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Das Grundgesetz verpflichtet den Staat dazu, Ehe und Familie besonders zu | |
schützen. Verstößt er dagegen, wenn er eine „Eingetragene Partnerschaft“ | |
für Homosexuelle einführt? Eine Erörterung | |
von CATHARINA RETZKE | |
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen | |
Ordnung.“ Ganze elf Worte umfasst Art. 6 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) | |
und bietet damit Anlass genug für heftige Debatten zwischen | |
Rechtspolitikern, Wissenschaftlern und Lobbyisten. Vor allem über das | |
Wörtchen „Ehe“ wurde in den letzten Monaten kontrovers diskutiert – seit | |
nämlich der Entwurf der Regierungskoalition für ein | |
„Lebenspartnerschaftsgesetz“ vorliegt. Verfassungswidrig oder nicht – da | |
scheiden sich die Geister. | |
Nach allgemeiner Ansicht kommen Art. 6 Abs. 1 GG drei Funktionen zu: Er ist | |
wertentscheidende Grundsatznorm, Individualgrundrecht und | |
Institutsgarantie. | |
In seiner Eigenschaft als wertentscheidende Grundsatznorm erlegt Art. 6 | |
Abs. 1 GG dem Staat die Pflicht auf, Ehe und Familie zu fördern sowie | |
Störungen von außen abzuwehren. Es darf keine Gesetzeslage geschaffen | |
werden, die Ehegatten im Vergleich zu unverheirateten Paaren oder | |
Einzelpersonen benachteiligt. Für das Verhältnis zwischen Ehe und anderen | |
Lebensgemeinschaften bedeutet dies, dass Ehegatten gegenüber Letzteren | |
nicht schlechter gestellt werden dürfen und die Bereitschaft zur | |
Eheschließung nicht beeinträchtigt werden darf. | |
Eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber homosexuellen Paaren stellt | |
die vorgesehene Regelung aber gerade nicht dar. Denn selbst die Einführung | |
eines Eheschließungsrechts für Homosexuelle hätte lediglich eine | |
Gleichstellung zur Folge, nicht ihre Besserstellung. Was die Bereitschaft | |
zur Eheschließung angeht, besteht nicht einmal eine echte | |
Konkurrenzsituation zwischen Ehe und „eingetragener Partnerschaft“. Die | |
Partnerwahl wird gemeinhin von der sexuellen Orientierung bestimmt und | |
nicht von der Tatsache, dass in der einen Konstellation die Ehe möglich ist | |
und in der anderen nicht. Daher könnte die Homoehe Eheschließungen zwischen | |
Heterosexuellen nicht beeinträchtigen. | |
Die zweite Funktion des Art. 6 Abs. 1 GG ist die eines | |
Individualgrundrechts, das als Abwehrrecht vor staatlichen Eingriffen | |
schützt: Die Ehe soll einen gegen Umwelt und Staat abgeschotteten Intim- | |
und Autonomiebereich bilden. Nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus | |
sollte Art. 6 Abs. 1 des neuen Grundgesetzes das Bekenntnis des Staats zu | |
Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit des Menschen deutlich machen. | |
Denn während des Dritten Reichs hatte sich der Staat massiv in die private | |
Lebensgestaltung eingemischt, zum Beispiel indem er Zwangsscheidungen von | |
jüdischen Ehegatten anordnete. Die Zulassung einer Eingetragenen | |
Partnerschaft für Homosexuelle wäre verfassungswidrig, wenn dadurch | |
Ehepaare in ihrer privaten Lebensführung eingeschränkt würden. Dass dies | |
der Fall wäre, behaupten nicht mal die schärfsten Gegner des | |
Gesetzentwurfs. | |
Schließlich stellt Art. 6 Abs. 1 GG eine so genannte Institutsgarantie dar. | |
Ehe und Familie werden als Institutionen in Staat und Gesellschaft | |
rechtlich garantiert, können also nicht einfach abgeschafft werden. | |
Juristen verstehen in diesem Zusammenhang unter „Abschaffung“ auch eine so | |
starke inhaltliche Veränderung, dass der Kernbereich der Ehe betroffen | |
wird. Was diese unveränderbare „Fundamentalstruktur“ der Ehe angeht, | |
spielen in der Diskussion um die Homoehe vor allem zwei Aspekte eine Rolle. | |
Zum einen wird von manchen behauptet, die verfassungsrechtliche | |
Privilegierung der Ehe beruhe darauf, dass sie die Grundlage der Familie | |
bilde. Homosexuelle könnten keine Kinder bekommen und würden deshalb auch | |
nicht vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst. Könnten sie heiraten, | |
käme dies der Abschaffung der Ehe gleich. Untermauert wird dieses Argument | |
mit der Weimarer Reichsverfassung, die als Vorbild für das Grundgesetz | |
fungierte. Dort hieß es in Art. 119, dass die Ehe „als Grundlage des | |
Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem | |
besonderen Schutz der Verfassung“ stehe. Diese Zweckbestimmung sei für das | |
Grundgesetz nur aufgrund eines redaktionellen Versehens gestrichen worden. | |
Man habe sich das Eheverständnis der Weimarer Verfassung durchaus zu Eigen | |
machen wollen. Plausibler erscheint jedoch die Annahme, die neue Verfassung | |
habe gerade eine Abkehr von Ehestandsdarlehen und Mutterkreuz angestrebt. | |
Die Grundrechte sollten um ihrer selbst willen und nicht wegen ihres | |
sozialen Nutzens gelten. | |
Weiterhin spricht gegen die These, dass in Art. 6 Abs. 1 GG die Begriffe | |
Ehe und Familie gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der | |
verfassungsrechtliche Schutz der Ehe soll sich eben nicht in ihrer Funktion | |
als Keimzelle der Familie erschöpfen. Vielmehr wird vor allem auch die | |
„Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft“ der Partner abgesichert. | |
Überdies ist es allgemeiner Konsens unter Juristen, dass der Wille, die Ehe | |
zu einer Familie heranwachsen zu lassen, nicht Voraussetzung für deren | |
verfassungsrechtlichen Schutz ist. So soll das Grundgesetz auch die | |
kinderlose Ehe, die so genannte Totenbettehe und sogar die Scheinehe | |
absichern. Das macht Sinn, denn sonst müsste man die Verbindung auflösen, | |
sobald die Kinder das Haus verlassen oder sich einer der Partner als | |
unfruchtbar herausstellt. | |
Wenn also Oma Böhlke ihren Nachbarn Opa Kuschinski heiratet, steht völlig | |
außer Frage, dass diese Verbindung unter dem Schutz der Verfassung stehen | |
soll. Es geht dabei offensichtlich nicht um Kinder. Sondern um Liebe und | |
Füreinandereinstehen. Das ist in Ordnung. Doch wo liegt dann noch der | |
Unterschied zu einer homosexuellen Verbindung? Auch hier haben sich zwei | |
Menschen zusammengefunden, die sich lieben und voreinander Respekt haben. | |
Nur weil es angeblich unserer Werteordnung widerspricht, soll dieses Paar | |
nicht in den Genuss von erbrechtlichen Privilegien und Ehegattensplitting | |
kommen? Das ist bigott. In Wirklichkeit soll hier Heterosexualität als | |
wertewahrender „Normalfall“ belohnt werden. Deshalb lässt es sich ohne | |
weiteres vertreten, Homosexuelle, auch wenn sie keine eigenen Kinder | |
bekommen können, in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG einzubeziehen. | |
Der zweite Aspekt betrifft das konventionelle Verständnis der Ehe. Unter | |
Ehe versteht man landläufig eben noch immer die Verbindung von Mann und | |
Frau. In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht 1959 | |
entschieden, und darauf berufen sich die Gerichte seither. Würde man diese | |
Vorstellung antasten, wäre der unveränderliche Kernbereich des | |
Ehegrundrechts betroffen, so die konservativen Kritiker. | |
Aber herrschende Auffassungen und Konventionen können sich ändern. Die | |
Strukturen von Lebensgemeinschaften haben sich seit 1959 erheblich | |
gewandelt. Neben der Ehe mit Kindern gibt es heute vielfältige Formen des | |
Zusammenlebens: allein erziehende Mütter und Väter, Patchworkfamilien, | |
unverheiratete heterosexuelle Paare mit und ohne Kinder und eben auch | |
homosexuelle Paare – meist ohne, aber auch mit Kindern. Angesichts dieser | |
Gegebenheiten wäre es eigentlich an der Zeit, nicht nur die bürgerliche Ehe | |
von Verfassungs wegen zu schützen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht | |
1993 festgestellt, ein grundlegender Wandel des Eheverständnisses dahin | |
gehend, dass die Geschlechtsverschiedenheit der Partner kein entscheidendes | |
Kriterium der Ehe mehr ist, sei bislang nicht erkennbar. Deutschlands | |
höchstes Gericht hat damit jedoch zugleich deutlich gemacht, dass ein | |
solcher Wandel zumindest denkbar wäre. | |
Ob dies inzwischen, nur sieben Jahre später, der Fall sein könnte, ist | |
ungewiss. Wahrscheinlich auch deshalb nennt Rot-Grün das Kind nun | |
„Eingetragene Partnerschaft“ und nicht „Ehe“. Die Macher des vorliegend… | |
Gesetzentwurfs lavieren zaghaft und halbherzig herum, wollen sie doch im | |
Bereich des politisch Machbaren bleiben. Zwar will man einen gesicherten | |
Rechtsrahmen für zusammenlebende homosexuelle Paare schaffen. Auch ist von | |
gegenseitiger Verantwortung, Fürsorge und Unterstützung die Rede. Aber | |
während alle Welt schon von der „Homoehe“ spricht, heißt es in der | |
Begründung des Entwurfs, dass zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft | |
aus Rücksicht auf das Grundgesetz zu unterscheiden sei. Geschaffen werden | |
solle ein familienrechtliches Institut unterhalb der Ehe, das die | |
Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare abbaut. | |
Mutiger und ehrlicher wäre es gewesen, gleich den ganzen Schritt zu tun. | |
Nichts spricht gegen eine Heirat homosexueller Paare, verbunden mit der | |
weitgehendsten Gleichstellung mit heterosexuellen Ehen. Gleichzeitig müsste | |
man jedoch eine Eingetragene Partnerschaft für alle Arten von | |
Geschlechtsgemeinschaften schaffen. Denn unter dem Gesichtspunkt des | |
Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) bewegt sich der vorliegende | |
Gesetzentwurf auf dünnem Eis. Schließlich ist nicht zu erklären, warum | |
homosexuelle Paare eine Eingetragene Partnerschaft eingehen können und | |
heterosexuelle nicht. Das Argument, dass Letztere ja heiraten könnten, | |
überzeugt nicht. Denn auch heterosexuelle Paare können ein Interesse daran | |
haben, zwar gegenseitig Verantwortung füreinander zu übernehmen, aber nicht | |
gleich mit sämtlichen Eherechten und -pflichten beladen zu werden. Eine | |
erleichterte Scheidung und nur eingeschränkte Unterhaltsverpflichtungen, | |
wie sie der Entwurf vorsieht, müssten auch ihnen zugute kommen. | |
Ein solches Vorgehen würde zudem erheblich mehr Rechtssicherheit für | |
nichteheliche Lebensgemeinschaften mit sich bringen. Denn in rechtlicher | |
Hinsicht werden momentan die Partner teils wie Verwandte, teils wie | |
Ehegatten behandelt; die Einordnung ist oft willkürlich und nicht mehr | |
vorhersehbar. Und: Eine solche Regelung wäre wesentlich übersichtlicher. So | |
wie zum Beispiel in Dänemark. Gerade mal sieben Paragrafen umfasst das | |
dänische Partnerschaftsgesetz. Der derzeitige deutsche Entwurf dagegen ist | |
ein barockes Gebilde, das jede Folgeänderung bis hinein in die | |
Schornsteinfegerverordnung beachtet. Bei uns wird Recht eben immer noch von | |
Erbsenzählern gemacht und nicht von Visionären. Schade. | |
CATHARINA RETZKE, 26, ist Journalistin und arbeitet derzeit als | |
Rechtsreferendarin in Regensburg. | |
11 Nov 2000 | |
## AUTOREN | |
CATHARINA RETZKE | |
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