# taz.de -- „Zur Erholunggehe ich ins Büro“ | |
Interview MAX DAX | |
(Das Café Enzyan in Berlin-Kreuzberg an einem frühen Morgen. Thomas | |
Schwebel und Michael Kemner wundern sich, wo Peter Hein wohl bleibt. Er ist | |
noch nicht da und nirgends zu erreichen. Hoffentlich erinnert er sich an | |
den Termin. Wir beginnen zu reden. Irgendwann wird das Aufnahmegerät | |
angeschaltet, und das Interview beginnt. Ohne Peter Hein.) | |
taz: Die drei Platten der Fehlfarben mit Peter Hein erschienen jeweils zur | |
Jahrzehntwende. „Monarchie und Alltag“ (1982) ist ein Klassiker. „Knietief | |
im Dispo“ könnte einer werden. „Platte des himmlischen Friedens“ von vor | |
zehn Jahren ging unter, als ob es diese Platte nie gegeben hätte. | |
Thomas Schwebel: Es war einfach die falsche Zeit. | |
Peter Kemner: Darüber zu reden kommt einer Selbstreflexion gleich. Warum | |
ist es damals nicht gelaufen? Warum finden wir heute Gehör? | |
Ist es schmerzhaft festzustellen, dass man als Künstler auf die Zeit | |
keinerlei Einfluss hat, wohl aber die Zeit auf einen selbst? | |
Schwebel: Unser spezielles Problem war: 1990 wurde die Spaßgesellschaft | |
ausgerufen. Die äußerte sich in der Erfindung der Love Parade und solchem | |
Scheiß. Die Leute hatten ganz andere Sachen im Kopf, da konnten wir nicht | |
gegen an. Denn heute noch sage ich: Die Platte ist besser als ihr Ruf. Aber | |
es wollte keiner hören, weil es damals hieß: „Peter hat schlechte Laune. | |
Wir aber wollen Spaß haben.“ Anfang der Neunziger gab es einen anderen | |
Zeitgeist. | |
War es vielleicht ein Fehler, nur etwa alle zehn Jahre aus der Versenkung | |
aufzutauchen? | |
Schwebel: Die Frage für uns lautete, ob wir das so genannte Spiel | |
mitspielen wollten oder eben nicht. Wer so arbeitete wie die Toten Hosen, | |
der konnte all die Jahre lang deutsch singen. Wir aber haben da nicht | |
mitgemacht. Unser Weg läuft eben nicht über eine gnadenlose Medienpräsenz | |
mit inszenierten Skandalen einerseits und musikalischer Gefälligkeit | |
andererseits. Hinzu kommt, dass immer wieder diejenigen, die für die | |
Explosion sorgen, die Ersten sind, die in Vergessenheit geraten. Es kommen | |
fast immer die Epigonen durch, die das Feld von hinten aufrollen. Die haben | |
viel mehr Chuzpe, kein schlechtes Gewissen und machen sich keine Gedanken. | |
Bevor man Piep sagen kann, sind die Fleischtöpfe besetzt. Das ist das | |
soziologisch Interessante: Es war ja nicht die zweite Welle von noch | |
jüngeren, noch radikaleren, die einen weggefegt haben, sondern es waren die | |
Routiniers. Extrabreit war schon damals eine Altherrenband. Ich glaube | |
nicht, dass auch nur einer auf das Comeback von Extrabreit wartet. | |
(Peter Hein betritt verschlafen, Arm in Arm mit einer hübschen Frau, seiner | |
neuen Freundin, ganz verliebt den Raum. Lautes Begrüßen. Aber Hein bestellt | |
sich erst einmal einen Kaffee und setzt sich mit seiner Freundin ans andere | |
Ende des Cafés). | |
Eine Rolle für das wieder erwachte Interesse an den Fehlfarben spielt | |
sicherlich der überraschende Erfolg von Jürgen Teipels Buch „Verschwende | |
Deine Jugend“. | |
Schwebel: Ich war am überraschtesten darüber, dass das Buch schließlich | |
erschienen war. Die Interviews waren ja von Teipel vor über fünf Jahren | |
geführt worden. Ich hatte das schon längst vergessen. Interessanterweise | |
hatte Teipel das Buch im Auftrag von Kiepenheuer begonnen, aber dann | |
wollten die nicht mehr, und alle dachten, dass es das jetzt gewesen wäre. | |
Aber der Erfolg ist ein Indiz dafür, dass die Zeiten sich geändert haben. | |
Zum ersten Mal begreifen die Leute da draußen, dass es so etwas wie eine | |
eigenständige deutsche Popkultur gibt. Dass eben nicht nur Platten von | |
singenden Schauspielern veröffentlicht werden, sondern dass es einmal eine | |
Szene gegeben hat, die funktioniert hat wie Szenen in England oder Amerika. | |
Stimmt es eigentlich, dass der Düsseldorfer Alltag so war, wie in | |
„Verschwende Deine Jugend“ beschrieben: ständig diese Schlägereien, diese | |
ganzen zerschlagenen Bierflaschen und Meere von Blut, durch die man waten | |
musste? | |
Schwebel: Der Gewaltaspekt ist entschieden übertrieben. Um der Sensation | |
willen vermutlich, weil sich Gewalt nun einmal besser verkauft. Wir haben | |
uns nie mit irgendjemandem vom KFC geprügelt. Man hat sich im Ratinger Hof | |
am Flipper angerempelt, ja. Aber das war nicht wirklich Gewalt. Düsseldorf | |
war durch die Nähe zur Kunstakademie eher spielerischer, wahrscheinlich | |
auch englischer als andere Orte. Die meisten Engländer sind ja ebenfalls | |
verkrachte Kunststudenten. Die haben das Spiel der Masken, Klamotten und | |
Schminke auf der Akademie gelernt. In Hamburg war das anders. In Hamburg | |
wurde man tatsächlich verprügelt. Ich erinnere mich an einen sehr | |
gefährlichen Abend in Hamburg, als wir verkleidet als Kapitäne mit | |
Holzfällerhemden aufgetreten sind. Das hat die so aggressiv gemacht, dass | |
man um sein Leben fürchten musste. In Düsseldorf war es genau umgekehrt. Da | |
lautete die Frage: Wer hat auf dem nächsten Fest die noch abgefahrenere | |
Idee? Und das hatte ganz klar mit der Kunstakademie zu tun. Beuys war | |
damals Rektor. Markus Oehlen und Konsorten wirkten direkt um die Ecke vom | |
Ratinger Hof. Überall und ständig gab es Akademie-Feste, auf denen auch wir | |
gespielt haben, schließlich war da Carmen Knoebel, die Frau von Imi | |
Knoebel, die Chefin vom Ratinger Hof, die Mutter der Bewegung. Ich finde ja | |
auch heute noch, dass im direkten Vergleich die Düsseldorfer Sachen viel | |
spannender waren als die zur gleichen Zeit in Berlin entstandenen Sachen. | |
Die Berliner waren ja geradezu hinterwäldlerisch, die sangen auf Englisch, | |
waren alle so konservativ … | |
(Peter Hein setzt sich zur Runde dazu, ein Stuhlbein bricht beim Hinsetzen | |
mit lautem Knacks ab, Hein liegt verdattert auf dem Boden, blickt sich um, | |
rappelt sich wieder auf, streckt das Stuhlbein in die Höhe, brüllt: | |
„Punkrock!“ und verschwindet wieder, setzt sich zum Schmusen zu seiner | |
Freundin). | |
Fehlfarben waren immer so etwas wie ein Spiegelbild deutscher | |
Befindlichkeit. | |
Schwebel: „Monarchie und Alltag“, das ist Deutschland 1980. Alle Aspekte | |
davon spiegeln sich in dieser Platte. Diese SPD-Endzeit kurz vor Kohl, | |
diese Tristesse. Ob die neue ein Abbild unserer jetzigen Zeit ist, das wird | |
sich zeigen. | |
Kemner (brüllt zu Peter Hein): Peter, komm jetzt endlich, es gibt hier | |
richtig gute Brötchen und Kaffee, komm her. Arbeiten! | |
Die Musik der Fehlfarben knüpft heute dort an, wo „Monarchie und Alltag“ | |
seinerzeit aufgehört hatte: Am einfachen Arrangement, volle Kraft voraus, | |
Viervierteltakt, Punkrock. | |
Schwebel: Vielleicht wissen wir heute einfach, was Fehlfarben ausmacht. | |
Was macht Fehlfarben aus? | |
Schwebel: Nach dem Kölner Konzert hat mir jemand gesagt: „Ich fand euch | |
schon immer scheiße, und ich fand auch euer Konzert scheiße, aber niemand | |
klingt so wie ihr.“ Wenn niemand so klingt wie wir, dann trifft man | |
entweder jemandes Lebensgefühl oder man trifft es nicht. Mehr kann man | |
nicht leisten. | |
(Endlich setzt sich Peter Hein zur Runde. Diesmal hält der Stuhl. Hein | |
trägt einen seltsam verknitterten weißen Anzug, der ohne Zweifel für einen | |
Menschen mit einem dickeren Bauch geschneidert wurde. Der Anzug sitzt | |
überhaupt nicht, aber Hein fühlt sich darin offensichtlich richtig wohl.) | |
Hein: Ich hoffe, dass Sie die wichtigen Dinge schon besprochen haben, meine | |
Herren. Punkrock: Fluch oder Segen? | |
Ist es ein Zufall, dass, kaum dass die Spaßgesellschaft ihren letzten | |
Seufzer getan hat, ausgerechnet Sie wieder aufkreuzen? | |
Hein: Ich war ja nie weg. | |
Sehen Sie Parallelen zu der Zeit vor zwanzig Jahren? | |
Hein: Beide Platten sind ziemlich druckfrei entstanden, weil niemand etwas | |
von uns erwartet hatte. Das ist vielleicht die Parallele. | |
Schwebel: Der einzige Ehrgeiz war damals, mehr Platten zu verkaufen als | |
Hans-A-Plast. | |
Kemner: Heute hören sie wahrscheinlich „Sieh nie nach vorn“ von unserer | |
neuen Platte in der FDP-Zentrale. | |
Hein: Genau. Großkotzige Ziele setzen ist einfach scheiße. Einfach machen, | |
sage ich immer. Ist ja schwer genug. | |
Weil es ganz ohne Druck auch wieder nicht geht? | |
Hein: Das war schon früher so. In der Schule, bei den Hausaufgaben. Gute | |
Noten für Aufsätze habe ich nur dann gekriegt, wenn ich keine Zeit hatte | |
und nur eine halbe Seite schaffte, mich entsprechend kurz fassen musste. | |
Bei dieser Produktion war es immer wieder so: „Scheiße, schon sechs Uhr, | |
die Band wartet im Studio, und ich habe den Text noch nicht fertig. Was | |
mache ich denn jetzt?“ | |
Es heißt, Sie hätten psychedelisches Bier getrunken, in einer | |
Ostblock-Kneipe hinter dem Düsseldorfer Hauptbahnhof, um sich zu | |
inspirieren. | |
Hein: Das Bier nennt sich „Gambrinus“. Das ist ein Bier aus Prag. Eine | |
Zufallsentdeckung. | |
Hätten Sie vor zwanzig Jahren in Düsseldorf Prager Bier getrunken? Statt | |
Altbier? | |
Hein: Ich habe immer schon Budweiser getrunken. Wahrer Punkrock ist ja: In | |
Düsseldorf Kölsch trinken. Das Problem war damals nur, dass es keine Kneipe | |
gab, in der sie auch Kölsch ausgeschenkt haben. Als Kölsch auf einmal | |
auftauchte, habe ich es sofort getrunken. | |
Stimmt es eigentlich, dass es in Düsseldorf keine Wegweiser nach Köln gibt? | |
Hein: Sie verwechseln das: In Köln gibt es keine Wegweiser nach Düsseldorf. | |
Doch, es gibt einen: am Nordkreuz. | |
Stimmt es, dass Sie, seit Sie denken können, bei Rank Xerox arbeiten? | |
Inklusive der ganzen Jahre, die Sie der Sänger der Fehlfarben sind? | |
Hein: Ja. Ich habe Mitte der Siebzigerjahre meine Lehre bei Rank Xerox | |
angefangen, direkt nach dem Abi. | |
Inwiefern hat es Sie geprägt, dass Sie eine bürgerliche Karriere neben dem | |
Punkweg eingeschlagen haben? | |
Hein: Es hat mir eine gewisse Sicherheit gegeben. Eine Sicherheit, die es | |
heute nicht mehr gibt. Was sich außerdem verändert hat: Man nennt es nicht | |
mehr Rausschmeißen, sondern „Outsourcing“ oder „Head Count Reduction“.… | |
liegt an der Philosophie des „Return On Esset“ für das „Stockholder Value | |
Improvement“. | |
Return On Acid?! | |
Hein: Nein, E-S-S-E-T, auf das Vermögen den Gewinn aufteilen, im Gegensatz | |
zum „Return On Investment“. | |
Punkrock und Sicherheitsdenken, ist das nicht ein Widerspruch? | |
Hein: Nach allem, was man mit dem Rock-’n’-Roll-Geschäft so erlebt hat, ist | |
Sicherheit besser, als auf der Straße zu leben. Büro ist angenehmer, als | |
acht Stunden am Tag im Proberaum abzuhängen und Krach zu machen und die | |
Musiker anzuschreien. Kollegen im Büro dagegen nerven nicht, stören nicht, | |
mit denen hat man keine Beziehungen. | |
Hat Musikmachen für Sie den Charakter einer Freizeitbeschäftigung? | |
Hein: Nein, umgekehrt. Ich gehe zur Erholung ins Büro. Ich treibe dort auch | |
nicht meine Karriere voran. Das ist vielleicht der nichtbürgerliche Aspekt | |
an mir: Ich habe keinen Ehrgeiz, ich will nicht Chef sein. | |
Ich schätze Sie so ein, dass Sie sich zwar zu einem Interview verspäten, | |
nicht aber zu spät zur Arbeit kommen. | |
Hein: Was mich an dieser Gegenkultur immer gestört hat, ist diese Arroganz, | |
auf arbeitende Menschen herabzuschauen. Die sagen dann: Spießer fahren im | |
Urlaub in die Dominikanische Republik und besaufen sich dort am Strand. Sie | |
selbst lassen sich hingegen im Düsseldorfer Hofgarten voll laufen. Wo ist | |
der Unterschied? Außerdem gibt es ja auch Kulturschaffende jeglicher Art, | |
zumeist Schriftsteller, die sich auch penibel an Regeln halten. Die | |
schreiben von acht Uhr bis zwölf. Wie Thomas Mann oder Kafka. Der hat ja | |
auch sein ganzes Leben in der Versicherung gearbeitet. Nur bei Musikern ist | |
das verboten. | |
19 Oct 2002 | |
## AUTOREN | |
MAX DAX | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |