# taz.de -- Acht Jahreszeiten | |
> Klang und Poesie als in der Natur wurzelnd begreifen, das ist der Weg: | |
> Die Sängerin Mari Boine entwickelt die Musiktraditionen der Sámi weiter – | |
> am Mittwoch gastiert sie in der Fabrik | |
von STEFAN FRANZEN | |
„Das Parlament der norwegischen Sámi in Karasjok sieht sehr schmuck aus, es | |
ist den lávvu, den Zelten der Halbnomaden nachempfunden‘‘, erklärt Mari | |
Boine. „Aber im Prinzip ist es machtlos, wir können dem Storting in Oslo | |
nur Vorschläge machen. In der Frage des Landrechts hat im Zweifelsfall | |
immer noch das Militär Vorrang vor den Rentierleuten. Und kürzlich haben | |
sie entschieden, auf unserem Land nach Gas zu bohren. Meinen Sie, die | |
hätten uns vorher gefragt?“ | |
Mari Boine holt tief Luft und betrachtet die Lichtspiegelungen auf der | |
Alster. Seit ihrem bahnbrechenden Album Gula Gula eine Leitfigur der | |
Weltmusik-Szene, ist die 46-Jährige in Hamburg zu Gast, um ihre neue CD zu | |
promoten. Politik und Poesie verzahnen sich unweigerlich, kommt man mit der | |
inzwischen weltweit bekannten Exponentin der Musik der Tundra-Indigenen ins | |
Gespräch. Noch immer ist es schwierig, die Sámi zum mithin notwendigen | |
Disput mit der norwegischen Regierung zu vereinen. „Als ich bei der | |
Hochzeit des Kronprinzen mit Mette-Marit eine christliche Hymne mit | |
traditionellem Sámi-Feeling vorgetragen habe, wurde ich dafür nicht etwa | |
von Norwegern kritisiert“, erzählt Boine. „Sondern von meinen eigenen | |
Leuten. Dabei hat der Versuch, Christliches mit dem Schamanischen aus | |
unserem Glauben zu verknüpfen, in Sámiland Tradition.‘‘ | |
Der Pietist Laestadian hatte sich diese Aufgabe Mitte des 19. Jahrhunderts | |
auf die Fahnen geschrieben, um den Verfall der wirtschaftlichen und | |
sozialen Ordnung der kolonialisierten Sámi-Gesellschaft zu stoppen und ihre | |
Gebräuche in eine neue Form zu gießen. Er hatte wenig Erfolg: Seine | |
Bewegung konnte den Niedergang der traditionellen sámischen Kultur nicht | |
aufhalten, systematische Bekämpfung der Musik, Sprache, Kulthandlungen und | |
traditionellen Kleidung waren vielerorts bis in die siebziger Jahre Alltag. | |
„Im Dorf meiner Großmutter ist es bis heute verboten, auf Sápmi zu singen�… | |
so Boine, „aber generell kann man beobachten, daß sich zumindest auf dem | |
Gebiet der Sprache einiges tut. Die Kinder können sie nun wieder in der | |
Schule lernen. Und wir haben eine sehr lebendige moderne Poesie.“ | |
Aus den klangvollen Dichtungen einer Kirsti Paltto und anderen Lyrikern des | |
Sápmi, das zur weitverzweigten Familie des Finno-Ugrischen zählt, schöpft | |
sie auch für ihr neues, gerade erschienenes Opus Gâvcci Jahkejuogu, zu | |
deutsch „Acht Jahreszeiten“, in die das Jahr bei den Sámi tatsächlich | |
eingeteilt wird. Ein Album, auf dem Boine verletztliche Folksongs und | |
rituelle, gemeinhin dem Norden unterstellte Melancholie mit den kräftigen | |
Tiefton-Strukturen des Nu-Jazz-Innovateurs Bugge Wesseltoft verknüpft. Und | |
auch ein anderes, mindestens ebenso berühmtes Nordlicht ist mit von der | |
Partie: „Mit Jan Garbarek verbindet mich vor allem die Sehnsucht im | |
musikalischen Ausdruck. Die hat er wirklich kultiviert, und in unserem | |
Duett vereinen sich der männliche und weibliche Aspekt dieses Gefühls. Ich | |
verehre Jan, denn er ist einer der wenigen Norweger, die fähig sind, sich | |
auf einen Austausch mit der Musik der Sámi einzulassen.“ | |
Und das heißt vor allem, Klang und Poesie als in der Natur wurzelnd zu | |
begreifen. Die so genannten Joiks, einzigartige Gesänge der im nördlichen | |
Norwegen, Schweden, Finnland und auf der russischen Kola-Halbinsel | |
beheimateten Gruppe, sind lautmalerische Verkörperungen von Sonne-, Wind- | |
und Berggöttern, genauso wie von Tieren und Mitmenschen. „Wenn wir einen | |
Menschen joiken, dann können wir seinen Charakter minutiös in Töne | |
kleiden“, erläutert Boine: „Ist er flink, dann ist es auch der Rhythmus, | |
zählt er eher zu den Behäbigen, bekommt er einen langsameren.“ Doch diese | |
Miniaturen, die oberflächlich dem Jodeln ähneln mögen, ethnologisch gesehen | |
aber nichts mit ihm gemein haben, bilden nur die Basis für Boines | |
Kompositionen, besonders wenn in ihren Songs die tiefer liegende | |
Kulturschicht des Schamanischen durchscheint. | |
Wer zum ersten Mal mit Mari Boines Musik in Berührung kommt, entdeckt auf | |
Anhieb Ähnlichkeiten zur Musik der Native Americans – die nicht von | |
ungefähr kommt. Die Verwandtschaft zwischen den Sámi und den anderen | |
Indigenen der Arktis, den Inuit und Indianern, ist momentan ein zentrales | |
Thema, alljährlich kündet nun ein Festival von diesem neu beziehungsweise | |
wieder entdeckten Zusammenhalt. Und ebenfalls nicht von ungefähr zählt mit | |
Carlos Quispe seit vielen Jahren ein Quechua-Indio zu Mari Boines Band. „Es | |
ist wichtig, dass wir die wahrnehmen, die uns ähnlich sind“, sagt sie und | |
fügt mit un-überhörbarem Stolz an: „Wir müssen uns nicht mehr minderwertig | |
fühlen. Wir können ganz entspannt sein.“ | |
Abschließend gibt Mari Boine noch einen kleinen Vorgeschmack auf künftige | |
Projekte, an denen sich die globale Dimension ihres Schaffens zeigt: „Ich | |
halte mich gerade in Paris auf, um Kontakte zu afrikanischen und arabischen | |
Musikern zu knüpfen und mir neue Musik anzuhören. Seit einiger Zeit kehre | |
ich auch immer wieder in den Senegal zurück. Auf einer der nächsten CDs | |
wird mein lang ersehnter Traum umgesetzt: meine Art von Blues | |
zusammenzubringen mit den Rhythmen, wie sie in Afrika verbreitet sind.“ | |
Mittwoch, 1. Mai, 21 Uhr, Fabrik | |
30 Apr 2002 | |
## AUTOREN | |
STEFAN FRANZEN | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |