# taz.de -- „Man trug so was nicht!“ | |
Am Anfang war ein kapitaler Fehlstart: Die revolutionäre Tieffußbettsandale | |
von Birkenstock verstörte Schuhhandel wie Verbraucher. Doch dann kam die | |
Generation Woodstock und machte aus dem „ausgehöhlten Baumstamm“ einen | |
modischen Bestseller. Ein Interview mit dem Sandalengenie Karl Birkenstock | |
von NIKE BREYER | |
Karl Birkenstock, jugendliche sechzig Jahre alt, ist der Erfinder der | |
gleichnamigen Sandale und hat sich als Seniorchef des Unternehmens heute | |
aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, welches jetzt von seinen drei Söhnen | |
geleitet wird. Karl trat 1954 in das Unternehmen seines Vaters Konrad | |
Birkenstock ein, der mit Vorträgen und Schulungen des Schuhhandels den | |
Verkauf des von ihm produzierten „Blauen Fußbetts“ promotete – eine dama… | |
innovative flexible Fußgewölbestütze, die in den Schuh eingelegt wurde, um | |
Krankheiten vorzubeugen und den Gehkomfort zu heben. | |
Die Birkenstocks können auf eine jahrhundertelange Tradition als | |
Schuhmacher zurückschauen. Noch Vater und Großvater haben diesen Beruf | |
erlernt. Doch erst Enkel Karl Birkenstock sollte mit seiner Erfindung | |
Schuhgeschichte schreiben. Mit Nike Breyer sprach er über die verblüffende | |
Karriere der Tieffußbettsandale vom medizinischen Versorgungsartikel zum | |
Szeneschuh der Woodstockgeneration. Wie es eben so geht, wenn ein | |
hässliches Entlein der modernen Warenwelt der Trend abholt. | |
Karl Birkenstock: Das „Blaue Fußbett“, mit dem alles anfing und das mein | |
Vater und Großvater entwickelt hatten, war nicht metallgestützt. Das waren | |
thermoplastische Stoffe, die mit Korkkrümeln zu einem hoch modernen, hoch | |
elastischen Gemisch verarbeitet wurden. Mein Vater sah seinen Beruf noch in | |
diesen Schulungen des Schuhhandels, in denen sehr genau analysiert wurde, | |
wie der Fuß gebaut ist, warum er so ist und wie er in der Natur | |
funktionieren würde. Das war der rote Faden. Wenn das richtig klar war, | |
hieß es dann, ach du lieber Gott, und dieser Fuß, statt in der Natur zu | |
laufen, kommt der jetzt in die Schuhe. Diese endlose Aufzählung von den | |
Ursachen, die zu Fußkrankheiten führen, hab ich, ich weiß nicht mehr, auf | |
zwanzig, fünfzig, hundert Lehrgängen angehört. Von allen Seiten hatte ich | |
das . . . | |
taz: . . . inhaliert. | |
Mehr als inhaliert. So weit, dass es einem dann auf’n Keks geht. Was mich | |
damals umgetrieben hat, das waren seltsamerweise nicht diese Massenverkäufe | |
von Einlagen. Das war der Umsatz. Der lief. Sondern wir hatten in der Firma | |
auch so ein kleines Fachgeschäft nur für Einlagen. Da hab ich auch bedient. | |
Da kamen sehr viele Leute, die ihr Leid klagten. Sagen wir mal, eine | |
Krankenschwester, die mitten in Leben stand und jetzt praktisch den Beruf | |
aufgeben musste, weil sie nicht mehr laufen konnte. So. Und dann mit diesem | |
Fußbett in diesen krummen Schuhen war das ein katastrophales Problem. Da | |
kam mir der Gedanke, was man braucht, ist eine Fußeinlage ohne Schuh, die | |
einfach perfekt ist. Die frei ist von all diesen hundert Fehlern. Mein | |
Gedanke war, dann brauch ich auch die Schulung nicht mehr. Diese ungeheure | |
Kompliziertheit, mit diesen krummen Schuhen umzugehen – wie lästig! | |
Was war denn das Besondere? Die „Berkemann“-Gesundheitskläpperln mit | |
Fußbett gab’s ja schon. | |
Also, es ist ein großer Unterschied, wie man geht und die Muskeln bewegt, | |
ob man nur ein Riemchen hat oder ob der Fuß fest bandagiert ist. Im einen | |
Fall gibt es den Reflex, dass man sofort die Zehen krampfartig aktiviert, | |
festkrallt, um draufzubleiben. Wenn Sie einen breiten Riemen haben, laufen | |
Sie ganz anders, ganz entspannt. Wir wollten beide Geharten für den Wechsel | |
nebeneinander. Wir haben früher immer gesagt, bei der Gymnastik-Holzsandale | |
steht man auf der Sohle und kann seitlich weg- und abrutschen. Bei uns | |
steht man tief drin. | |
Zu Zeiten Ihres Vaters und Großvaters war der „Kampf der Fußschwäche“, w… | |
es damals zeittypisch hieß, ja ein verbreitetes Anliegen. Aber wie setzt | |
man sich als Unternehmer und Idealist gegen eine Mode durch, in der | |
Petticoat und Stöckelschuh regieren? | |
Ja, die Sache mit der Mode. Das hat mich damals voll getroffen. Mich hatte | |
Mode ja überhaupt nicht interessiert. Um den Schuhhandel anzusprechen, | |
waren wir dann aber in Düsseldorf auch auf der Messe. Und nach ganz kurzer | |
Zeit kamen die anderen Schuhfabrikanten in Scharen an den Stand und haben | |
uns fast geschlagen. Das war so schlimm. Die haben uns beschimpft. Es | |
herrschte ja damals die Vorstellung, dass die Mode nur dadurch | |
funktioniert, dass sie einheitlich von allen betrieben wird. Wir waren | |
Quertreiber. Wir haben die Mode unterlaufen. | |
Jedenfalls in Frage gestellt. | |
Das war eine ganz katastrophale Messe, sehr erfolglos. Wir hatten damals | |
sechzehn Vertreter in Deutschland, die bis dahin auf Provisionsbasis vom | |
Verkauf des blauen Fußbetts gelebt hatten. Weil Sie hier das Diktiergerät | |
liegen haben: Damals kamen die ersten Diktiergeräte raus. Und wir hatten | |
allen Vertretern so ein Ding zur Verfügung gestellt, damit die uns | |
wöchentlich einen Bericht auf Platte sprechen. Das waren diese kleinen | |
Folienplatten. Die steckten die in den Umschlag und schickten uns den zu. | |
Und nach dieser Messe war das so, dass diese Vertreter reihenweise auf dem | |
Tonträger bitterlich geweint haben, weil sie ruiniert waren, weil die | |
Familie ruiniert war, weil die Händler gesagt haben, wer uns als | |
Schuhhändlern so idiotische ausgehöhlte Baumstämme, hieß es damals, | |
anbietet, der muss ne Schraube locker haben. | |
Hatten Sie zu der Zeit das blaue Fußbett schon gestoppt? | |
Nein, nein. Wir lebten hundert Prozent vom blauen Fußbett und von sonst gar | |
nichts. Die Sandale war je kein Produkt, kein Umsatz. Die wollten wir für | |
die kranken Fälle zusätzlich machen. | |
Und aus Protest wurden jetzt auch die Orders für das Fußbett storniert. | |
Sehen Sie, in dieser Zeit waren Kinderschuhe spitz, Arbeitsschuhe spitz, | |
Kellnerschuhe spitz. Der Schuh als solcher war spitz. Es gab kein anderes | |
Angebot, außer beim Militär. Man trug so was nicht. Das war unanständig. Es | |
brach alles zusammen. Wir waren innerhalb von vierzehn Tagen am Ende. Die | |
Mode hat uns den Garaus gemacht. In dieser Zeit hatten wir zur | |
Unterstützung des Handels auch Prospekte gedruckt, die wir der Zeitschrift | |
Schuhmarkt beigelegt hatten. Was dazu führte, dass wir, ich sag mal die | |
Größenordnung, 20.000 Paar Musterbestellungen bekamen. Die haben wir | |
produziert, Material eingekauft, alles über Tag und Nacht, denn das musste | |
ja schnell weg. Und von diesen bekamen wir 95 Prozent wieder zurück – mit | |
Schmähbriefen. | |
Hui. Haben Sie da was aufgehoben? | |
Nein, natürlich nicht. Hab ich voller Wut weggeschmissen. Wir hatten also | |
die Einlagenumsätze nicht mehr. Dann haben wir Werbung gemacht. Darauf | |
kriegten wir . . . | |
Schmähbriefe . . . | |
Was viel schlimmer war, wir kriegten die Schuhe nicht bezahlt, sondern | |
bekamen die zurück. Wir waren, auf Deutsch gesagt, pleite. Da haben wir in | |
der Panik gesagt, jetzt helfen uns nur noch die Ärzte. Und haben das wieder | |
mit den Prospekten gemacht und die diesmal einer Ärztezeitung beigelegt. Da | |
war diese Abreißbestellkarte noch dabei, die zuvor an die Schuhhändler | |
addressiert gewesen war. Da hatten wir gar nicht drüber nachgedacht. Wir | |
wollten ja nur Unterstützung und keine Orders. Aber statt dessen kamen die | |
Aufträge. Wir dachten natürlich, die Ärzte zahlen doch nie den Ladenpreis. | |
Wir haben nicht damit gerechnet, dass das reibungslos ging. Aber dann haben | |
wir die ganzen Schuhe und darüber hinaus noch jede Menge produzieren müssen | |
und kriegten fast nichts zurück. Stattdessen hatten wir auf einmal tausende | |
von Anerkennungsbriefen. Alles innerhalb von vielleicht vier Wochen. | |
Unfassbar! | |
Dann hab ich mir von dem plötzlichen Geld eine Flugkarte nach New York | |
gekauft, wo ein Mann saß, der schon früher zu mir gesagt hatte, Mensch, | |
vergessen Sie den ganzen Mist, machen Sie Versandhandel. Der schickte mir | |
so ein Taschenbuch, das hab ich noch: „Your fortune in mailorder“, wo er | |
mit dem Verkauf unserer blauen Einlagen ein Beispiel war. Herr Oppenheimer | |
war das, ein deutscher Jude, der emigriert ist und dann Kunde bei uns war. | |
Wenn Sie eine solche Verbraucherwerbung gemacht haben, hat er gesagt, und | |
die hat Erfolg und sie ändern überhaupt nichts ab, sondern machen genau | |
dasselbe wieder, dann haben Sie auf das Komma genau denselben Erfolg. Das | |
ist so. Das ist Statistik. Das hab ich dann mehrmals gemacht und den | |
Prospekt wieder an die Ärzte geschickt. | |
An andere? | |
Nein, dieselben. Das war der Trick. Da hatte der ein Paar, und das war | |
wunderbar. Jetzt kam der Prospekt einen Monat später schon wieder. Da hat | |
der gesagt: Oh, meine Frau braucht auch ein Paar, und der Krankenschwester | |
hat er schnell auch noch welche spendiert. | |
Verstehe. | |
So war die Geschichte. Dann haben wir uns sehr viel Mühe gemacht, um in | |
kleinen Schritten in den Fachhandel reinzukommen. | |
Über die Sanitätshäuser? | |
Nein, über die Orthopädieschuhmacher. Sehen Sie, das Verhältnis zu den | |
Sanitätshäusern war schwer belastet, weil mein Vater mit den Verbänden | |
mehrere spektakuläre Prozesse geführt hat, als er nicht zurücknehmen | |
wollte, dass er geschrieben hat: Metalleinlagen ruinieren die Füße. Um 1970 | |
waren wir dann aber, wie gesagt, das erste Mal auf der Messe. | |
Die Zeit, als die ersten Hippies auftauchten und sich alternative | |
Lebenskultur herausbildete. | |
Das ist uns natürlich zustatten gekommen. Wenn heute Journalisten über | |
unsere Schuhe schreiben, taucht noch immer bei der Hälfte der Begriff „die | |
ehemaligen Hippiesandalen“ auf und „die Hippiesandalen sind salonfähig | |
geworden“ und solche Sachen. In Woodstock haben sehr, sehr viele unsere | |
Sandalen getragen. | |
Und in England lancierte Mary Quant die Minimode. | |
Ja, ja, die Miniröcke. Das weiß ich noch genau. Das war in den ersten | |
Jahren unserer Sandalen. Denn auf der ganzen Welt gab es kein Veloursleder | |
mehr. | |
Wie bitte? | |
Unsere Produktion stand still. Wir konnten für kein Geld der Welt . . . Ich | |
bin dann mit dem Wagen rumgefahren und hab bei den Gerbereien mit List und | |
Tücke bündelweise das Leder zusammengekratzt. Es wurde alles zu Miniröcken | |
verarbeitet. Das kam mit einem Hammerschlag weltweit. | |
Die Hippiemädchen, die sich in die Miniröckchen zwängten, und die | |
Woodstock-Fans, die auf Birkenstock standen, waren das zwei verschiedene | |
Gruppen? Oder gab’s da Interferenzen? | |
Also in diesen Jahren passierten die seltsamsten Überschneidungen. Ich weiß | |
noch, ich war da bei Herrn Oppenheimer, eine hoch elegante Erscheinung | |
übrigens, tolle Persönlichkeit. Der saß in der Fifth Avenue in einem | |
wunderschönen alten Gebäude und verkaufte unsere Einlagen. Dann hatte er | |
auch die ersten Sandalen, und ständig kamen Leute aus Greenwich Village zu | |
ihm rein, ein Künstlerviertel, wo die Grünen, die Hippies wohnten. Er saß | |
da elegant im weißen Hemd, und die kamen rein und staunten, Fifth Avenue im | |
Soundsobuilding – mit Birkenstock-Sandalen? | |
Die mussten da sozusagen ins Herz des Establishments. | |
Und ich musste mit Oppenheimer in meiner knappen Zeit auch noch nach | |
Greenwich Village, um zu verstehen, was das bedeutet. Das war die reinste | |
Idylle. Wir hatten tolles Wetter und saßen da in einem Gartenrestaurant auf | |
solchen Klapperstühlchen und sahen die Leute . . . | |
In Birkenstock . . . | |
Uniform. Das gehörte zur Aufmachung. Wir hatten in den USA dann einige | |
Jahre erhebliches Umsatzwachstum. Und da sagten irgendwann alle Kunden bei | |
einer Rundreise, was jetzt überraschend passiert, ist, dass alle diese | |
langhaarigen Jugendlichen, die man seit zwei Jahren bedient hat, jetzt mit | |
Mutter und Vater am Arm wiederkommen. Wobei die Mütter sich zum Teil nur | |
widerwillig da haben reinziehen lassen, wo sie vom Sprössling ein paar | |
Birkenstock verpasst kriegten. Da war es dann umgekehrt. Da haben die | |
Jugendlichen ihre Szeneschuhe, die ja eigentlich von Haus aus | |
Gesundheitsschlappen sind, wieder in die bürgerliche Welt reingeschleppt. | |
Im Tieffußbett gegen die Ästhetik der adretten Pumps und | |
zusammengequetschten Zehen. | |
So isses. | |
Bis die Yuppies in den Achtzigerjahren die Dress-for-Succes-Power-Klassik | |
einführten und Sandalen für untragbar erklärten. Erst die Flohmarktmode | |
Grunge machte die Birkenstocks wieder fashionable, als neue Antimode. | |
Dieses Antistatement ist immer ein wichtiger Punkt gewesen. Unsere Schuhe | |
waren an den Füßen der Grünen in Deutschland eine Demonstration der | |
Antigesellschaft. | |
Was in unserer unpolitischen Gegenwart zum Pro-Style-Statement mutiert. | |
Etwa wenn Birkenstocks die Füße englischer Designer, Moderedakteure und | |
Models bekleiden, wie dies gerade in den letzten ID-Magazinen zu | |
besichtigen war. Typisch Mode. | |
Ein Tieffußbett bleibt bestehn, Botschaften kommen und gehn. | |
Herr Birkenstock, wir bedanken uns für das Gespräch. | |
NIKE BREYER, 44, lebt als freie Journalistin in München. Zur Expo 2000 | |
gestaltet sie für den Schuhleistenfabrikanten FAGUS im FAGUS-Werk in | |
Alfeld-Hannover die Ausstellung „Leisten, Schuhmode und Passform im 20. | |
Jahrhundert“ (1. Juni bis 31. Oktober)ERIK-JAN OUWERKERK, geboren in Zeist | |
(Niederlande), arbeitet seit zwölf Jahren als Fotograf und lebt in Berlin. | |
Er legt Wert auf die Feststellung, dass die abgebildeten Sandalen nicht aus | |
seinem Besitz stammen | |
15 Apr 2000 | |
## AUTOREN | |
NIKE BREYER | |
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