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# taz.de -- Ganzes Tagewerk
> ■ Was bis Mitternacht nicht fertiggemalt ist, wird vernichtet: On Kawaras
> „Date Paintings“ im Kölnischen Kunstverein
Fotografieren läßt er sich immer noch nicht, und auch an den Eröffnungen
seiner Ausstellungen nimmt der Japaner nicht teil. Überhaupt lehnt On
Kawara alles ab, was ihn dazu bewegen könnte, sein Lebenswerk zu erklären.
Seit dem 4. Januar 1966 hinterläßt er nicht mehr als Spuren, nüchterne
Dokumente der Zeit, in der er lebt.
Er habe gerade an einem Vietnam-Tryptichon gearbeitet, als ihm aufging, was
er wirklich machen wollte, ist eine der wenigen Äußerungen, die sich Kawara
über seine Anfänge entlocken ließ. Das war im Herbst 1965. Im folgenden
Januar stellte er sein erstes „Date Painting“ her, malte das Datum des
Entstehungstages mit weißer Farbe auf monochrom grundierte Leinwand.
Seither reist Kawara durch die Welt, verweilt selten länger als einige Tage
an einem Ort oder in seiner New Yorker Wohnung und dokumentiert sein
eigenes Leben. An Bekannte aus der Kunstszene verschickt er Telegramme mit
der Botschaft „I am still alive On Kawara“.
Den Versand von Postkarten, auf die er die Uhrzeit seines Aufstehens am
ausgewählten Tag ebenso wie Adresse und Absender gestempelt, und von
Kladden, in denen er die zurückgelegte Wegstrecke und die Lektüre des Tages
eingetragen hatte, stellte Kawara ein, nachdem ihm Unbekannte 1977 am
Flughafen von Stockholm seinen Stempelkasten und seine Tagebuchordner
stahlen. Die einzige biographische Angabe in seinen Ausstellungskatalogen
ist die Anzahl der Tage, die Kawara zum Datum der Eröffnung bereits gelebt
hat. Demnach wurde Kawara am 24. Dezember 1932 geboren. Freunde beschreiben
ihn als humorvollen Menschen, dessen extrovertiertes Wesen in krassem
Gegensatz zum anonymen und in seiner Reduktion in der zeitgenössischen
Kunst einzigartig radikalen Charakter seines Werkes stehe. Dem ersten
nämlich folgten bis heute unzählige weitere Date Paintings – immer dann,
wenn On Kawara das Bedürfnis hatte, ein neues Bild zu malen. Wird das Bild
bis Mitternacht nicht fertig, vernichtet Kawara die Leinwand.
Zum ersten Mal war Kawara nun für seine Ausstellung im Kölnischen
Kunstverein bereit, den Prozeß des Tagewerks auch für
AusstellungsbesucherInnen sichtbar zu machen. Bis zur Schließung lebt der
Künstler in Köln und malt auch hier, wenn ihm danach ist, Date Paintings.
Seine Werke bringt Kawara nach der Fertigstellung dann persönlich in den
Ausstellungsraum am Neumarkt, damit dort das jeweils älteste Bild entfernt,
alle anderen einen Wandplatz aufgerückt und schließlich die neue Leinwand
hinzugefügt werden kann. Die entfernter liegende Vergangenheit
verschwindet, die Gegenwart wird immer aktueller. Kawara habe die Kölner
Ausstellung, berichtet man dort stolz, als „the most delicate show in my
life“ bezeichnet und ursprünglich eine weitergehende Radikalisierung
gefordert: Keine Einladungskarte, keine Eröffnung, kein Künstlername mehr –
das Werk solle ganz für sich allein sprechen, ihn selbst gebe es eigentlich
gar nicht.
In Köln lehnte man diese Bitten mit Rücksicht auf Sponsoren und zahlendes
Publikum ab. Und ausgerechnet diese bislang einzigartige Kawara-Ausstellung
gab sogar noch unfreiwillig weiteren Einblick ins Leben des japanischen
Phantomkünstlers. Weil er dem Aufenthalt in Köln zustimmte, mußte On
Kawara, sonst peinlich bemüht, keine handschriftlichen Spuren seines Lebens
zu hinterlassen und bis auf die Rückseiten seiner Werke nichts zu
signieren, für die durch seine Reise entstehenden Kosten eine Quittung
abzeichnen. In der Buchhaltung des Kunstvereins kennt man deshalb nun auch
seinen wahren Namen: Der Künstler unterschrieb mit „Kawahara“. Stefan
Koldehoff
On Kawara – Erscheinen, Verschwinden. Kölnischer Kunstverein, Cäcilienstr.
33, noch bis zum 8. Oktober
15 Sep 1995
## AUTOREN
Stefan Koldehoff
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