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# taz.de -- Das große Abräumwerk
> Zum Skandalbuch taugt „Der Tod eines Kritikers“ nicht. Der schlimmste
> Vorwurf, den man Walser machen kann: Seinem Roman fehlt es einfach an
> Ironie
von DIRK KNIPPHALS
Wie genau das alles passt! Unsereiner muss bei der derzeit explodierenden
Walser-Schirrmacher-Debatte ja immer wieder an Hut-ab-Walter denken. Walter
wirkte damals bei der Studentenzeitung mit; Ehrgeiz zu eleganten
Formulierungen konnte man ihm nicht nachsagen, aber den Willen zu klaren
Urteilen. Sobald ihm eine CD gefiel, schrieb er in seinen Besprechungen
stereotyp den Schlusssatz: Hut ab! Daher der Name. Aufgrund irgendeiner
psychischen Verschiebung will mir dieser Satz immer einfallen, sobald der
Bewunderung für eine Sache ein starkes Moment der Unlust beigemischt ist.
Also: Hut ab, FAZ. Dieser Coup ist gelungen. Landauf, landab sind die
Medien nun mit dem Walser gepflastert. Und alle Fachleute und
Kommentatoren, die sich des Falles annehmen, sind gezwungen, dies innerhalb
der von Frank Schirrmacher vorgegebenen Bahnen zu tun.
Der FAZ-Herausgeber darf sich bestätigt fühlen: Niemand wird den neuen
Roman dieses Autors mehr unbefangen in die Hand nehmen können. Die Summe
der möglichen Fragen, die der Roman „Tod eines Kritikers“ stellt oder
zumindest stellen könnte, ist auf die eine Frage zusammengeschnurrt: Ist er
nun antisemitisch, oder ist er es nicht? Und diese Frage stammt von Frank
Schirrmacher. So etwas nennt man Diskurshoheit. Aus einem Roman ist ein
Corpus Delicti geworden.
Dieser publizistische Husarenstreich ist lehrreich. Wenn man sich nur ein
wenig aus der nun entstehenden Frontstellung der Walserangreifer und
Walserverteidiger löst, dann kann man an diesem Fall gut studieren, was
zusammenkommen muss, um einen allumfassenden Eklat auszulösen.
Der Zeitpunkt muss stimmen. Und wie er diesmal stimmte! Er traf genau die
Klimax im Antisemitismusstreit rund um Möllemann und den Zentralrat der
Juden. So haben die Medien etwas Neues zu berichten und können zugleich das
Thema Antisemitismus weiterdrehen.
Der Gegner muss stimmen. Martin Walser ist ein dankbarer Gegner. Und zwar
nicht allein, weil der Literaturbetrieb gespickt ist mit Verächtern dieses
Autors. Spätestens seit seiner Friedenspreisrede 1998 umweht den Mann der
Geruch des Verdachts. Viele seiner Lesungen werden immer noch von
Protestierenden gestört; im Kern geht es um den Vorwurf, er wolle sich
nicht mehr über den Holocaust schämen. Gegen ihn zählt der
Antisemitismusvorwurf doppelt – Schirrmacher wusste schon, an welchem Punkt
er Walser treffen konnte. Ein Affront wie aus dem Lehrbuch.
Nun schlägt natürlich die Stunde der Ankläger und der Exegeten. Der
Suhrkamp-Verlag hat das einzig Richtige getan und das Manuskript breit an
die Redaktionen gestreut. Zudem wird der Text als Open-Source-Datei längst
via Mail im Kettenbriefverfahren weitergereicht. Erste, hastige
Leseeindrücke sind bereits erschienen; sie reichen von der
Totalverurteilung („ein gefährliches Buch“, FR; „ein literarischer
Selbstmord“, Tagesspiegel) bis zur vorsichtigen Verteidigung („wütender
Schlüsselroman“, SZ). Das von der großen Frankfurter Zeitung aufgezwungene
Spiel heißt eben: Farbe bekennen.
Dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Oder höchstens zweierlei: Es ist das
zweite Mal in diesem Jahr, dass sich alle intellektuellen Kapazitäten an
einem schlechten Buch – jetzt ist es heraus! – abarbeiten; bei
interessanteren Romanen als Grass’ „Im Krebsgang“ oder jetzt Walsers „T…
eines Kritikers“ scheint die Debattenmaschine dagegen schlicht nicht
anzuspringen. Darüber hinaus sollte man den zweiten Text, um den es hier
geht, im Auge behalten: Frank Schirrmachers Artikel vom Mittwoch dieser
Woche, der die Sache ins Rollen brachte. Es stellt sich heraus, dass der
FAZ-Herausgeber das weitaus raffiniertere Stück Prosa geschrieben hat.
Zum großen Skandalbuch will unsereinem jedenfalls der neue Walser nicht
taugen. Alles in allem erweckt der Roman den Eindruck einer bemühten
Literaturbetriebssatire, streckenweise liest er sich geradezu wie eine
Parodie auf dieses Genre. Wobei Schirrmacher zu attestieren ist, dass er
wirklich alle Stellen, die man als antisemitisch interpretieren könnte,
gefunden hat. Es gibt den gegenüber der nach dem Vorbild Marcel
Reich-Ranickis gestalteten Figur André Ehrl-König geäußerten Satz: „Ab
heute Nacht, null Uhr wird zurückgeschlagen“ – der allerdings in dem
Kontext, in dem er fällt, sogleich als unpassende Hitlerparaphrase
ausgestellt wird. Es gibt die Stelle, in der die Beschäftigung mit
jüdischen Mordopfern – der Kritiker André Ehrl-König soll von einem
Schriftsteller ermordet worden sein, am Ende stellt sich heraus, dass er
lebt – als „Saisonthema“ der Medien heruntergespielt wird. Es gibt die
Charakterisierungen „Herabsetzungslust“ und „Verneinungskraft“, die
Schirrmacher als antisemitische Klischees interpretiert. Und es fällt in
der Tat der Satz „Umgebracht zu werden passt doch nicht zu André
Ehrl-König“, eine Wendung, die Schirrmacher in einen Zusammenhang mit dem
Schicksal Reich-Ranickis rückt, der das Warschauer Ghetto überlebte. Auf
diese „Stellen“ wird der Roman nun also gelesen werden, nur dass eben immer
auch eine Menge Seiten dazwischen bewältigt werden müssen.
Und? Antisemitisch? Aus dem Kontext gerissen, können die Sätze in der Tat
verfänglich wirken. Es gehört aber ein gehöriger Wille zum entlarvenden
Blick dazu, um aus ihnen eine geschlossen antisemitische Darstellung
herauszulesen. Manchmal ist so ein Blick ja von Vorteil, in diesem Fall
aber hat er entdifferenzierende Effekte. Zumal Martin Walser Vorurteile,
halb reflektierte öffentliche Rede, Klischees und Phrasen schon immer in
seine Romane hineingearbeitet hat. Sie gehören zum Material dieses Autors.
Als Frank Schirrmacher damals in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio
auf den Friedenspreisträger Walser hielt – die Welt zwischen ihnen war noch
in Ordnung –, lobte er dessen Oeuvre ausdrücklich als „großes Abräumwerk…
Es beinhalte, so Schirrmacher, das „Abräumen von Worthülsen,
Meinungsschutt, überhaupt von fremder, also unfreier Rede“. Damit ist
tatsächlich ein Merkmal von Walsers Literatur getroffen. Rückschlüsse vom
Romantext auf das Autorenbewusstsein sind dann aber nicht einfach möglich.
Auch nicht bei einem Buch, das sich wie in diesem Fall als Schlüsselroman
geriert.
Das bedeutet nun aber alles keineswegs, dass man Lust hat, sich wirklich
für den „Tod eines Kritikers“ in die Bresche zu werfen. Viel penetranter
als das literarische Spiel mit dem Judenmotiv wirkt die Sexualisierung
André Ehrl-Königs, der als geiler, alter Bock gezeichnet wird. Außerdem
hält sich, den Roman als Analyse des Literaturbetriebs gelesen, die
erhellende Kraft in Grenzen. „Was ihm nicht gefiel, war schlecht. Und dafür
hat ihn die Chorknabenherde seiner Feuilletons verhimmelt. Seitdem mass man
nichts mehr beweisen, nur noch sagen schlecht oder gut“: Über solche
Hinweise kommt der Roman nicht hinaus. Dass André Ehrl-König alias Marcel
Reich-Ranicki die literarische Analyse durch Ex-cathedra-Urteile ersetzt
hat, das konnte man schon vorher wissen.
Der schlimmste Vorwurf, den man diesem Buch machen kann, ist aber
folgender: Er kommt ohne jede Ironie aus. Schwer deutsch – oder ist das
jetzt ein antiarisches Klischee? – stapft die Walser’sche Sprachsuada über
die Seiten. Das ist für eine Satire, die für ihre Wirkung dringend der
Eleganz bedarf, durchaus ein niederschmetternder Befund. Es fehlt dem Roman
einfach an Raffinement.
Das heißt, man muss bei Walsers Roman gerade die Kennzeichen guter Prosa
vermissen, die Frank Schirrmachers Artikel über die Maßen enthält. Wie
gerne hätte man bei Walser etwa einen Abschnitt gefunden, über den man so
ins Schwärmen geraten kann wie über Schirrmachers wunderbar inszenierten
dringlichen Sprachgestus! Perfekt wirft sich Schirrmacher in seinem offenen
Brief in eine vibrierende „J’accuse“-Geste, ausgestattet mit geschickten
rhetorischen Figuren der Eindringlichkeit: „Werden Sie mir glauben …“,
„Verstehen Sie …“
Man meint den Luther-Moment – hier steh ich, ich kann nicht anders –
förmlich mit Händen greifen zu können. Und wie geschickt die Vorwürfe bis
zur finalen Erwähnung des Klischees vom ewigen Juden arrangiert sind! So
eine ausgefeilte Dramaturgie hat Walsers Roman nicht.
Während „Der Tod des Kritikers“ diese Büchersaison nicht überleben wird,
sollte man Schirrmachers Artikel in alle Anthologien aufnehmen. So schreibt
man Polemiken, wenn man seinem Gegner wirklich Böses will!
1 Jun 2002
## AUTOREN
DIRK KNIPPHALS
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