# taz.de -- Sogar die Perspektive vorgegeben | |
> Förderer mit eigenwilligen Vorgaben: Dem ersten Kunsthallen-Direktor | |
> Alfred Lichtwark widmet sich die aktuelle Schau | |
von CHRISTIAN T. SCHÖN | |
„Für die Entwickelung unseres Volkstums müssen wir von der Erziehung | |
verlangen, dass sie die liebende Hingabe an unsere Sprache, Literatur und | |
Kunst in allen Kreisen erweckt.“ | |
Der nationale Unterton lässt sich in den Schriften des ersten | |
Kunsthallen-Direktors Alfred Lichtwark (1852-1914) nie wegdiskutieren. | |
Seine Sammlung von Bildern aus Hamburg, die jetzt zu einem Drittel in der | |
Hamburger Kunsthalle zu sehen ist, trug er allerdings nach dem Prinzip der | |
Stärkung der nationalen Kulturidentität zusammen, mit der er später auch | |
die Kunsterzieher-Bewegung konzeptionell durchzog: „Wir wollen zuerst der | |
Kunst des eigenen Volkes, den Kunstwerken, die der Heimat entsprossen sind | |
oder angehören, die Seelen bereiten.“ | |
1886 ins Amt berufen, begründete Lichtwark 1889 die Sammlung, für die er | |
zeitgenössische Künstler nach Hamburg einlud zu arbeiten. Anschließend | |
kaufte er deren Werke, die die unsystematische Sammlung der Kunsthalle | |
konturieren und aufstocken sollten. Mit Hilfe der „Hamburg“-Motive sollten | |
die Bewohner der Stadt für neuere Kunstströmungen erwärmt werden. Insgesamt | |
an die 50 Künstler folgten von 1889 bis 1914 seinem Ruf, darunter Max | |
Liebermann, Lovis Corinth und gegen Ende die Franzosen Edouard Vuillard und | |
Pierre Bonnard, deren Werke auch regulär in der Kunsthalle zu sehen sind. | |
In der Motivauswahl – heimkehrende Hafenarbeiter, Altonaer Fischmarkt, der | |
Alsterfluss, St. Michaelis, Bauernkaten – überwiegen Facetten des Lebens in | |
der Stadt, kaum repräsentative oder sozialkritische Ansichten. Das war auch | |
nicht Lichtwarks Absicht. Franz Skarbina etwa ließ Lichtwark gezielt das | |
Gängeviertel aquarellieren, weil es in den Folgejahren abgerissen werden | |
sollte. Erheblichen Einfluss nahm der Direktor gelegentlich auf die | |
Arbeitsmaterialien (Aquarell, Guache, Pastell, erst später auch Öl), | |
Bildformate und -motive. Für Lovis Corinths Blick auf den Köhlbrand | |
bestimmte er das Fenster, durch das der Maler blicken sollte; das Ergebnis | |
wirkt entsprechend starr. | |
Ab 1891 kamen Portraits von Hamburger Prominenten hinzu. Von Corinths | |
Professor Edouard Meyer sind in der Ausstellung daher zwei Versionen zu | |
sehen: eine nach Corinths und eine nach Lichtwarks Vorstellungen. Nur | |
selten setzten sich Künstler solchen Vorgaben ironisch zur Wehr – wie etwa | |
Thomas Herbst: Für seine Guache vom Amt Ritzebüttel (bei Cuxhafen) bequemte | |
sich der Künstler einfach nach Siethwende bei Elmshorn. | |
Lichtwarks in den späteren Jahren eher konservative Geschmack ist bekannt. | |
Deshalb leitet die Ausstellung geschickt überin die heutige ständige | |
Sammlung – einschließlich weiterer Hamburger Maler und Stilrichtungen. | |
Geradezu ins Auge springt er dem, der im Makart-Saal zwischen den Werken | |
der Ausstellung und Arbeiten von Ferdinand Hodler, Odilon Redon oder James | |
Ensor hin- und herwechselt, die zeitgleich, aber in anderem Kontext | |
entstanden. | |
Zur Wirkung der Sammlung über Hamburgs Grenzen hinaus sagt Kurator Ulrich | |
Luckhardt: „Ganz klar: Die gab es nicht!“ Eben, weil eine Tournee der | |
Sammlung durch andere Städte, wie Lichtwark sie angedacht hatte, ausblieb. | |
Die Sammlung von Bildern aus Hamburg wirft ein interessantes Licht auf die | |
„positive Reibungsenergie“ – so Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede – | |
zwischen dem auftraggebendem Mäzen Lichtwark und den ausführenden | |
Künstlern. Andererseits relativiert Schneede jedoch Lichtwarks Vorgehen. | |
Auch er habe bei der Einrichtung der Galerie der Gegenwart Vorgaben gemacht | |
– etwa an Kabakov oder Serra: „Aber es soll aus Blei sein!“ Dennoch, das | |
räumt Schneede ein, seien Lichtwarks konkreten Vorstellungen sehr | |
ungewöhnlich. Dieses kritische Verhältnis hätte die Schau allerdings gern | |
intensiver beleuchten können. | |
Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; bis 16. März 2003. Katalog 20 Euro. | |
19 Nov 2002 | |
## AUTOREN | |
CHRISTIAN T. SCHÖN | |
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