# taz.de -- Italienisch für Fortgeschrittene | |
> Wer heute zum Italiener geht, will keine Pizza essen, sondern etwas | |
> Besonderes sein. „Made in Italy“, sagt die Politologin Edith Pichler, ist | |
> vor allem in Berlin zum Markenzeichen der ethnischen Ökonomie geworden | |
Interview UWE RADA | |
taz: Frau Pichler, was ist der Unterschied zwischen Farfalle und Spirelli? | |
Edith Pichler: Spirelli waren die Nudeln der Fünfzigerjahre, Farfalle die | |
der Siebzigerjahre. | |
Und was ist typisch italienisch für die Neunzigerjahre? | |
Risotto. Italien war damals übrigens auch bei den Autos angesagt. Waren in | |
den Siebzigern bis Mitte der Achtzigerjahren noch die französischen Autos | |
ein Synonym für Lebensstil, für Savoir-vivre, so sind es seit den | |
Neunzigerjahren, also seit dem Fiat Uno, die italienischen. | |
Man muss also nicht nur Italienisch für Anfänger belegen, wenn man | |
hierzulande mitreden will. | |
Natürlich muss man sich auskennen. Man muss auch zwischen den echten und | |
den falschen Italienern unterscheiden lernen. | |
Was sind die falschen? | |
Italienische Restaurants, die noch eine Küche aus den Siebzigerjahren | |
anbieten. | |
Also Farfalle. | |
Ein Mischmasch an Zutaten, Gerichte, die gar nicht italienisch sind. | |
Abgesehen davon, dass es gar keine echte italienische Küche gibt. Zumindest | |
keine nationale. Die italienische Küche ist eine regionale Küche. Die | |
italienische Küche, wie sie in Deutschland verstanden wird, ist eine | |
Zusammenfassung dieser regionalen Küchen. | |
Wie soll man da mithalten? Früher reichte es, wenn man den Unterschied | |
zwischen Pizza und Pasta asciutta kannte. | |
Und jetzt gibt es neben Risotto noch Parpardelle. | |
Was ist an der italienischen Küche hier echt, was ist ethnische | |
Zuschreibung? | |
Es gibt diese ethnische Zuschreibung tatsächlich, nicht nur bei Italienern. | |
Wir sehen, dass bestimmte Migrantengruppen ökonomische Nischen besetzen und | |
Aktivitäten entwicklen. Dementsprechend werden sie auch identitfiziert, | |
also Italienern mit Pasta, Türken mit Döner. Wenn man sagt, ich war gestern | |
beim Italiener, ist klar, dass man ein Restaurant meint. Wenn man sagt, ich | |
war beim Türken, meint man, man hat Obst und Gemüse gekauft. Diese | |
Zuschreibung ist zugleich eine Festlegung. In der Regel sind diese | |
Migranten nur erfolgreich, wenn sie sich an diese Zuschreibung auch halten. | |
Ein Italiener, der Elektrogeräte verkaufen will, ist weniger erfolgreich | |
als ein Restaurantbesitzer. | |
Gegenwärtig scheint sich auch das zu ändern. „Der Italiener“, das sind | |
inzwischen mehr Salumerien und Enotecen als Pizzerien. | |
Das ist eine neue Entwicklung, die es nur in Deutschland gibt, nicht aber | |
in Italien. Und diese Entwicklung steht in Zusammenhang mit der Zuwanderung | |
neuer italienischer Migrantengruppen. Im Unterschied zu vielen | |
westdeutschen Städten hat die Communitybildung in Berlin eine ganz andere | |
Entwicklung gehabt. In den Sechzigerjahren waren es die Arbeitsmigranten, | |
dann kamen die so genannten Rebellen, nach ihnen die Postmodernen, wie ich | |
sie nenne. Letztere sind Personen, die versuchen, neue Nischen zu | |
entdecken, wenn sie sich selbstständig machen. Dazu kommen natürlich noch | |
andere Faktoren, wie der EU-Binnenmarkt oder auch die Änderung des | |
kulinarischen Geschmacks. Was man heute anbietet, hätte man vor 20 Jahren | |
noch nicht anbieten können. Da hätte man damit keinen Erfolg gehabt. | |
Sie haben das Stichwort Nischen genannt. Wie hat sich die italienische | |
Ökonomie in Berlin im Verlaufe der letzten Jahrzehnte entwickelt? | |
Generell unterscheidet man bei einer ethnischen Ökonomie zwei Formen: die | |
Ergänzungsökonomie und die Nischenökonomie. Erstere richtet sich vor allem | |
an die Community selbst, also zum Beispiel türkische Waren für türkische | |
Käufer, obwohl sich das nun auch ändert. Die Nischenökonomie hat dagegen | |
den einheimischen Markt zum Ziel. Die italienische Ökonomie war in diesem | |
Sinne immer eine Nischenökonomie. Das hat mit den Pizzerien angefangen und | |
hört mit den Salumerien längst nicht auf. | |
Auch in Westdeutschland? | |
Nein, nur in Berlin. In Wolfsburg zum Beispiel leben tausende Italiener. | |
Das war die erste Migrantengruppe, die bei Volkswagen arbeitete. Dort | |
nehmen die Italiener eine ähnliche Rolle ein wie die Türken in Berlin. Das | |
heißt, sie betreiben mittlerweile Obst- und Gemüsegeschäfte. Da gibt es | |
keine Spezialitäten- oder Schickimickiläden. | |
Wie kam es zu diesen Unterschieden? | |
Dass Italiener im Gegensatz zu Westdeutschland in Berlin nicht als Obst- | |
und Gemüsehändler tätig sind, hat auch damit zu tun, dass diese Gruppe hier | |
nicht die erste Migrantengruppe und auch eher klein war. Es lag aber auch | |
am Migrantentypus selbst. Für diejenigen, die dann ein Restaurant | |
aufmachten, war das die Erfüllung eines bestimmten Lebensstils. Denken Sie | |
nur an all die Lokale, wo es auch Kultur gibt, Ausstellungen und so weiter. | |
Warum gab es nach Berlin nicht diese große Arbeitsmigration wie etwa nach | |
Wolfsburg oder nach Stuttgart? | |
Das hatte mit der Rekrutierungspolitik der Berliner Industrie zu tun. Die | |
hat im Gegensatz zu Westdeutschland später angefangen, Migranten zu werben. | |
Das waren auch vorwiegend Arbeitskräfte aus der Türkei oder aus | |
Griechenland. Zu der Zeit war auch das Arbeitskräftereservoir in Italien | |
nicht mehr so groß, die meisten waren ja schon in Westdeutschland. Das | |
alles hatte dazu geführt, dass die italienische Arbeiterschaft in der | |
Berliner Community immer in einer Minderheit war. | |
Hatte das auch mit dem Image von Berlin zu tun? | |
Ja. In den Siebzigerjahren kamen viele junge Leute, die in Berlin von der | |
Studentenbewegung fasziniert waren. Die haben hier studiert, gejobbt, | |
Italienisch unterrichtet. Dann gab es eine Zeit, in der Berlin für junge | |
Italienerinnen attraktiv war, die aus der Provinz entfliehen wollten. | |
Berlin hatte den Mythos einer Stadt, in der man sich entfalten kann, wo man | |
verschiedene Lebensformen ausprobieren konnte, wo es nicht diese soziale | |
Kontrolle gab. In den Achtzigerjahren dann war Kreuzberg sehr in. Da war es | |
auch unter jungen Italienern angesagt, in SO 36 zu leben. Jetzt ist Berlin | |
auch attraktiv für Leute, die die Multikulturalität der Stadt sehr angenehm | |
finden, dazu gehört auch die italienische schwule Community. | |
Es gibt das Image Berlins, und es gibt das italienische Image. Das ist, wie | |
Sie gesagt einmal haben, positiv besetzt und beinahe zur „ethnischen | |
Ressource“ geworden. Made in Italy als Erfolgsgeschichte? | |
Da wäre natürlich zu untersuchen, ob das wegen der Italiener in Berlin zur | |
Erfolgsgeschichte wurde oder weil sich Italien in den letzten dreißig | |
Jahren gewandelt hat. | |
Die ethnische Ressource betrifft sowohl die Menschen als auch das Produkt. | |
In Berlin hat man ja nie Itaker gesagt. | |
Stimmt. Höchstens Spaghettifresser. Heute sind die Deutschen auch | |
Spaghettifresser geworden. | |
Ist die ethnische Ressource, das sich von ihrme ethnischen Ursprung lösen | |
kann? Es gibt ja auch italienische Restaurants, die von Arabern betrieben | |
werden. | |
Oder von Türken. | |
Verweist dieses wenn man so will ethnische Bootlegging auch auf ein | |
Ethno-Ranking in einer Stadt wie Berlin. Also die Italiener ganz oben, | |
Türken und Osteuropäer eher hinten? | |
Dieses Ranking betrifft weniger die Ethnie selbst als die Möglichkeit, mit | |
dieser Zuschreibung Erfolg zu haben. Die Türken und Araber, die in Berlin | |
eine Pizzeria betreiben, wollen keine Italiener sein, sondern Geld machen. | |
Das gilt im Übrigen auch für andere Tätigkeiten. Ich habe unlängst in der | |
U-Bahn einen Russen getroffen, der Italienisch gesungen hat. Er hat | |
übrigens kein richtiges Italienisch gesungen. Aber er hat versucht, eine | |
neue Nische zu entdecken, weil vielleicht es russische Straßenmusikanten ja | |
sehr viele gibt. | |
Wie entsteht ein solches Image? Die Berliner fahren ja nicht nur in die | |
Toskana in den Urlaub, sondern auch nach Griechenland und in die Türkei. | |
Warum erfindet man in Berlin nicht eine türkische Küche? Der Döner ist ja | |
auch eine deutsche Erfindung. | |
Das hat auch mit Italien länger gedauert. In den Sechzigern fuhren die | |
Deutschen nach Rimini und an den Gardasee, die Toskana kam als Reiseziel | |
erst später. Entsprechend sah auch die Vorstellung der italienischen Küche | |
aus. Ich kann mit durchaus vorstellen, dass etwas Ähnliches auch mit der | |
Türkei passieren kann. Vielleicht ändern sich auch dort die Reiseziele und | |
mit ihnen die Küche. Auch die türkische Küche ist ja eine sehr tolle Küche. | |
Um zu einer Erfolgsgeschichte zu werden, braucht es aber nicht nur | |
kulinarische Ressourcen, sondern auch eine Mittelschicht, die diese hier | |
vermarktet. | |
Die wird hier auch entstehen. Die entsteht ja schon. Der Unterschied ist | |
nur der, dass die italienische Mittelschicht immer noch vorwiegend aus | |
Italien nach Berlin kommt, während die türkische hier geboren ist. Das | |
Ergebnis ist aber das gleiche. Auch die Türken besitzen mehr und mehr das | |
soziale und kulturelle Kapital, um hier aktiv zu werden. Die Frage ist | |
allerdings, ob die, die aus der Community selbst heraus geboren werden, | |
noch diese Bindung haben, um diese Liaison zwischen Produkt, Geschmack und | |
Image herstellen zu können. | |
Sie sagen, Frankreich war der Lebensstil der Achtziger, Italien der der | |
Neunziger. Welcher wird es in Zukunft sein? | |
Eine Mischung aus allem, aber mit starken orientalischen Einflüssen. | |
Zur ethnischen Ökonomie gehört auch die Schattenökonomie. Wie ist es in | |
Berlin um die italienische Mafia bestellt? | |
Als die Mauer noch stand, gab es hier keine Mafia, dessen bin ich mir | |
sicher. Jetzt höre ich nichts davon. Ich denke, dass mafiose Strukturen in | |
anderen Einwanderergruppen eher vorhanden ist. Ich glaube, die italienische | |
Mafia gibt es eher in Westdeutschland als in Berlin. | |
Nun ist die Schattenökonomie ja auch eine Form der Überlebensökonomie für | |
die, die aus allen Netzen fallen. Unter den Italienern in Berlin gibt es | |
eine Arbeitslosenquote von 32 Prozent. Wie sichern die weniger | |
Erfolgreichen ihren Lebensunterhalt? | |
Es gibt die Inkludierten und die Exkludierten. Letztere sind aber nicht so | |
sehr ausgeschlossen, dass sie keine wirtschaftliche Überlebensmöglichkeit | |
haben. Es gibt immer auch Formen der Selbstinklusion. | |
Durch den Weg in die Selbstständigkeit? | |
Ja, aber auch durch bestimmte Formen der grauen Arbeit. | |
Gibt es da einen Sektor, in dem Italiener besonders häufig vertreten sind, | |
etwa wie die Polen in der Bauwirtschaft? | |
Das ist die Gastronomie. Fast 60 Prozent der Italiener in Berlin sind im | |
Dienstleistungssektor beschäftigt. Dahinter verbirgt sich natürlich die | |
Gastronomie. | |
Und in derselben die Schattenwirtschaft. | |
Wer in ein Restaurant geht und Pasta für fünf Euro isst, weiß, dass das | |
nicht alles formell erwirtschaftet werden kann. | |
Den klassischen Einstieg der Zuwanderer in der ethnischen Ökonomie gibt es | |
also auch bei den Italienern in Berlin. | |
Ja, das ist übrigens auch das Gleiche, das man in Italien beobachten kann, | |
wo die so genannte untergetauchte Ökonomie nach und nach auftaucht. Das ist | |
noch nicht einmal eine Entwicklung vom informellen zum formellen Sektor, da | |
sind auch ganz neue Formen der Beschäftigung darunter. Davon profitieren | |
natürlich auch diejenigen, die diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen. | |
Bislang ist immer davon die Rede gewesen, dass diese Formen grauer Arbeit | |
eher schaden als nutzen. | |
Auf der anderen Seite werden damit auch Arbeitsplätze geschaffen, ohne dass | |
ich jetzt bewerten will, unter welchen Bedingungen die Leute dort arbeiten | |
müssen. Davon profitieren nicht nur die Einwanderercommunitys, sondern auch | |
die einheimische Bevölkerung. Zum Zweiten hat diese ethnische Ökonomie auch | |
eine ganz entschieden stabilisierende Funktion. | |
Hat das die Politik begriffen? | |
Noch nicht ganz. Die zuständigen Personen im Wirtschaftssenat sind nicht so | |
weit. Ethnische Ökonomie scheint immer noch ein Fall für die | |
Ausländerbeauftragte zu sein, also für die Sozialverwaltung. Offenbar sind | |
Migranten immer noch ein Fall für soziale Fürsorge. Das ist immer noch die | |
alte, paternalistische Haltung. | |
Apropos Haltung. Wie halten Sie es mit der italienischen Küche? | |
Ich esse am liebsten Artischocken. Nach römischer Art. | |
Welche kulturelle Distinktion verbirgt sich dahinter? | |
Gar keine. Artischocken sind ein typisches Gemüse aus dem Süden, und | |
römische Art heißt lediglich: mit Petersilie und Knoblauch. Ich esse aber | |
auch ums Leben gern Spätzle. | |
2 Dec 2002 | |
## AUTOREN | |
UWE RADA | |
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