# taz.de -- Antiklassisches Programmbild | |
> ■ Deutungsreigen um Victor Emil Janssens Selbstporträt | |
Das Bild stammt von einem eher unbekannten Maler und fällt doch seit rund | |
hundert Jahren wegen seiner Sonderstellung in der Kunstgeschichte so auf, | |
dass es zu den meistausgeliehenen und meistbesprochenen Gemälden der | |
Hamburger Kunsthalle zählt: Victor Emil Janssens „Selbstbildnis vor der | |
Staffelei“ von 1828. Der Hamburger Künstler stellt sich im enggeschnittenen | |
Selbstbildnis mit grüntonig nacktem Oberkörper im Schlafzimmer vor der | |
Staffelei dar. Das Bild wirkt in Lichtführung, Körperhaltung und | |
Bildausschnitt so modern, dass seine Entstehung im Kreis der nazarenischen | |
Künstler der Romantik verblüfft. | |
Eine kleine, hochinteressante Ausstellung der Reihe „Im Blickfeld“ zeigt | |
jetzt das künstlerische Umfeld des Bildes, und damit auch, wie spannend | |
Kunstgeschichte sein kann. Zusammengestellt wurde sie von Sebastian Giesen, | |
seit kurzem Leiter des Ernst-Barlach-Hauses im Jenischpark – und der stellt | |
manche liebgewordene Legende richtig. Per Ferndiagnose am historischen Bild | |
stellt Dr. med. Franz Joseph Heil fest, es bestünde „kein Zweifel, dass bei | |
Victor Emil Janssen zum Zeitpunkt des Selbstporträts ein Morbus Bechterew | |
bestand“, eine medizinisch als Spondylarthritis ankylopoetica bezeichnete | |
krumm machende Entzündung der Wirbelgelenke. Doch die Künstlergenossen | |
beurteilten den von ihnen „Jünger Johannes“ genannten Janssen als guten | |
Sportler und schönes Modell, wenn auch etwas schweigsam. Erst um 1840 gab | |
es Anzeichen für eine schwere Erkrankung, 1845 dann starb Victor Emil | |
Janssen 38-jährig in Hamburg – 17 Jahre nach dem „Selbstbildnis vor der | |
Staffelei“. | |
Wenn aber „schonungslose Krankheitsdarstellung“ oder „Todessymbolik“ ke… | |
sinnvollen Schlüssel für das Bild sind, was dann? Das Bild, im zweiten Jahr | |
seines Münchner Aufenthaltes in intimem Format auf Papier gemalt, ist nicht | |
für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen und fand sich im Nachlass eines | |
Freundes. Es ist ein einziger Widerspruch zur offiziellen Lehre der an der | |
Akadamie herrschenden Nazarener und zu deren Idealismus. | |
Janssen deckt in seinem etwas manieristischen Stil alle klassischen | |
Gattungen der Malerei ab: Portrait, Akt, Gewandstudie, Stillleben und | |
Interieur. Das Bild wird so umfassender Ausdruck des Malaktes selbst. | |
Besonders kühn ist dabei, durch die Anschnitte des schmalen Ausschnitts das | |
Malen selbst gar nicht und die Leinwand nur zu einem winzigen Teil zu | |
zeigen. Am besten ist das Bild zu deuten als privates Programmbild für eine | |
antiklassische, antiakademische und antioffizielle Kunstauffassung, eine | |
Vorformulierung des späteren Realismus mitten in der Romantik. Hajo Schiff | |
Im Blickfeld: Victor Emil Janssen – Selbstbildnis vor der Staffelei, | |
Galerie der alten Meister, Hamburger Kunsthalle, bis 13. Mai, Katalog 48 | |
Seiten, 16 Mark | |
16 Mar 2001 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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