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# taz.de -- Das Gefühlsleben der Graswurzelaktivistin
> Die Ballade von Ani DiFranco: die ersten Kassetten aus dem Kofferraum
> verkaufen, den Lockrufen der Plattenkonzerne widerstehen und mit eigenem
> Independent-Label Arbeitsplätze schaffen. Die US-Folksängerin mit
> Community-Anbindung besitzt mit ihrer One-Woman-Show längst
> Vorbildfunktion
von ANDREAS BECKER
Die Legende geht so: Als Kind der ausgehenden Flower-Power-Tage stolperte
Ani DiFranco, geboren 1970, manchmal beim morgendlichen Gang zur
Cornflakes-Schachtel über leicht angeschmuddelte Langhaarige in
Schlafsäcken, die neben ihren Gitarren im Flur übernachtet hatten. Denn
ihre Eltern ließen öfter Folkmusiker bei sich übernachten, die gerade auf
Tramp- und Konzerttour waren. Anderen Kids hätte diese Erfahrung
wahrscheinlich gereicht, eine gesunde Skepsis gegenüber Gitarren zu
entwickeln und später die Republikaner zu wählen. Nicht so die kleine Ani.
Im letzten Wahlkampf unterstützte sie aktiv den alternativen Kandidaten
Ralf Nader. Und schon mit zehn Jahren soll sie in den Bars ihres
Heimatstädtchens Buffalo im Staate New York eigene Liedchen zum Besten
gegeben haben. Irgendwann begannen die Leute halt, sie zu fragen, ob sie
denn nicht mal eine Kassette von ihr kaufen könnten. Keine besondere Sache
eigentlich – wer einmal in den Neunzigern in der CBGB’s Gallery in New York
City die Folk-Abende erlebt hat, kennt das: für höchstens fünf Dollar
Eintritt spielten sechs, sieben nicht gerade untalentierte Musiker vor
vielleicht achtzig Leuten – wenn viel los war.
Ich kaufte dort mal eine Single, selbst produziert, von einer Sängerin
namens Valerie Stadler, „Songs Of Alienation“. Auf dem schwarzweißen,
gemalten Cover sitzt eine Frau auf einem Motorrad. Ihren Weg versperren
zwei verbeulte, ausgelaufene Atomfässer, und hinter ihr zerbricht die
Skyline in Stücke. Die Platte ist von 1990.
Valerie Stadler hat wahrscheinlich nie einen Plattenvertrag bekommen. Ani
DiFranco aber soll schon 1990 einen Kompositionshaufen von über 100
eingängigen Stücken angesammelt haben. Mit ihrem klapprigen Auto tingelte
sie durch halb Nordamerika, schrammelte bei College-Radios vorbei und
stellte sich mit offenem Kofferraum auf den Campus so mancher Uni. Hatten
die Studis nicht genau diese Frau gestern in ihrem Lokalradio gehört?
So kam das kleine Ani-Rad in Schwung und wurde langsam größer und
schneller. Nachdem sie immer mehr Tapes verkaufte, erhielt sie gleich
mehrere Angebote von interessierten Plattenfirmen. Sie schlug sie aus. Sie
hatte nicht vergessen, dass die Plattenkonzerne sie, wie anfangs die wild
wuchernde Neofolkszene überhaupt, verschmäht hatten. Und sie war überzeugt,
dass, wer gegen den Golfkrieg, die Todesstrafe und George Bush war, auch
gegenüber den Warner-Brüdern und Konsorten misstrauisch sein sollte.
Noch heute, wo sie, wie kürzlich in Berlin, eher vor 3.000 als vor 300
Leuten spielt, will und braucht sie keinen Major-Vertrag. Mit ihrer Firma
Righteous Babe-Records hat sie volle Kontrolle über ihr eigenes Produkt,
und vom Bürgermeister ihrer Heimatstadt Buffalo wird sie dafür sogar
gelobt: Sie habe viel für das Örtchen getan, unter anderem auch rund
fünfzehn Arbeitsplätze geschaffen. Die New York Times nennt sie ein
„Ein-Frau-Stadterneuerungsprojekt für Buffalo“.
Ihre Grassroots-Strategie setzt sie so konsequent um, dass sich sogar
Prince an ihrem Vorbild orientierte, als er Krach mit seiner Plattenfirma
anfing und deshalb seinen Namen stornierte. Und ihre Independentfirma geht
derzeit mit Expansionsplänen schwanger. Demnächst will man dort auch
rebellische Bücher verlegen. Und inzwischen nimmt das Label auch andere
unter Vertrag, die schlechte Erfahrungen mit der Industrie gemacht haben,
etwa den Avantgardegitarristen Arto Lindsay.
Ani DiFranco selbst, das Arbeitstier, hat in nur zehn Jahren so um die
fünfzehn Platten veröffentlicht. Längst werden die Manager der
multinationalen Medienkonzerne die quirlige 1,58 Meter Frau auf ihre engere
Watchlist gesetzt haben. Denn was sie bei vielen Acts auch mit großem
kommerziellem Aufwand nicht hinkriegen – die Produktion von Musik mit
authentischem Naturgeschmack und jeder Menge Street Credebility – das
gelingt Ani wie von selbst. Nicht ohne die Fähigkeit zur Selbstvermarktung:
Amerikanisch-pragmatisch, hat sich ihre One-Woman-Show zum Markenartikel
entwickelt. Rufen Sie Ani an, gebührenfrei unter 1-800-On-Her-Own.
Viele ihrer Fans stammen aus den Frauen- und Lesbenszenen der USA. Dort
löste die Meldung von einem Boyfriend denn auch eine mittlere Aufregung aus
– manche behaupteten gar, sie hätte heimlich geheiratet. Die
Community-Anbindung dürfte Ani DiFranco in den ersten Jahren geholfen
haben, sich am Rande der Musik-Medien-Männerwelt durchzuboxen. Manchmal ist
ihr diese Zustimmung, die sich bei ihren Konzerten in Beatles-artigen
Kreischeinlagen äußert, aber nicht mehr nur angenehm. „Wenn es nur eine
Zeile um Frauenpower geht, gibt es ein lautes Freudengeheul“, empörte sie
sich im Berliner Gay-Magazin Siegessäule. Das verletzte sie. „Alle anderen
Vorstellungen und Gedanken werden scheinbar übersehen. Ich bin so viel mehr
als nur wütend.“
Vor allem aber ist sie allgemein politisch wütend: Bush Jr. sei „ein
Arschloch. Aber das sind wir ja gewöhnt.“ Ihre neue Doppel-CD splittet sich
thematisch in zwei Teile: „Revelling“ heißt die fröhlichere, neuerdings
auch funkige Seite zum Sich-selbst-und-andere-„feiern“. Mister Maceo Parker
persönlich trötet und singt dort mit. Er ist übrigens der Einzige, der im
Booklet mit vollem Namen auftaucht. Ansonsten werden alle ganz hippieesk
mit ihren Vornamen vermerkt. Drums: Daren.
Die Kehrseite der CD gilt wie gehabt, knallhart poetisch die Gitarre
zirpend, der politischen „Abrechnung“ („Reckoning“). Da schießt Ani
DiFranco mal wieder aus allen Rohren aufs Establishment, als wollte sie den
revolutionären Elan ihrer Hippieeltern toppen. Doch Ani wäre nicht Ani,
wenn sie die Übel des Schweinesystems nicht in anschauliche Bilder
gravieren würde: Sie liegt im Krankenhaus und da fällt ihr auf, dass die
Multis auch schon den Sauerstoff, den sie atmet, unter ihre Kontrolle
gebracht haben. „The mighty multinationals have monopolized the oxygen. So
it’s easy as breathing for us all to participate.“
Sollte sie sich und ihr Label eines fernen Tages doch an irgendeinen
Medienmogul verhökern, dann können ihre Fans ihr ihre eigenen Zeilen
vorhalten. Aber noch macht sie ja alles richtig: Mit den vier Dollars, die
sie (statt nur zwei, wie andere Musiker) pro CD verdient, bezahlt sie auch
Anwälte, die versuchen, Todeskandidaten aus US-Knästen rauszukriegen. Und
solange ein Mann wie Bob Dylan mehr geachtet wird als ihr Vorbild Joni
Mitchell, vergisst sie auch ihre feministische Ader nicht.
So ein DiFranco-Konzert hat immer auch etwas von einer politisch-religiösen
Messe. So richtig gegenwärtig kommt das einem nicht vor. Aber was wäre die
Gegenwart ohne Menschen mit Gitarren, die einst in der WG-Küche
rumschrammelten.
Ani DiFranco: „Revelling“ / „Reckoning“ (Righteous Babe Records)
4 May 2001
## AUTOREN
ANDREAS BECKER
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