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# taz.de -- Gespensterstunde
> Vergesst Shakespeare! Peter Brook erklärt in seiner Inszenierung für die
> Festspiele das Geheimnis von Hamlet
Horatio schleicht auf leisen Sohlen herein. Seine Füße versinken im weichen
Teppich, seine Augen schauen uns lange und bange an, er sieht etwas, was
wir nicht sehen, er fragt: „Who's there?“ Das ganze Drama liegt schon
darin, und doch wird es sich jetzt noch mal ereignen.
Es sind die einfachen Fragen, die Brook und sein internationales Ensemble
stellen, und es ist verblüffend, wie klar, wie offen sich Hamlets
Geschichte zeigt. Da ist die Sache mit Ophelia: Die schöne, zarte Frau,
hier ganz in Weiß gekleidet (Shantala Shivalingappa) – muss Hamlet sie ins
Unglück stürzen? Er liebte sie doch, muss er sie also mit seinem nur
angenommenen Wahnsinn wirklich verrückt machen? Er muss. Selten hat eine
Inszenierung so klar darauf geantwortet. Ja, er muss, denn sein Herz ist
vergiftet, die Untreue seiner Mutter hat ihm den Glauben an die Liebe
genommen, die üblen Worte über den Betrug, vom Geist des Vaters in sein Ohr
geträufelt, haben seinen Sinn mit Misstrauen geätzt.
Brook präsentiert eine Strichfassung, in der alle Wege zu Hamlet führen.
Vergesst Shakespeare! lautet die Parole, die Brook sich und seinen
Schauspielern setzt. Aus der Fülle des Stoffes destilliert die Truppe ein
Hamlet-Extrakt. Kein machtgieriger Fortinbras, keine Höflinge, keine
Politik. Brooks Spieler sind Nomaden, die Spielfläche ein schnell
ausgerollter Teppich, so leuchtend, als ob er brennen könnte unter den
Füßen. Ein paar bunte Kissen, zwei Hocker für König und Königin, sparsame,
asiatisch anmutende Klänge des Musikers Toshi Tsuchitori – das sind
Requisiten und Rahmen genug für „The Tragedy of Hamlet“. Nach der Premiere
vergangenes Jahr im Pariser Théâtre des Bouffes du Nord schrieb ein
Kritiker, wenn Brook demnächst auf Tournee ginge, könne er in jeder
Tiefgarage spielen.
Das Herz des Dramas ist Adrian Lester: Nie war ein Hamlet so schön wie er.
Nie hätte es ein Prinz mehr verdient zu leben und zu lieben. Der
Schauspieler tritt als großer Junge auf, dem die Welt zu eng ist, weil er
ein Leben zu vergeben und ein Herz zu verschenken hat. Er tut, was er muss,
und er weiß, dass er muss, aber er verzagt nicht.
Peter Brook hat Hamlets Geheimnis gelüftet. Theater aber, das weiß niemand
besser als Brook selbst, braucht die Dimension des Unbekannten. Und das ist
das Paradox dieses Abends: Indem Brook sich und uns den „Hamlet“ erklärt,
lässt er ihn auch schon hinter sich. Am Ende hat der Held sich um die
eigene Achse gedreht und steht wieder am Anfang: „Who's there?“, fragen
jetzt alle gemeinsam, die Lebenden und die Toten und die lebenden Toten.
Wer da? Wir wissen es schon, es ist das Gespenst, der Geist des
Geschehenen, der verhindert, dass etwas Neues geschieht. Wer nicht an
Geister glaube, so Altmeister Brook auf der Pressekonferenz in Berlin,
solle sich Shakespeare schenken. Wer an Peter Brook und die Wahrhaftigkeit
seiner „theatralischen Recherchen“ glaubt, muss diese Aufführung, auch wenn
er schwitzt in der Schwüle der Nacht, auch wenn sein Englisch nicht
ausreicht, um die Kraft der Sprache ganz zu erfassen, durchstehen,
durchleben und durchdenken. REGINE BRUCKMANN
Alle Vorstellungen im Haus der Berliner Festspiele sind ausverkauft
26 Jul 2001
## AUTOREN
REGINE BRUCKMANN
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