# taz.de -- Carl macht Karl wieder lesenswert | |
> Die Linke hat seit einiger Zeit Carl Schmitt, den Kronjuristen Hitlers, | |
> für sich als Theoretiker entdeckt. Chantal Mouffe hat zu dieser seltsamen | |
> Leidenschaft nun einen bemerkenswerten Band herausgegeben | |
„Uns hat ein Trotzki gefehlt.“ | |
Ernst Jünger an Carl Schmitt, 2. 5. 1981 | |
Das Wort „Klassiker“ hat in den Ohren von Marxisten einen besonderen Klang. | |
Und Carl Schmitt ist auf dem besten Wege, ein Klassiker zu werden. Er hat, | |
was alleine schon beachtlich ist, in den vergangenen beiden Jahrzehnten | |
eine beträchtliche Lesergemeinde unter Linken gefunden und zudem wachsende | |
internationale Aufmerksamkeit. In diesem Kontext hat | |
Louis-Althusser-Schülerin Chantal Mouffe das bemerkenswerte Buch „The | |
Challenge of Carl Schmitt“ herausgegeben – bei „Verso“, dem Verlag der | |
linken Londoner Publizistik. Sozialistische Theoretiker aus Frankreich, | |
Griechenland, Großbritannien, US- und Südamerika versuchen darin eine neue | |
Schmitt-Lektüre, die über den deutschen Diskurs hinausgreift. | |
Schmitt, der reaktionäre Staats-Macher, konservative Revolutionär in den | |
20ern und frühen 30ern, „Kronjurist“ Hitlers nach 1933, geächteter | |
Privatier nach 1945, ist immer noch ein verstörendes Phänomen. Was wollen | |
Linke von ihm lernen, besser: Was glauben sie gerade jetzt von ihm lernen | |
zu können? | |
Mit Schmitt, so Chantal Mouffe, ließe sich gegen die Illusionen einer | |
liberal gewordenen Linken argumentieren, die den Sinn für den eminenten | |
Konflikt-Charakter von Politik verloren hat: „Worauf es ankommt, ist die | |
Möglichkeit, eine Demarkationslinie zu ziehen.“ Die Illusion, dass es nur | |
mehr „richtige“ und „falsche“ politische Antworten – auf im Wesentlic… | |
ökonomische Fragen – gäbe, ist nicht nur ein liberales | |
Selbstmissverständnis, dem zuvorderst die sozialdemokratischen Adepten des | |
„Dritten Weges“ anhängen, sie etabliert nicht nur ein Vakuum in der Sphäre | |
des Politischen, das mindestens zur unpolitischen Abkehr von demokratischer | |
Politik, wenn nicht gar zum Aufstieg einer populistischen Rechten beitrage | |
– sie kumuliert zudem notwendig in der „gegenwärtigen Dominanz des | |
Ökonomischen über das Politische“. Der liberale Glaube, so ließe sich im | |
Anschluss an und mit Schmitt formulieren, „verfehlt das Spezifische des | |
Politischen“. | |
Entsprechend will diese Kritik an den ökonomischen „Neutralisierungen“ den | |
Staat wieder in sein Recht zu setzen. „Politische Theoretiker der Linken“, | |
schreibt der Philosoph David Dyzenhaus in seinem Beitrag, „stimmen mit | |
Schmitts zentralem Ziel überein. ... Sie möchten den Staat aus der | |
Situation des allgemeinen Misskredits retten. ... Die moralische Krise des | |
Staates reflektiert den Konsens in der politischen Mitte, wonach die Rolle | |
des Staates im öffentlichen Leben sich auf wenige Essentials reduzieren | |
solle.“ Diese hegemoniale Vorstellungsreihe des liberalen Zentrums und der | |
Rechten ließe sich mit Schmitts Argumenten effektvoll bekämpfen. | |
Schmitt als Denker des antagonistischen Charakters des Politischen, der | |
Fürsprecher des Staates gegenüber seinen technisch-ökonomischen | |
Unterspülungen muss einen spezifischen Reiz auf eine Linke in der Defensive | |
haben. Doch darüber hinaus könnte Schmitt auch hilfreich sein, den Fundus | |
linker Tradition selbst zu sichten, wie der argentinische Theoretiker Jorge | |
E. Dotti in seinem aufregenden Essay „From Karl to Carl: Schmitt as a | |
Reader of Marx“ andeutet. Für Schmitt hatte das Marxsche Denken immer einen | |
Doppelcharakter, dessen beide Elemente in Hegel wurzelten: einerseits der | |
ewige, notwendige und objektive Prozess-Charakter der dialektischen | |
Bewegung, die streng besehen des Eingriffs des Einzelnen, einer Gruppe, | |
einer Klasse nicht bedürfe – darin gründeten alle späteren | |
„deterministischen“ Marx-Deutungen; andererseits der bewusste Akt des | |
Individuums im Zustande des „Für-sich-Seins“, bei Marx die Aktion der ihrer | |
Mission bewussten Klasse. Zwei Elemente, die in einer ewigen Spannung | |
lagen. Die Vision des „extremen existentiellen Konflikts“ war es, die | |
Schmitt an Marx interessierte, aller positivistischen Verzerrungen zum | |
Trotz. „Neu und fasziniered war am Kommunistischen Manifest“, heißt es in | |
Schmitts Schrift über „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen | |
Parlamentarismus“: „die systematische Konzentrierung des Klassenkampfes zu | |
einem einzigen, letzten Kampf ..., zu einem dialektischen Höhepunkt der | |
Spannung“. Selbst die „Klasse“ war, derart hegelisch gedacht, mehr als ei… | |
ökonomische oder soziologische Kategorie, sondern am Ende der „Vortrupp des | |
Weltgeistes“. Die proletarische Diktatur konnte sich somit nie bloß aus | |
Objektivem ergeben – denn ein objektiver Geschichtsprozess braucht weder | |
Schrittmacher noch Geburtshelfer –, sondern markierte den Moment des | |
heroischen Eingriffs ins Weltgeschehen. | |
Am Ende einer linken Geschichte, deren Glaube, sie habe „die Geschichte“ | |
auf ihrer Seite, bitter enttäuscht wurde, erhält eine solche Marx-Lektüre | |
eine neue, paradoxe Aktualität. So wird Marx’ „Kapital“ plötzlich wiede… | |
wie von Schmitt – als „Kritik der Zeit“ gelesen. Es gibt diese mehr | |
untergründige als bereits fest ausformulierte Ahnung, dass Marx, „mit den | |
Augen Schmitts“ gelesen, eine neue Aktualität entfalten könnte. Sie | |
begründet die beachtliche Resonanz von Schmitt in den Zirkeln der | |
intellektuellen Linken, und das Buch von Chantal Mouffe ist ein hilfreiches | |
Mittel, die wesentlichen Elemente dieser erstaunlichen Renaissance zu | |
verstehen. Das Buch sei nicht nur Schmitt-Forschern empfohlen. Es liefert | |
Wesentliches für alle jene, die sich über eine Rekonstruktion linken | |
Denkens und linker Politik Gedanken machen – selbst dann, wenn man daran | |
zweifeln mag, ob eine solche Linke unbedingt im Fahrwasser des rechten | |
Kronjuristen segeln muss; und es ist in jedem Fall bedenkenswert für die, | |
die immer noch auf eine „liberale“ Wende der Linken setzen. ROBERT MISIK | |
Chantal Mouffe (Hg.): „The Challenge of Carl Schmitt“. Verso, London 1999 | |
25 Apr 2000 | |
## AUTOREN | |
ROBERT MISIK | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |