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> Welt-Aids-Tag: Das Geld für die Opfer des HIV-Bluterskandals wird knapp – | |
> dank neuer Medikamente leben sie länger als erwartet. Jetzt soll bis 2017 | |
> gestorben werden. Der HIV-infizierte Thomas D’Angelo protestiert: Er will | |
> mehr Zeit und mehr Geld | |
von RALF GEISSLER | |
Spätestens 2017 soll Thomas D’Angelo tot sein. Länger, so rechnet man im | |
Bundesgesundheitsministerium, wird kein Bluter leben, der sich Mitte der | |
Achtzigerjahre über Blutkonserven mit HIV infiziert hat. Deshalb soll der | |
Opferfonds nun maximal bis 2017 reichen. „Das ist zynisch“, sagt D’Angelo. | |
„Der Entschädigungsfonds darf keine zeitliche Begrenzung mehr haben. Schon | |
einmal haben Politiker unsere Haltbarkeit unterschätzt.“ Als die | |
Entschädigungsstiftung eingerichtet wurde, ging man davon aus, dass schon | |
2010 kein Opfer mehr leben würde. Das war ein Irrtum. Dank neuer | |
Medikamente überleben die Opfer die makabre Frist. Das Kapital der ersten | |
Einzahlung wird schon 2004 verbraucht sein. | |
Thomas D’Angelo will nicht nur, dass der Opferfonds automatisch und | |
zeitlich unbegrenzt aufgestockt wird, bis der letzte Zahlungsempfänger tot | |
ist. Er will auch mehr Geld. Für die ersten zehn Jahre seiner Infizierung | |
hat er 68.000 Mark erhalten. Seit 1995 überweist ihm die Stiftung monatlich | |
3.000 Mark. Er lebt davon mit seiner Frau, die ihn pflegt. „Es gibt Leute, | |
die meinen, das sei viel“, sagt D’Angelo. „Aber ich zahle mit einem früh… | |
Tod.“ Die Kritiker wüssten nichts von den schlaflosen Nächten, der | |
ständigen Todesangst und den Nebenwirkungen der Aidsmedikamente. | |
„Die Pharmaindustrie hat unseren Tod aus Profitgier in Kauf genommen, und | |
jetzt speist sie uns aus der Portokasse ab.“ Das hat Thomas D’Angelo an | |
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse geschrieben und an achtzig weitere | |
Abgeordnete. Er hat eine Petition im Bundestag eingereicht, eine | |
Internetseite eingerichtet, ist über vier Telefonnummern für Anfragen der | |
Parlamentarier immer erreichbar – und er hat die Opfer gespalten. | |
„Ich glaube, dass sein Aktionismus mehr kaputtmacht, als er uns nutzt“, | |
klagt Wilfried Breuer. Natürlich würde auch er mehr Geld nehmen. „Aber mehr | |
als die monatliche Rente von 3.000 Mark ist nicht rauszuholen“, sagt | |
Breuer. Er sitzt als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Hämophiler mit | |
am Tisch, wenn Bundesregierung, Länder, die Pharmaindustrie und das Rote | |
Kreuz darüber verhandeln, wie die Aufstockung des Entschädigungsfonds bis | |
2017 aufgeteilt wird. Die Bundesregierung hat bereits einen Anteil von 68 | |
Millionen Mark zugesagt. Die Pharmaindustrie hat zumindest Bereitschaft | |
signalisiert, sich wieder zu beteiligen. „Solange ihr Anteil nicht | |
feststeht, schadet es nur, wenn man die Konzerne als Mörder hinstellt“, | |
sagt Wilfried Breuer. Er fürchtet, dass D’Angelos Äußerungen dazu führen, | |
dass die Pharmakonzerne am Ende ihren Anteil reduzieren und dann sogar die | |
Weiterzahlung der Hilfen bis 2017 gefährdet ist. Breuer hat sich nach | |
langen, zermürbenden Verhandlungen mit seinem Schicksal abgefunden. | |
Thomas D’Angelo muss kämpfen. Er hat zu lange geschwiegen. „Als meine Ärz… | |
1985 bei einer Routineuntersuchung HIV feststellten, haben sie mir gesagt: | |
Du kannst schweigen und weiterleben wie bisher, oder du kannst reden und | |
bist dann allein.“ Aids galt damals als schmutzige Krankheit, Thomas | |
D’Angelo war gerade 17, und er wollte nicht allein sein. Also weihte er nur | |
seine künftige Frau ein. Als der Skandal bekannt wurde und die | |
Öffentlichkeit erfuhr, dass mehr als 1.400 Bluter in der Bundesrepublik | |
über Gerinnungsmedikamente mit HIV infiziert worden waren, fragte kein | |
Freund von Thomas D’Angelo nach, ob es auch ihn getroffen habe. | |
Sein Schweigen bewährte sich, bis er am 14. August 1999 unter dem Druck | |
seiner Ängste zusammenbrach. „Er hat geweint, nach seinen Eltern geschrieen | |
und immer wieder gerufen: Ich will nicht sterben!“, erinnert sich seine | |
Frau Alice. Nach dieser Nacht redete er erst mit seinem Vater, dann mit | |
seinen Freunden und Nachbarn. Die über Jahre angestaute Verbitterung setzte | |
Thomas D’Angelo schließlich in Energie für seine Forderungen um. | |
„Für uns ist die Frage der Angemessenheit der Entschädigungen beantwortet�… | |
sagt Frank Butschbacher, Pressesprecher bei der Firma Baxter. Baxter hat | |
das verseuchte Blutermedikament geliefert, das Thomas D’Angelo damals | |
infizierte. Den Vorwurf, man habe nichts getan, um die Infizierung zu | |
verhindern, weist Butschbacher zurück. „Kein Unternehmen rottet seine | |
Kunden absichtlich aus.“ Dennoch sei man bereit, erneut in den Fonds | |
einzuzahlen. Mehr Geld als bisher werde D’Angelo aber nicht bekommen, da er | |
mit der Annahme der ersten Entschädigung wie alle Opfer schriftlich auf | |
weitere Forderungen verzichtet habe. „Die Unterschrift wurde uns | |
abgepresst“, erwidert der Betroffene. „In vierzehn Tagen mussten wir uns | |
entscheiden, ob wir das Angebot annehmen oder ganz verzichten.“ | |
D’Angelo weiß, dass den Pharmaunternehmen rechtlich nicht beizukommen ist, | |
und hofft deshalb auf moralischen Druck. Unterstützung haben ihm bereits | |
Horst Seehofer, Rita Süssmuth und Norbert Blüm zugesagt. Seehofer war zur | |
Zeit der Einrichtung der Entschädigungsstiftung Bundesgesundheitsminister | |
und hatte schon damals in seltener Offenheit erklärt, die Vereinbarung | |
zwischen Bundesregierung, den Ländern, der Industrie und dem Roten Kreuz | |
sei eine „Billiglösung“ und nur unter zeitlichem Druck zustande gekommen. | |
Man habe vermeiden wollen, dass die Opfer noch länger keine Rente erhalten. | |
Im Gegensatz zur Opposition schweigt die Regierung, denn die müsste sich | |
finanziell stärker beteiligen, wenn die Entschädigungen tatsächlich erhöht | |
würden. Derzeit wird D’Angelos Forderung in diversen Ausschüssen und im | |
Gesundheitsministerium beraten. | |
In Japan haben Opfer HIV-verseuchter Transfusionen 1996 eine einmalige | |
Summe von 630.000 Mark sowie eine monatliche Rente von bis zu 2.000 Mark | |
bekommen. Auch das deutsche Unternehmen Bayer musste zahlen, das in Japan | |
15 Prozent Marktanteil hält. Thomas D’Angelo fände einen Betrag wie in | |
Japan angemessen. Nicht nur weil er Aids hat, sondern weil er bei der | |
Transfusion auch mit Hepatitis C infiziert wurde. „Dafür habe ich noch gar | |
nichts bekommen.“ | |
1 Dec 2000 | |
## AUTOREN | |
RALF GEISSLER | |
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