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# taz.de -- Der CDU bricht das Herz
> Eberhard Diepgen erinnert im Abgeordnetenhaus selbst die CDU schon an die
> tote „Königin der Herzen“. Seine letzten 48 Stunden als Regierender
> laufen. Die kommende Koalition ist amüsiert
von ROBIN ALEXANDER
Wer in diesen Tagen eine Reise nach Berlin unternimmt, der kann wirklich
etwas erleben. Kurz vor eins treten Marianne und Hans-Olaf Mückel aus der
Ausstellung „Europas Mitte um 1000“ im Gropius-Bau in die Mittagssonne und
geraten unverhofft in ein Gewitter. Nicht Blitz und Donner, sondern eine
Horde Fotografen erschreckt das Württemberger Ehepaar. Die Bildjournalisten
prügelt sich wie Paparazzi um Aufnahmen des äußerlich eher unspektakulär
wirkenden SPD-Chefs Peter Strieder, der gerade das Abgeordnetenhaus
betritt. Flüche beantworten die Information eines Kollegen: „Diepgen und
Wowereit sind schon drin.“ – „Ja, was ist denn hier los?“, fragt Frau
Mückel. Herr Mückel, der die Nachrichten verfolgt, erklärt: „SPD, Grüne u…
PDS wählen heute den Diepgen ab.“
## Nur ein Din-A4-Papier
Das stimmt nur beinahe. Wenige Minuten später wird im Plenarsaal zwar ein
bedrucktes Din-A4-Papier verteilt. Aber das ist es auch schon für heute.
„Damit beginnen die 48 Stunden“, sagt der Präsident des Abgeordnetenhauses
trocken. Diese Frist muss nach Einbringung des Misstrauensantrags
verstreichen, bevor das Parlament Eberhard Diepgen und seine Senatoren
tatsächlich abwählen kann. Das fordert die Verfassung.
Nun ist es nicht etwa so, dass in diesen zwei Tagen die Abgeordneten
hektisch einander zu überzeugen suchen und um jede Stimme gerungen wird. 85
Abgeordnete braucht es, um Diepgen abzuwählen. Die Linksparteien stellen
zusammen 93 Parlamentarier. Und wenn einer nicht mitstimmt? Dann geht es
ihm wie Dietmar Volk. Der ostdeutsche Grüne mit dem kleinen Bärtchen
schleicht sich an diesem Nachmittag zur Anwesenheitsliste, trägt sich ein
und verschwindet hurtig. Mit dem alten Bürgerrechtlerspruch „dafür bin ich
1989 nicht auf die Straße gegangen“ hat er seine Weigerung begründet, am
Samstag mit der PDS gemeinsame Sache zu machen. Seit gestern ist er partei-
und fraktionslos, sitzt ganz weit hintem im Plenarsaal, quasi im CDU-Block.
Vor vier Jahren sei er doch selbst für eine Enttabuisierung der
SED-Nachfolgepartei gewesen, wundern sich Volks ehemalige Parteifreunde.
Als Nachrücker für Renate Künast sei der Ostgrüne erst zur Fraktion
gestoßen, „als die Fleischtöpfe schon verteilt waren“. Sportpolitischer
Sprecher habe ihm wohl nicht gereicht.
Längst geht es um ganz andere Pfründen: Die jetzt noch in den vorderen
Sesseln für die Opposition sitzen, wechseln ja bald auf die Regierungsbank.
Generell gilt: Wer von Grünen und SPD auch nach den Neuwahlen im Herbst
noch Parlamentarier sein will, der muss morgen die Hand heben.
Wolfgang Wieland hat sich allerhand vorgenommen. Der designierte grüne
Justizminister droht später in der Debatte schon in Richtung CDU mit neuem
Ermittler-Elan in Sachen Bankgesellschaft: „Das wird nicht lustig, meine
Herren.“ Sein Chef in spe, Klaus Wowereit, hat das Dauerlächeln eines
souveränen Regierenden ja sowieso schon seit Wochen angeknipst. Allerdings
gibt es auch unter den Siegern Verlierer. Sibyll-Anka Klotz, grüne
Spitzenfrau, nerven Fragen, wer neuer Wirtschaftssenator wird: „Bin ich
hier bei der Sendung ‚Was bin ich?‘ oder was?“ Klotz wird es nicht.
Wer morgen herrscht, wird im Foyer verhandelt, noch zwei Tage gehört den
Amtierenden die Initiative im Plenarsaal. Eberhard Diepgen nutzt den Anlass
„Berlin – Zehn Jahre nach dem Hauptstadtbeschluss des Deutschen
Bundestages“ für seine letzte Regierungserklärung. Aus tiefen Höhlen
blicken seine müden Augen auf einen stoisch lächelnden Klaus Wowereit,
einen lebendigen Wolfgang Wieland, einen belustigten Harald Wolf. Feixen
auf den billigen Plätzen. Warum, warum bloß, tut Eberhard Diepgen sich
diesen Auftritt hier und heute an? Hat er das nötig, die Geschichte der
deutschen Einheit mit seinem Scheitern der vergangenen Monate zu einem
sentimentalen Brei zu verrühren? Die Teilung sei durch „Worthalten
überwunden“ worden, nun habe die SPD ihr Wort und die große Koalition
gebrochen. Kein Wort der Selbstkritik. Erst schilt er die SPD, dann ruft
er: „Vergessen und Verdrängen Sie nicht die Erinnerung an Ernst Reuter und
Willy Brandt!“
## Steffel herzt Diepgen
Doch die beschworenen Toten zeugen nicht wirklich für die Union. Da fällt
sogar dem drögen Klaus Böger die Retourkutsche leicht: „Die
Sozialdemokratie stand schon vor, neben und hinter Willy Brandt, als Sie
ihn noch ‚Vaterlandsverräter‘ nannten“, sagt der Schulsenator.
Nur Frank Steffel, Fraktionschef der CDU, ist von Diepgens Rede wirklich
begeistert: „Sie bleiben der Regierende Bürgermeister der Herzen.“ Solche
Titel waren bislang adeligen Unfallopfern und geschlagenen
Fußballmannschaften vorbehalten. Steffel, der 35-jährige Teppichhändler aus
Reinickendorf, bemüht Goethe: „Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage
dir, wer du bist.“ Ein Zwischenruf aus dem Block der CDU erklärt diese
Andeutung: „Wowereit: Kommunist!“ Wie hat der Sitzungsleiter vorher
formuliert? „Ich bitte, zumindest den Versuch zu unternehmen, die Würde des
Hauses zu wahren.“
Steffel könnte in der Berliner Union die Zukunft gehören. Aber kann er mit
einer so arg rückwärts gewandten Rede im Jahre 2001 überzeugen? Mit Blick
auf den 17. Juni 1953 sagt Steffel tatsächlich: „Wer nicht aus der
Geschichte lernt, steht in der Gefahr, sie zu wiederholen.“ Ohne
Russenpanzer und andere Schreckgespenste kommt ein anderer Redner der Union
aus: Peter Kurth, der morgen als Finanzsenator abgewählt wird. Er versucht
mit einem betont sachlichen Beitrag, Punkte im Rennen um die
Diepgen-Nachfolge zu sammeln.
Aber die jetzt wirklich wichtigen Auseinandersetzungen finden nicht mehr
vor der johlenden CDU-Fraktion statt, sondern innerhalb des neuen
Bündnisses. Wann verkündet Gregor Gysi endlich, ob er antritt, fragt
Wieland und ruft in Richtung PDS: „Eins steht fest: Gregor Gysi wird nicht
Regierender Bürgermeister von Berlin!“ Macht sich da jemand öffentlich Mut?
Gysi ist nicht Mitglied des Abgeordnetenhauses. Für die PDS ergreift Harald
Wolf das Wort: „Ich glaube, dass die Schüsse und die Toten und die
Verletzungen an der Mauer nicht entschuldbar sind.“ Urplötzlich ist Stille
im Saal.
15 Jun 2001
## AUTOREN
ROBIN ALEXANDER
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