# taz.de -- Ästhetische Schwebe | |
> Die Festwochen präsentieren Werke der Komponistin Olga Neuwirth. Ein | |
> Porträt | |
„Musik kann zunächst einmal gar nichts“, erklärt Olga Neuwirth lakonisch. | |
Das ist ernüchternd. Und es tut ein wenig weh. Denn es verdammt die | |
Komponistin zur Handlungsunfähigkeit. Dann aber ist Olga Neuwirth sich | |
nicht mehr sicher. Im Februar 2000 nimmt sie in Wien an einer | |
Großdemonstration gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ teil. In einer | |
kämpferischen Rede beruft sie sich auf Hanns Eisler und zeigt sich | |
zuversichtlich, dass „wir mit rein musikalischen Mitteln vielleicht auch | |
Protest demonstrieren“ können. | |
Olga Neuwirth ist heuer 34 Jahre alt und gehört zu den Großen unter den | |
lebenden Komponisten. Ihre Musik erfährt im Moment viel Zuspruch, wie | |
zuletzt die zweite Inszenierung ihres überdrehten Musiktheaters „Bählamms | |
Fest“ (1999) in Hamburg bewies. Im Gespräch ist sie aufmerksam, engagiert, | |
und man hat den Eindruck, dass ihre Gedanken dem Gesagten um Längen | |
vorauseilen, die Sprache zu einem Korsett wird. | |
In der Musik hingegen kann sie frei über das Tempo verfügen; hier | |
entscheidet sie, wann ein musikalischer Gedanke hinreichend ausgeführt | |
worden ist. Zu den prägnantesten Merkmalen ihrer Musik gehört ein | |
beständiges Pendeln zwischen klanglichen Extremen, einem säuselndem | |
Flautando und einem Wust bedrohlich funkelnder Akkorde zum Beispiel. Die | |
musikalischen Zustände, die Neuwirth aufeinander prallen lässt, sind oft | |
musikalische Fundstücke, Banalitäten und Alltäglichkeiten. Da passiert es, | |
dass die futuristische Aura eines Science-Fiction-Szenarios an einem | |
steiermärkischen Ländler zerschellt. | |
Neuwirth verwendet gerne musikalische Klischees, „um sie ironisch zu | |
verzerren und zu persiflieren“. Unter abrupten Schnitten, heftigen | |
Kontrasten, ins Nichts führenden Gesten und steilen Montagen entstehen dann | |
groteske, ja grimmige Momente, die Neuwirth selbst mit dem Slapstick | |
vergleicht. Aber es fliegen keine Torten, und es gibt auch nirgends etwas | |
zu lachen. Auch Neuwirth weiß, dass „der Witz in der Musik sehr schnell | |
oberflächlich werden kann“. Sie zielt deshalb auch nicht auf Pointe, | |
sondern auf eine ästhetische Schwebe, bei der man als Hörer im Ungewissen | |
bleibt. Schließlich arbeitet Neuwirth vor demselben ästhetischen | |
Hintergrund und mit demselben emphatischen Kunstverständnis wie ihre Lehrer | |
Luigi Nono oder Helmut Lachenmann. | |
Komik und Absurdität sind Techniken, die bloßstellen und entlarven und die | |
der geäußerten Hoffnung mit rein musikalischen Mitteln vielleicht auch | |
Protest demonstrieren zu können, Raum gewähren. Sie wolle niemandem eine | |
Belehrung vorsetzen, erklärt Olga Neuwirth, „nur Gedanken an das | |
Schmerzliche und Zarte, das um die Welt liegt, das öffentlich Zweideutige | |
und menschlich Vergebliche, das sie umgibt, durch Musik vermitteln. Mit | |
Kunst kann man nichts ändern. Aber Kunst kann den desolaten Zustand von | |
Gesellschaft und Politik sichtbar machen.“ | |
BJÖRN GOTTSTEIN | |
So., 20 Uhr, Philharmonie, Tiergarten | |
28 Sep 2002 | |
## AUTOREN | |
BJÖRN GOTTSTEIN | |
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