle Zahl nicht stimmen kann. Meinen | |
Berechnungen zufolge sind mindestens 3.000 Menschen Lety umgekommen“, | |
behauptet Paul Polansky. | |
Der hühnenhafte Ex-Boxer aus Iowa, Nachfahre tschechischer Einwanderer, ist | |
1991 bei der Ahnenforschung zufällig auf Dokumente über Lety gestoßen. | |
Seitdem ihm bei weiteren Recherchen von tschechischer Seite immer wieder | |
Steine in den Weg gelegt wurden, lässt ihn die Sache nicht mehr los. Vor | |
kurzem hat er schon das dritte Buch über Lety veröffentlicht und er hält in | |
den USA Vorlesungen über das Thema. | |
„Im April 1994 wurde ich auf die tschechische Botschaft in Washington | |
zitiert und gebeten aufzuhören, den Ruf der Tschechischen Republik zu | |
schädigen“, erzählt Polansky. Von höchster Stelle wurde dem Amerikaner | |
ausgerichtet, es gebe keine Überlebenden von Lety mehr, er könne deshalb | |
seine Nachforschungen einstellen. „Daraufhin habe ich über 100 Betroffene | |
gefunden, meine Gespräche mit ihnen in einem Buch veröffentlicht. „Immer | |
wieder“, so Polansky, „ erzählten Überlebende von den sadistischen | |
Grausamkeiten der Wärter, von Hunger und Hinrichtungen.“ | |
Polanskys Aussagen seien unzuverlässig und nicht nachprüfbar, sagt Pavel | |
Bret vom „Amt zur Dokumentation und Verfolgung der Verbrechen des | |
Kommunismus,“ dessen eigentlicher Tätigkeitsbereich der Stasi-Jagd sich per | |
Befehl aus dem Innenministerium erweitert hat: herauszufinden, ob sich in | |
Lety ein Genozid ereignet hat. „So konnte uns keiner von Polanskys | |
Überlebenden unter Eid Massenhinrichtungen bestätigen.“ „Weil sie sich | |
eingeschüchtert fühlten“, kontert Polansky. | |
Dennoch: Das Ergebnis der offiziellen Recherchen widerspricht dem | |
Polanskys, deckt sich mit der Bewertung Jan Cechs: Eigensucht, nicht | |
Rassenhass hat die Aufseher dazu verführt, ihre Macht zu missbrauchen. „Was | |
in Lety geschah, war kein Völkermord“, sagt Bret. | |
„Die Schweinemast“, so ist Cenek Ruzicka sich sicher, „wird doch nie | |
verlegt. Wenn die Deutschen in Lety gewesen wären, würden sie sich bestimmt | |
darum kümmern, dass die Schweine wegkommen.“ Die tschechische Gesellschaft | |
wolle doch nichts davon wissen. | |
Selbst untereinander sind die Roma über die Zukunft der Schweinefarm | |
uneins. Die Mehrheit der heutigen Roma in der Tschechischen Republik ist | |
nach dem Krieg, bis in die 80er Jahre sogar, aus der Slowakei westwärts | |
gesiedelt. „Die haben kein Verständnis dafür, was in Lety geschah, sagen, | |
der Staat solle sich lieber darum kümmern, die Lage der lebenden Roma zu | |
verbessern“, erzählt Ruzicka. | |
Auch ein Argument, bedenkt man, dass die Roma in Tschechien Menschen | |
dritter Klasse sind, die bis vor wenigen Wochen nicht einmal das Recht | |
hatten, die tschechische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Wurden viele Roma | |
Frauen im Kommunismus noch zwangssterilisiert, werden in der Demokratie | |
Roma Kinder in Sonderschulen geschickt, werden Pläne geschmiedet, von Roma | |
bewohnte Blöcke durch Mauern von Tschechen abzutrennen, werden sie immer | |
wieder Opfer von rassistisch motivierten und kaum geahndeten Gewalttaten. | |
„Die Entfernung der Schweinemast aus Lety wäre ein Symbol gegenüber ihrer | |
Roma-Minderheit“, bekräftigt Ruzicka. Aber so weit, glauben er und andere | |
Roma- und Menschenrechtsaktivisten, wird es höchstens mal aus | |
wirtschaftlichen Gründen kommen, vielleicht, wenn ein EU-Beitritt | |
Tschechiens die Massenproduktion von Schweinefleisch unrentabel macht. | |
Bis dahin bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Kampagne gegen die | |
Schweinemast weiterzuführen. Prominente Unterstützung haben sie übrigens: | |
Nachdem der Schriftsteller Günter Grass eine Petition gegen die | |
Schweinefarm mit seinem Autogramm geziert hat, drückte Simon Wiesenthal, | |
Leiter der Dokumentationsstelle zur Aufklärung von Nazi-Verbrechen in Wien, | |
in einem offenen Brief an den tschechischen Premierminister Miloš Zeman, | |
sein Bedauern über die Situation in Lety aus: „Es ist eine Schande für Ihr | |
Land.“ | |
Das stört doch das ganze Geschichtsbild, das die Tschechen von sich selbst | |
haben, das des OpfersWenn der Staat woanders eine gleichwertige | |
Schweinefarm finanzierte, übernähme die AGPI die Umzugskosten | |
4 Aug 1999 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Braun | |
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