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# taz.de -- einsatz in manhattan: Smiley-Faces statt Klassenkampf
> Abschied von New York
Vorgestern war Hausbesuch. Die Friseuse kam wie schon einige Male zuvor aus
Kansas City eingeflogen. Seit sie beim Starcoiffeur John Dellaria auf dem
West Broadway das Handtuch warf, kümmert sie sich privat um ihre ehemaligen
Kunden. Wenn sie via E-Mail Termine vereinbart, dann prangt unter ihrem
Namen der Titel „Chief Operating Officer, Project 518, Inc., Intellectual
Capital for Business“. Ein Wirtschaftsunternehmen, das sie mit ihrem Mann –
seines Zeichens Generaldirektor – aus der Taufe hob.
Das letzte Mal, als ich ihn in New York sah, verfolgte er frühmorgens vom
Sofa aus mit müden Augen die Börsennachrichten im Fernseher – während sie
mir, damals noch in ihrer Privatwohnung, geflissentlich das Haupthaar
trimmte. Auf die irgendwann zwischen wohltuender Kopfwäsche und
Kotelettenstutzen gestellte Frage, wie das Geschäft denn so laufe,
antwortete sie vorgestern wie schon jeden Monat zuvor: „Just fabulous,
Thomas, really well, thank you!“
Es ist dieser wunderbare Frohsinn, der in Amerika fast jeden waiter auch zu
einen writer oder actor macht. Kaum jemand auf den Straßen New Yorks, der
neben schnödem Broterwerb nicht auch ein wenig am eigenen Ruhm bastelt. Die
Anerkennung jenes uramerikanischen, unschuldigen Optimismus will der
Leitartikler der New York Times, Thomas L. Friedman, kürzlich in Berlin
auch als den Grund des euphorischen Empfangs für Ex-Präsident Bill Clinton
ausgemacht haben. Bush & Co. dagegen kämen als zynische Pessimisten rüber,
einzig besessen von ihren knallharten Machtstrategien. Natürlich, der 11.
September verbiete Naivität, aber nur Optimismus – soft power – und offene
Grenzen ließen Amerika als attraktive Alternative gegenüber
mittelalterlichem Fanatismus erscheinen. Das sei es, und nicht etwa
ungehaltenes Säbelrasseln, was den Bin Ladens dieser Welt das Fürchten
lehre.
Aber wie steht es hinter einer breiten Fassade an Smiley-Faces wirklich um
den amerikanischen Traum, das Recht auf – pursuit of happiness –, die
unbegrenzten Möglichkeiten? Alles nur egalitärer Papperlapapp. „Die
schreckliche Brillanz der amerikanischen Aristokratie ist es, der ganzen
Welt weisgemacht zu haben, dass sie nicht existiert“, sagt Dirk Wittenborn,
Autor des im Sommer erschienenen bitterbösen Bildungsromans „Fierce
People“, der die Lebensweise der Superreichen New Yorks mit
anthropologischem Eifer studiert hat. Das Buch handelt vor allem von
„unserer Weigerung zuzugeben, dass wir in Amerika ein festgefahrenes
Klassensystem haben“.
Wer unten ist, der bleibt auch dort. Zu einer Sippschaft aus den obersten
Regionen gehört bekanntlich Präsident Bush. Trotzdem nimmt man ihm die
hemdsärmelige Außenseiterpose des Rauhbeins aus Texas ab, selbst wenn
dieser vermeintliche Bruder des kleinen Mannes der Yale-studierte Spross
einer Elitefamilie ist, der die Lobbyisten des befreundeten Geldadels nach
Gutdünken bedient. „Lassen sie uns vulgär sein und etwas Spaß haben, lassen
Sie uns den Präsidenten einladen“, fiel Mr. Bonnycastle zur originellen
Partyplanung vor fast 120 Jahren in Henry James’ Erzählung „Pandora“ ein.
Vorbei die Zeit, als die Oberschicht über den Stand des Staatsoberhaupts
die Nase rümpfte.
Und nach den Wahlen vergangene Woche sind erstmals seit Eisenhower
Kongress, Senat und Präsidentschaft wieder fest in republikanischer Hand.
Bush hin oder her. Allein mit verbalen Hassattacken seitens der Demokraten,
die sich auf die gleiche rhetorische Ebene herunterschrauben, auf der die
Republikaner ihrerseits Clinton während der Lewinsky-Affäre trashten, ist
dem mächtigsten Mann der Welt nicht beizukommen. Ihrem Angriff fehlte das
Angebot eines Alternativprogramms. Auch wenn viele demokratische Wähler die
Rundumunterstützung des populären Präsidenten als blinden Ausverkauf
amerikanischer Tugenden empfunden haben, seinen Sieg konnten sie nicht
bremsen.
In New York ist man sich schon lange sicher: Der Angriff auf den Irak, ob
als historischer Fehler oder gerechter Krieg verstanden, wird genauso
kommen wie der nächste große Terroranschlag auf amerikanischem Boden.
Trotzdem hat sich bis auf vereinzelte „No War!“-Buttons am Mantelkragen
Vorbeieilender ganz und gar nichts am Alltagsleben verändert. Warum auch?
Am Tag der UN-Resolution lief Eminems erster Film „8 Mile“ in restlos
ausverkauften Kinos an.
Ich für meinen Teil werde New York Ende des Monats nach sieben Jahren
verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Wo ich bei jedem Besuch jenes
Land leidenschaftlich verteidigte, dass ich vor Ort ebenso heftig
kritisiere. Zu selbstgerecht, oft besserwisserisch und aus sicherer
Position heraus in die Runde geworfen erscheint ein Großteil des
anschwellenden Antiamerikanismus dort. Wo genau wäre Europa jetzt, wenn es
auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt vor zwei Jahren einen Terroranschlag
mit vielleicht hunderten Toten gegeben hätte? Und wer Amerika einzig mit
McDonald’s und Hollywood gleichsetzt, der hat Mark Rothkos Kunst nie
gesehen und keine von Walt Whitmans Zeilen gelesen, kleinste Fragmente nur
einer überaus reichen Kultur eines wunderbaren, endlos faszinierenden
Landes voll Schönheit und Utopie.
THOMAS GIRST
14 Nov 2002
## AUTOREN
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