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# taz.de -- „Ich habe einen direkten Auftrag“
> Er habe auch nach dem Anschlag auf ihn nicht daran gedacht aufzuhören,
> sagt Christian Stöbele, Bundestagsabgeordneter für
> Kreuzberg-Friedrichshain. Sein Wahlkampf sollte für die Grünen Vorbild
> sein, um künftig im Osten mehr Stimmen zu holen
Interview PLUTONIA PLARRE und UWE RADA
taz: Herr Ströbele, wie geht es Ihnen?
Christian Ströbele: Viel besser. Mein Wahlerfolg war die beste Medizin, die
kein Arzt verordnen und kein Apotheker liefern kann.
Sind Sie fit genug, wenn es im Bundestag womöglich schon bald um eine
deutsche Beteiligung an einem Irakkrieg geht?
Das bin ich. Ich habe mich nur wegen des Wahlkampfs im Bundestag etwas
zurückgehalten.
Trauen Sie dem plötzlichen Frieden bei Bundeskanzler Gerhard Schröder?
Den Friedensbeteuerungen? Ja. Ich habe seine Position mit wachsender
Begeisterung zur Kenntnis genommen und werde jetzt alles tun, dass es dabei
bleibt.
Wir können uns also zurücklehnen, weil sich die rot-grüne
Bundestagsmehrheit gegen einen Kriegseinsatz ausspricht.
Um Himmels willen, nein! In der letzten Sitzung vor der Wahl gab es einen
entsprechenden Antrag der PDS. Dem habe ich als einziger Nicht-PDSler
zugestimmt. Eigentlich hätten wir dem alle zustimmen sollen. Der bestand
nur aus einem Satz, da stand nichts Böses drin. Aber wie das eben so ist:
Man darf einem Oppositionsantrag nicht zustimmen, selbst wenn er richtig
ist.
Sind Sie sicher, dass Rot-Grün nicht einknicken wird?
Sicher ist man in der Politik nie. Ich habe in den letzten vier Jahren
natürlich Erfahrungen gemacht, dass viele Positionen, die als unumstößlich
galten, nachher doch anders praktiziert wurden. Aber jetzt sind die
Aussagen so eindeutig, auch die nach der Wahl, dass es keinen Grund gibt,
daran zu zweifeln.
Angenommen, Schröder und Fischer ringen sich doch zu einem Ja durch, weil
es angeblich keine Alternative mehr gibt. Wenn Schröder erneut die
Koalitionsfrage stellt, werden Sie trotzdem mit Nein stimmen?
Ich habe mich auf mein Nein festgelegt. Und ich pflege solche Versprechen
zu halten. Nicht weil es Versprechen sind, sondern weil die Gründe für eine
solche Entscheidung fortbestehen.
Hat Ihnen der Bundeskanzler zu Ihrem Wahlsieg gratuliert?
Nein, da warte ich noch drauf, aber sonst fehlt kaum jemand.
Mit dem Direktmandat im Rücken haben Sie nun eine ganz andere Position.
Muss das dem Kanzler keine Sorge machen?
Mit dem Direktmandat im Rücken werde ich noch selbstbewusster Politik
machen. Ich werde sagen: Zwischen mir und der Bevölkerung, das heißt dem
Wahlvolk, ist keine Partei. Ich habe einen direkten Auftrag …
Das klingt wie eine Kampfansage.
… auf den ich mich immer wieder berufen werde. Ich weiß, warum mich die
Leute gewählt haben, und ich werde dafür auch in der Partei und Koalition
werben.
Nennen Sie uns diesen Auftrag.
Nicht nur die Szene in Kreuzberg oder Friedrichshain hat mich gewählt,
sondern auch Anwohner der Karl-Marx-Allee, wo man denkt, da bekommen die
Grünen vielleicht zwei oder drei Prozent. Da habe ich zwischen 25 und 36
Prozent der Stimmen bekommen. Das muss den Grünen zu denken geben.
Nochmal, welcher Auftrag?
Die Ostwähler und -wählerinnen sind nicht auf die PDS festgelegt. Wenn es
ehrliche, standfeste, linke, soziale oder sozialistische Positionen sind,
geben die auch Grünen ihre Stimme. Das ist eine ganz neue Erfahrung. In
anderen Ostbundesländern sind wir schon froh, wenn wir viereinhalb Prozent
haben. Ich habe in einem Ostteil meines Wahlkreises über 30 Prozent der
Stimmen erzielt. Die Leute haben mich gewählt, weil ich auch im schlimmsten
Sturm bei der Friedensposition bleibe, weil ich linke Positionen vertrete,
zum Bespiel die Vermögenssteuer. Das sind Forderungen, die sich kaum von
denen der PDS unterscheiden. Ich kann doch linke Positionen nicht deshalb
aufgeben, weil sie auch andere vertreten.
Dann ist die PDS wohl mit drei Abgeordneten im Bundestag vertreten.
Nein, umgekehrt. Wir müssen die Frage stellen, ob die PDS als Partei, als
politische Bewegung im Osten noch erforderlich ist, wenn die Grünen diese
Wählerinnen und Wähler so lernen zu binden, wie der Ströbele es geschafft
hat. Viele Leute haben zu mir gesagt: Du bist einer von den Linken aus
anderen Zusammenhängen, die weit von uns entfernt gewirkt haben, in einer
Art, die wir nur schwer nachvollziehen konnten. Aber du stehst zu den, zu
unseren linken Positionen. Das ist die Botschaft an die Grünen. Schließlich
suchen wir seit zehn Jahren den Weg, wie wir in den neuen Bundesländern
erfolgreich sein können.
Was hat Ihnen der Wahlkampf persönlich gebracht?
Ich habe vor allem den Ostteil des Wahlkreises kennen gelernt. Dadurch,
dass ich die meisten meiner Flyer selbst verteilt habe, hatte ich direkten
Kontakt zu den Leuten. Nicht nur in der Simon-Dach-Straße, auch in den
Hochhäusern. Wenn ich da an der Haustür war, haben die gesagt: Das hätten
wir nie erwartet, dass Sie hierherkommen, Sie aus dem Fernsehen. Menschen
in der Karl-Marx-Allee haben am Ende eines Gesprächs gesagt: Wir werden das
im Kollektiv diskutieren.
Haben Sie denn selbst an einen Sieg geglaubt?
Ich wusste, die Zahlen waren 1998 so, dass ich die Stimmen für mich fast
verdoppeln musste. Das Hauptproblem mit dem ich zu kämpfen hatte, war aber
das Argument: Ströbele hat keine Chance, die Stimme ist verschenkt. Das
konnte man überall hören und lesen, übrigens auch in der taz.
Sie haben also nicht daran geglaubt.
Doch! Zuletzt, wenn ich meine Zettel in den Kneipen verteilt habe, haben
immer mehr Leute nicht nur gesagt: ich wähle dich, sondern auch: ich habe
dich schon per Briefwahl gewählt.
Und nun sind Sie der Joschka Fischer auf Berliner Ebene.
Das weiß ich nicht. Ich sage immer, der Joschka Fischer hat ein gutes
Ergebnis, mit über zwanzig 20 Prozent in seinem Wahlkreis in Frankfurt.
Glauben Sie seinen Gratulationswünschen?
Ja.
Auf Ihrem Wahlplakat von Seyfried steht: Ströbele wählen heißt Fischer
quälen. Fischer freut sich also darauf?
Als ich ihm auf dem kleinen Parteitag das Plakat in die Hand gedrückt habe,
hat er gesagt: Ich wünsche dir wirklich, dass du das schaffst. Du kannst es
mir glauben. Dann kannst du mich weiterquälen.
Genießt der Quälgeist Ströbele in der Grünen-Bundestagsfraktion jetzt so
etwas wie Artenschutz?
So ist das nicht. Es gibt viele interessante Auseinandersetzungen in der
Fraktion, auch zwischen Joschka und mir, von denen auch die anderen
profitieren. Im Übrigen habe ich mit Freude zur Kenntnis genommen, dass
Joschka Fischer auf der ersten Fraktionssitzung gesagt hat: Nun haben wir
zum ersten Mal eine linke Mehrheit in der Bundesrepublik. Er hat die SPD
und die Grünen als linke Parteien bezeichnet. Da können wir uns sehr gut
treffen. Da liegt die Zukunft der Grünen.
Das erste Direktmandat für einen Grünen ist auch ein persönlicher Erfolg.
Welchen Preis haben Sie dafür bezahlt?
Ein gutes halbes Jahr Zurückstellung aller persönlichen Dinge bis hin zu
solchen abartigen Gedanken wie Urlaub. Und natürlich auch ein erheblicher
Gesundheitsstress. Wenn ich abends nach Hause kann, wusste ich manchmal
nicht mehr, wo vorne und hinten ist und war ungenießbar.
Haben Sie manchmal daran gedacht hinzuschmeißen?
Ja, natürlich. Es waren ja nicht nur die Zeitungen, die meinten: Du hast ja
keine Chance, sondern auch viele aus meiner unmittelbaren Umgebung.
Zwei Tage vor der Wahl war dann der Anschlag, bei dem Sie mit einer
Stahlrute auf den Kopf geschlagen wurden. Sie haben danach alle Termine
abgesagt. Geschah das nur aus gesundheitlichen Gründen?
Am ersten Tag ging es mir wirklich sehr schlecht. Ich habe mich zwar
hingelegt, aber es wurde immer schlimmer, ich bekam Kopfschmerzen. Am
Samstag und Sonntag bin ich liegen geblieben, weil alle gesagt haben, wenn
du Kopfschmerzen hast, besteht die Gefahr einer Gehirnerschütterung.
Was ist Ihnen da durch den Sinn gegangen? Ein solcher Anschlag kann ja auch
eine Zäsur sein.
Der Schlag hat einen Blitz in meinem Kopf ausgelöst. Ich wusste erst ja gar
nicht, was das ist. Als ich von der Person dann auch noch verbal attackiert
wurde, dämmerte mir, was passiert war, und ich bin richtig ausgehakt. Was
mich so getroffen hat, war dieses „von hinten“. Ich bin dem Mann
hinterhergelaufen, und habe dabei immer wieder gerufen: Feige, von hinten!
Das hat mir nachher noch bei der Polizei die Tränen in die Augen getrieben.
Da kommt einer, ohne mich anzusprechen und schlägt mich aus heiterem
Himmel. Das fand ich so gemein, dass ich alle Vorsicht vergessen habe, der
ist ja doppelt so breit wie ich, und ihm in Straßen gefolgt bin, wo außer
uns keiner war.
Später haben Sie gehört, dass es ein militanter Neonazi war. Was haben Sie
dabei empfunden?
Da habe ich gedacht: Bist du eigentlich verrückt gewesen?
Weil es kein Affekt war, sondern eine geplante Tat?
Das weiß ich nicht. Nein, weil er offenbar einer ist, der zu den ganz
Gefährlichen gehört. Er soll sogar im Kosovo gewesen sein.
Was glauben Sie, warum hat er das getan?
Das muss ein ungeheurer Hass gewesen sein. Obwohl er mich persönlich gar
nicht kannte.
Haben Sie im Nachhinein gedacht, sie hätten auch sterben können?
Sterben vielleicht nicht gerade, aber es hätte sehr viel schlimmer kommen
können. Es hätte ein Schicksal sein können, wie es anderen Politikern
widerfahren ist.
Denkt man in so einem Moment nicht ans Aufhören, weil das eigene Leben
wichtiger ist als die Politik?
Daran habe ich nicht gedacht, wohl aber daran, wie ich so etwas in Zukunft
verhindern kann. Ich bin häufig mit dem Fahrrad unterwegs. Da werde ich
Schlussfolgerungen ziehen.
Der Schlag hat nichts an dem Willen verändert, weiter Politik zu machen.
Sind Sie wirklich so ein Politik-Junkie?
Ja.
Und nun ein „jetzt erst recht“?
Solange ich nicht wie ein einsamer Wolf durch die politische Landschaft
ziehe, werde ich weitermachen.
Gesetzt den Fall, Sie wären in ihrem Wahlkreis unterlegen, hätte dann eine
Sinnkrise gedroht?
Das haben mich alle gefragt: Schmeißt du dich dann in die Spree? Nein, in
dem Fall hätte die Frage angestanden, ob ich mich mehr bei Attac einmische.
Nach meiner ersten Periode im Bundestag 1987 war ich Vorsitzender der
Grünen-Fraktion in Tiergarten. Ich nehme für mich in Anspruch, auf
verschiedenen Ebenen Politik machen zu können. Aber es ist für mich keine
Alternative, einen schönen Strafprozess zu gewinnen und danach in den
Urlaub zu fahren.
Der Grat zwischen einem Überzeugungstäter und einem Sturkopf ist bisweilen
schmal, oder?
Ja, da muss man aufpassen. Aber ich lasse mich von den Zweifeln aus meiner
Umgebung nicht so leicht beirren.
Was treibt Sie? Ihre Haltung zu bestimmten Fragen ist bekannt. Sie müssen
nichts mehr unter Beweis stellen. Ist es tatsächlich der Glauben, dass sich
mit Politik etwas verändern lässt?
Genau. Ich war bei verschiedenen Bewegungen dabei, von den 68ern bis zur
Anti-AKW-Bewegung. Wir haben die Welt und die Gesellschaft sehr stark
verändert. Nicht immer so, wie wir das wollten. Aber zwischen der
bundesrepublikanischen Gesellschaft der Apo-Zeit und heute liegen Welten.
Auch ein bisschen „Jetzt zeig ich’s Euch“?
Natürlich spielen auch persönliche Gründe eine Rolle. Wir sind ja keine
abgehobenen Politikwesen. Natürlich bringt mir ein solcher Sieg auch
persönlich für Körper und Psyche unendlich viel Genugtuung und Kraft.
Wann kann einer wie Christian Ströbele loslassen?
Das weiß ich nicht. Dass ich das freiwillig tun würde, das ist vielleicht
nicht möglich.
30 Sep 2002
## AUTOREN
PLUTONIA PLARRE / UWE RADA
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