# taz.de -- Nur ein Denkzettel. Ach so. | |
> Attacken rechtsradikaler Jugendlicher auf „ausländische Mitbürger“ – … | |
> gibt es nur im Osten, möchten die Kolbermoorer im christsozialen Bayern | |
> glauben –möchten ■ Von Phillip Maußhardt | |
Der Schwarzafrikaner an der Bushaltestelle von Kolbermoor spricht | |
eigentlich gar nicht so schlecht deutsch: Nein, er „nicht weiß von Probleme | |
mit Kollege“. Er nur „Trommelkurs in Bruckmühl“. Ach so. Der freundliche | |
Mann ist nur auf Besuch hier im Landkreis Rosenheim und wartet auf den Bus. | |
Aber sonst wissen alle anderen Bescheid. Der Bürgermeister genauso wie die | |
Frau am Fenster in der Schumanstraße. „Dort“, sagt sie und zeigt herunter | |
vom ersten Stock auf einen Parkplatz, „genau da war es.“ | |
Da war es, dass Carlos Fernando niedergeschlagen wurde. Den 35-jährigen | |
Mann aus Mosambik traf die Faust erst ins Gesicht, dann stürzte er zu | |
Boden, schlug mit dem Kopf auf das Steinpflaster auf und wurde anschließend | |
von Roman G. mit den Schuhen mehrfach ins Gesicht getreten. Das war vor | |
zwei Wochen. Seither liegt Carlos mit schweren Gehirnverletzungen auf der | |
Intensivstation in einer Spezialklinik bei Rosenheim im Koma. Selbst wenn | |
er überlebt, sagen die Ärzte, wird er behindert bleiben. | |
Kolbermoor – Einen Millenniumkalender »Kolbermoor 2000« bringt der | |
Förderverein Heimatmuseum Kolbermoor Anfang Oktober heraus. Die | |
Ausgestaltung dieses Kalenders gibt, so der Verein, einen historischen | |
Überblick über die Geschichte Kolbermoors. | |
Kolbermoor liegt im Osten von Bayern. Das Land ist noch flach, aber man | |
sieht schon die Bergspitzen um den Wilden Kaiser. Ein freundliches | |
Urlaubsland zwischen Chiemsee und dem Moorbad von Bad Aibling. „Willkommen | |
in Kolbermoor“, sagt der Bürgermeister im Internet: Stadtrecht seit 1936. | |
Alle herhören: Im September lädt die Stadtverwaltung zu einer „Fahrt der | |
guten Herzen“ ein. Alle Kolbermoorer sind aufgefordert, Senioren in ihrem | |
Auto zu einer gemeinsamen Ausfahrt mitzunehmen! | |
Als der Disko-Bus kürzlich nachts von Bad Aibling nach Kolbermoor fuhr, | |
zwangen Jugendliche den Busfahrer mitten auf der Strecke anzuhalten und | |
schmissen alle Ausländer hinaus. Was heißt „Gaudi“ auf | |
Mecklenburg-Vorpommerisch? Aber in Kolbermoor, sagt Bürgermeister Ludwig | |
Reimeier, gibt es keine Rechtsradikalen. Die gibt es „drüben“. Wir sind | |
sauber. Und dann schlägt Ludwig Reimeier sogar mit der Faust auf den Tisch, | |
weil ihn schon wieder so ein Journalist danach fragt, was eigentlich los | |
ist in Kolbermoor. Nichts ist los! Da hat eben ein Mann einen anderen | |
geschlagen. „Ein Fall ganz normaler Kriminalität“, sagt Reimeier. | |
Der „Vorfall“ ereignete sich in der Schumanstraße mit einem „n“. So be… | |
nach dem sozialistischen Politiker (und nicht nach dem bürgerlichen | |
Komponisten). Vor der Gaststätte „Cubana“. Im „Cubana“ trinken alle das | |
Pils aus der Flasche, viele haben kurz geschorene Haare. Der junge | |
polnische Wirt ist erst seit fünf Monaten Pächter und hat die | |
Stammkundschaft von seinem Vorgänger gleich mitgepachtet. Und die, das sagt | |
ein Nachbar, sei „das Schlimmste, was Kolbermoor zu bieten hat“. Das | |
erzählt der Pole mit einem traurigen Ausdruck in den Augen, und über dieses | |
Unglück ist er selbst zu einem seiner besten Gäste geworden: Er lallt schon | |
ein wenig, und dabei ist es erst acht Uhr. | |
An jenem Sonntag saß auch Carlos Fernando mit drei Freunden aus Mosambik im | |
„Cubana“. „Die sind dann rausgegangen und der Roman ist hinterher und dann | |
war es schon passiert.“ So detailgenau beschreiben die anderen Gäste, die | |
dabei gewesen sind, den Ablauf dieses Abends. „Die Vorhänge waren zu, wir | |
haben die Neger nicht gesehen“, sagt ein junges Mädchen. Im „Cubana“ sagt | |
man „Neger“, auf der Straße in Kolbenmoor spricht man von „den Schwarzen… | |
und die ermittelnde Staatsanwältin in Rosenheim nennt das Opfer einen | |
„dunkelhäutigen Mitbürger“. | |
Roman, der Schläger, wohnt im Stockwerk über dem „Cubana“ und hat schon o… | |
und laut gesagt, was er als Deutscher von Ausländern hält. Was von dem | |
31-Jährigen zu halten ist, formulierte jemand im Polizeibericht mit der | |
Berufsbezeichnung „Umschüler“ noch sehr, sehr positiv. | |
Aber der 28-jährige Johann hat an diesem Abend etwas gesehen. Er war dabei. | |
Im Polizeibericht steht Johann sogar als „Komplize“, und in Bild stand, er | |
und Roman G. hätten gemeinsam „Jagd auf Afrikaner“ gemacht aus „Fremdenh… | |
und purer Lust an der Gewalt“. „Völliger Unsinn“ sagt Johann. Er hat | |
Anzeige „wegen Verleumdung“ erstattet. Er habe nur helfen wollen, die | |
Streitenden zu trennen und dabei einen Neger geschubst. „Aber wenn das so | |
ist“, sagt Johann, „dann helfe ich niemandem mehr. Nie mehr.“ | |
Kolbermoor – Kolbermoor ist in die Vorauswahl für das Programm »Soziale | |
Stadt« im Rahmen der Städtebauförderung aufgenommen worden. Bei dem | |
Programm handelt es sich um eine Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern | |
und Kommunen mit dem Ziel, »einer sozialräumlichen Polarisierung in einigen | |
Städten und Gemeinden Einhalt zu gebieten«. | |
Zwölf Prozent der 18.000 Einwohner von Kolbermoor haben keinen deutschen | |
Pass. Das ist sogar ein wenig über dem bayerischen Durchschnitt. Die | |
Wohnungen und der Baugrund sind hier günstiger als im benachbarten | |
Rosenheim und als in München sowieso. Kolbermoor ist Arbeiterland: Seine | |
Gründung verdankt es der einer Textilfabrik vor gut 100 Jahren. Hier wurde | |
1918 als erstem Ort in Bayern die Räterepublik ausgerufen, die | |
Schriftstellerin Luise Rinser lebte hier in den Dreißigerjahren. Man wählte | |
SPD – bis die Textilfabrik bankrott ging und die Angst vor der Zukunft ins | |
Städtchen zog. | |
1989 hat Kolbermoor Aufsehen erregt. Bei der Europawahl bekamen die | |
„Republikaner“ 30 Prozent der Wählerstimmen. Nicht übertreiben! Gut, es | |
waren 29,1 Prozent. Aber das genügte, um die ganze Republik für einen | |
Augenblick nach Kolbermoor schauen zu lassen. „Was ist da los?“, fragte | |
Bild und gab die Antwort: Sie wollten „nur“ den Politikern „einen | |
Denkzettel“ verpassen. Ach so. Wofür blieb unklar. In Kolbermoor gibt es | |
nur fünf Prozent Arbeitslose. Da lacht der Ostfriese. | |
Kolbermoor – Zwei Gänse aus dem Teufelsgraben machen jeden Morgen einen | |
Spaziergang zur Karolinenstraße. Zwar hat der Besitzer ein absolutes Verbot | |
ausgesprochen, doch ähneln die Tiere hier den Menschen, denen Verbotenes | |
oft gut schmeckt. | |
Bürgermeister Ludwig Reimeier ist Mitglied der CSU. Aber eigentlich ist er | |
ein sehr sozialdemokratischer Christsozialer. „Ich habe in der SPD viele | |
Freunde und Bekannte“, sagt er, weil er selbst aus einer Arbeiterfamilie | |
stammt – so wie viele Kolbermoorer. Nur waren Reimeiers Eltern katholisch, | |
„und darum kam eben nur die CSU in Frage.“ Herr Reimeier ist sehr nett. Und | |
er möchte, dass alle anderen auch nett sind. Und darum kann es gar nicht | |
sein, dass es in Kolbermoor rechtsradikale Jugendliche gibt. Doch ganz | |
allmählich hört Ludwig Reimeier auf, nett zu sein, wenn man weiter fragt. | |
„Uns kann niemand einen Vorwurf machen“, sagt er. „Das Thema | |
Nationalsozialismus wurde in der Hauptschule ganz hervorragend behandelt.“ | |
Schluss jetzt. | |
Als 1986 in Kolbermoor ein leer stehendes Hotel mit 60 Flüchtlingen belegt | |
werden sollte, gründeten einige Bewohner die „Bürgerinitiative gegen | |
Asylantengroßheime in Kolbermoor“. Der Protest half nichts. Im Oktober 1992 | |
explodierte dann eine Rohrbombe im Eingangsbereich des Heimes. Verletzt | |
wurde nur durch Zufall niemand. Die Täter waren zwei junge Männer aus | |
Kolbermoor. Kürzlich verlangte ein junger Mann in der Buchhandlung des | |
Städtchens „Mein Kampf“. Und wenn der SV Kolbermoor ein Spiel gewinnt, | |
laufen die Fans schon mal mit der Reichskriegsflagge die Hauptstraße | |
entlang und rufen „Sieg Heil!“. | |
Kolbermoor – Keiner der Gratulanten, die Maria Ress zu ihrem 90. Geburtstag | |
beglückwünschten, hätte sie auf dieses hohe Alter geschätzt – die | |
Jahrzehnte sieht man der Jubilarin nicht an. | |
Der katholische Bürgermeister Ludwig Reimeier steht seit drei Wochen jeden | |
Sonntag einem dunkelhäutigen Mitbürger gegenüber: Pater Raphael aus Uganda | |
betreut als neuer Pfarrer die Kirchengemeinde. „Die Afrikaner“, sagt der | |
Bürgermeister, „haben alle so offene Gesichter. Wenn die sich freuen, das | |
sieht man.“ | |
Im vergangenen Jahr waren mehr als 30 Prozent aller ermittelten | |
Tatverdächtigen im Bereich der Polizeidirektion Rosenheim jünger als 21 | |
Jahre. Wie viele aus Kolbermoor stammen, steht nicht im Bericht, wird aber | |
als hoher Prozentsatz unterstellt. Denn die Kolbermoorer gelten in der | |
Umgebung noch immer als die „Schmuddelkinder“. Hüte dich vor ihnen, immer | |
schlagen sie zu! Das jährliche Kolbermoorer Volksfest musste vor einigen | |
Jahren verboten werden. Der Polizei waren „der Einsätze“ zu viel. Im | |
Oberbayerischen Volksblatt erklärten vor wenigen Tagen Bürgermeister | |
Reimeier und die Polizei: „Es gibt in Kolbermoor keine rechtsradikale | |
Szene. Der Schläger war mit Sicherheit ein Einzeltäter.“ Alle Kolbermoorer | |
sind Einzeltäter. | |
Kolbermoor – Glückwunschkarten, für welchen Anlass auch immer, sollten | |
etwas aussagen und vor allem dem Empfänger sagen, dass man an ihn gedacht | |
hat. Im Gruppenraum des Familienverbandes trafen sich zwölf Mädchen und ein | |
Bub, um Glückwunschkarten aus Seide herzustellen. | |
Der Ordnungsamtschef von Kolbermoor, Andreas Hager, ist auch | |
stellvertretender Feuerwehr-Kommandant. „Löschen, helfen, retten“. Mit | |
Abscheu und Empörung würde er reagieren, würde man ihn einen Ausländerfeind | |
nennen. Er gibt ja nur die Meinung wieder, die er auf seinen Spritztouren | |
durch Kolbermoor so hört: Dass man „mit kriminellen Ausländern viel zu | |
nachsichtig“ sei. Und: „Dass italienische Handwerker viel leichter einen | |
Betrieb hier eröffnen dürfen als deutsche Handwerksmeister.“ Mit | |
Schumi-Geschwindigkeit schaltet er vom Stichwort „Ausländer“ um auf | |
„Drogendealer“, gibt Gas und landet auf der Zielgeraden: „Kein Wunder, da… | |
das böses Blut gibt.“ | |
Aber es reden nicht alle so. Es gibt zwölf Bürger von Kolbermoor, die haben | |
an ihren Bürgermeister einen Brief geschrieben. Er soll nicht kleinreden, | |
was nicht kleinzureden ist. Sie haben ihm Fälle von täglichem Ausländerhass | |
geschildert und sie haben verlangt, „die polizeibekannten Treffpunkte der | |
Faschos besonders zu überwachen“. Auch die Grünen von Kolbermoor, mit zwei | |
Stadträten etwas schwächer als die „Republikaner“ im Gemeindeparlament | |
vertreten, wissen, was sich gehört: Sie haben dem Opfer, das immer noch im | |
Koma liegt, einen Geschenkkorb im Wert von 100 Mark angeboten. | |
Carlos Fernando wohnte in Kolbermoor seit Januar 1998. Er arbeitete als | |
Schweißer. Davor war er in Rüsselsheim und in Neubrandenburg gemeldet. Vor | |
drei Monaten erst war er mit seiner kleinen Tochter Tracy innerhalb | |
Kolbermoors umgezogen in eine Sozialwohnung nicht weit vom Stadtzentrum. | |
Carlos Fernando ist seit der Trennung von der Mutter für das Kind | |
verantwortlich. Tracy ging in Kolbermoor in die zweite Klasse. | |
Klassenkameradinnen gegenüber hatte das Mädchen gesagt: „Ich habe keine | |
Mutter.“ Vor ein paar Tagen hat die Mutter das neunjährige Mädchen zu sich | |
nach Brandenburg geholt. „Wenn wir dem Kind helfen können, tun wir das | |
natürlich“, sagt Bürgermeister Ludwig Reimeier. | |
Es gibt übrigens 425 kostenlose Parkplätze in Kolbermoor, das sei hier nur | |
nebenbei einmal erwähnt. | |
Die kursiv gedruckten Passagen geben Meldungen aus Kolbermoor wieder, die | |
nach dem Überfall im „Oberbayerischen Volksblatt“ erschienen | |
30 Aug 1999 | |
## AUTOREN | |
Phillip Maußhardt | |
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