# taz.de -- Draußen Krieg, drinnen Wahrheit | |
> ■ Kunsthalle und Gerhard-Marcks-Haus präsentieren einen Überblick über | |
> das Gesamtwerk von Ernst Barlach | |
„War is not the answer“ verkündet ein Plakat vor dem Gerhard Marcks Haus. | |
Auch im Museum geht es um Krieg und Frieden. Doch hier werden Antworten auf | |
einen Krieg präsentiert, der bereits Geschichte ist – Antworten, die Ernst | |
Barlach auf den ersten Weltkrieg gab. | |
Der Weg des expressionistischen Bildhauers von der Kriegsbegeisterung zum | |
Pazifismus lässt sich in den neuen Ausstellungen des Gerhard Marcks Hauses | |
und der Kunsthalle nachvollziehen. Barlach reagierte zunächst wie fast alle | |
deutschen Künstler euphorisch auf den Kriegsbeginn. In der Hoffnung auf | |
eine fundamentale Umwälzung der Gesellschaft meldete sich auch Barlach als | |
Freiwilliger. Diese Begeisterung für den Krieg spiegelt sich in einer | |
Bronzefigur aus dem Jahr 1914: „Der Rächer“ schwingt aggresiv, kantig und | |
raumgreifend sein Schwert – eine Variation des Racheengel-Motivs. Ganz | |
anders die Skulpturen, die nach der Kriegs-Erfahrung in den Schützengräben | |
entstanden. Vom Leid gebeugt, trauernd und verzweifelt, sind die Figuren | |
Barlachs jetzt eine Anklage gegen den Krieg. | |
Statt den Militarismus mit heroischen Soldatendarstellungen zu | |
glorifizieren, wie es bei den meisten Kriegerdenkmalen üblich war, richtete | |
der Bildhauer den Blick auf die Opfer. Das Hamburger Ehrenmal, 1939 von den | |
Nazis demontiert, versah Barlach mit dem Relief „Trauernde Mutter mit | |
Kind“. Und im Denkmal für den Magdeburger Dom treten Soldaten als Skelett | |
in Uniform auf, sind mit Gasmasken und Kopfbinden ausstaffiert. Kein | |
Wunder, dass die völkisch-reaktionären Kreise den pazifistischen Künstler | |
bereits in der Weimarer Republik anfeindeten, und dass die Nazis alle seine | |
Ehrenmale beseitigten. | |
So geriet Barlach auch nicht in Versuchung – anders als manch Einer aus der | |
Wald- und Wiesen-Fraktion der Expressionisten –, ein ambivalentes | |
Verhältnis zum Nationalsozialismus zu entwickeln. | |
Aber in der Anklage des Kriegs erschöpft sich das Werk Barlachs bei weitem | |
nicht. Die Suche nach Transzendenz ist das andere bestimmende Thema. | |
Typisch dafür sind Skulpturen wie „Der singende Mann“ oder der Güstrower | |
Engel. Ein Blick in die Gesichter dieser in sich ruhenden Figuren bannt den | |
Betrachter unweigerlich; dieser Sog in die Versenkung wird durch eine | |
reduzierte Formensprache und durch harmonisch gerundete, klare Linien | |
erzeugt, die den unverwechselbaren Stil Barlachs prägen: Die stille | |
Innerlichkeit der Figuren nimmt den expressiven Gestus gleichsam zurück. | |
Die Ausstellungen vermitteln auch einen Einblick in die | |
Entstehungsgeschichte der Plastiken. Die Kunsthalle, die über das fast | |
vollständige Werk der Druckgrafik Barlachs verfügt, zeigt neben 30 | |
Plastiken auch über 200 Arbeiten auf Papier. Die chronologische Hängung | |
ermöglicht es, sowohl die künstlerische Entwicklung nachzuvollziehen, als | |
auch den Verbindungslinien zwischem dem grafischen und skulpturalen Werk | |
nachzuspüren.. Allerdings erfordert die Fülle von Grafiken in der | |
Kunsthalle eine gewisse Ausdauer. Denn die endlose Reihung wirkt schnell | |
ermüdend. | |
Am Ende des Rundgangs erwartet die BesucherInnen ein etwas unglücklich | |
arrangiertes Ensemble. In der Mitte des zentralen Kabinetts auf engstem | |
Raum versammelt, scheint eine Gruppe Figuren nur vorübergehend abgestellt | |
zu sein. | |
Leichter hat man es im Gerhard Marcks Haus bei der „Gemeinschaft der | |
Heiligen“. Der Zyklus dieser überlebensgroßen Figurengruppe, die auch die | |
gotische Fassade der Lübecker Katharinenkirche schmückt, wurde von Ernst | |
Barlach begonnen und nach dessen Tod von Gerhard Marcks vollendet. Umstellt | |
von den Klinker- und Terrakotta-Figuren erblickt man keine Apostel, sondern | |
„die Gottsucher der lebenden Menschheit: vom stillbeglückten Pilger bis zum | |
Gefangenen, der seine Seligkeit sucht im aufrührerischen Trotz gegen die | |
Ketten“, so Barlach. | |
Wer mit diesem Programm das Samstags-Shopping abrunden will, kann sich die | |
von der Sparkasse unterstützte Gesamtschau bereits heute zum reduzierten | |
Sonderpreis zu Gemüte führen – aber nur, wenn er einen Einkaufsbon aus der | |
City vorweisen kann. Peter Ringel | |
In der Kunsthalle bis zum 20. Januar (Mi-So 10-17 Uhr, Di 10-21 Uhr). | |
Marcks-Haus bis 6. Januar. Di-So 10-18 Uhr. | |
13 Oct 2001 | |
## AUTOREN | |
Peter Ringel | |
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