# taz.de -- Antigua und Barbuda: Mango statt Mandela | |
> Ihren Traumjob beim Fernsehen in Kanada warf Mitzi Allen weg und schuf | |
> sich dann auf Antigua ihr eigenes kleines Medien-Imperium – mit | |
> permanentem Meerblick. | |
Bild: Blick auf die traumhaften Buchten von Antigua. | |
Was es letztendlich war, das ihr Leben verändert, auf den Kopf gestellt und | |
einmal auf links gedreht hat, das weiß Mitzi Allen gar nicht mehr so genau. | |
„Ist ja auch schon mehr als 20 Jahre her“, sagt sie und schaut aufs Meer. | |
„Und überhaupt: Den einen, den einzigen Grund – den gab es nicht.“ | |
Das allgegenwärtige Meer um Antigua herum wird seine Rolle gespielt haben, | |
als sich Mitzi Allen entschlossen hat, auf der Insel zu bleiben. Es gibt | |
reichlich davon hier am Fort James, das auf einer kleinen Landzunge liegt. | |
Mitzi sitzt auf der Terrasse vor Russell’s Bar & Seafood Restaurant, es ist | |
eines der beliebtesten Lokale der Insel. | |
Sie erzählt davon, dass sie hier geboren ist und mit ihren Eltern fortzog, | |
nach Toronto, Kanada, da war sie sieben. Wie sie langsam vergessen hat, was | |
Antigua ist. Das Wasser zum Beispiel, das hier in mehreren Sorten blau in | |
der karibischen Sonne schimmert, von Helltürkis bis Tintendunkel. | |
Der Geruch von Mangos und Tamarinden, die hier an jeder Ecke wachsen. | |
Natürlich die Sonne, das gemächliche Tempo, in dem das Leben auf dieser | |
Karibikinsel fließt. All das spielte keine große Rolle mehr für Mitzi, | |
bevor sie 1991, damals 28 Jahre alt, Urlaub auf der Insel machte, die mal | |
ihre Heimat war. | |
Mitzi Allen war eine Fernsehjournalistin, „und ich war gerade total auf der | |
Überholspur“. Direkt nach dem College hatte sie ein Sender vom Fleck weg | |
als Reporterin engagiert, „mein Highlight war die Berichterstattung vom | |
Hurricane ’Gilbert‘ 1987“, sagt sie. Ein Sprungbrett für höhere Aufgabe… | |
CFMT-TV, damals Kanadas größter privater Fernsehsender, warb das | |
Fernsehtalent ab. | |
„Für die durfte ich dann 1991 vom ersten Besuch Nelson Mandelas in Kanada | |
berichten“, sagt sie, „definitiv das Größte, was ich erlebt habe.“ Sie | |
machte ihre Sache ziemlich gut. Der Sender trug ihr einen Traumjob an: | |
Anchorwoman der Nachrichten zur besten Sendezeit. Mitzi sagte zu. Und fuhr | |
erst einmal in Urlaub. | |
## Der dringende Wunsch, etwas aufzubauen | |
Es gibt diese Momente, in denen einem bewusst wird, dass irgendetwas im | |
Leben nicht stimmt, und wenn es von außen noch so gut aussieht. Mitzi hatte | |
eine Reihe dieser Momente während ihrer Ferien. „Es war so unglaublich | |
schön hier“, sagt sie, „und ich spürte, dass ich wieder in Verbindung mit | |
meinen Wurzeln kam. Außerdem hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich auch | |
beruflich eine ganz andere Herausforderung brauchte. Ich wollte mit meinem | |
Know-how hier etwas aufbauen.“ | |
Und deshalb fuhr sie nach Toronto und kündigte. Packte ihre Sachen, kam | |
zurück nach Antigua und produzierte Nachrichtensendungen für einen | |
unabhängigen Fernsehsender. Moderierte im Radio. Schrieb für eine Zeitung. | |
Und bildete nebenbei junge Journalisten aus. Es war alles provisorisch, es | |
war unfertig, es war chaotisch. Mitzi war glücklich. | |
Antigua macht es einem leicht, sich gut zu fühlen. Sie gilt als eine der | |
freundlichsten, entspanntesten Inseln in diesem Teil der Welt, der ja | |
ohnehin nicht für übertriebene Hektik bekannt ist. Und Antigua ist ein | |
überschaubares Stück Karibik. Knapp 85.000 Menschen leben hier, die Insel | |
ist 15 Kilometer lang und 20 breit, die Fläche entspricht etwa der des | |
Stadtgebiets von Dortmund. | |
## Traumstrände auf Barbuda | |
Zum Staatsgebilde gehört das weit kleinere Barbuda, ein paar Flugminuten | |
nördlich, wo es sehr wenige Menschen gibt und spektakuläre Strände, die | |
rosafarben schimmern. Bis 1981 gehörten Antigua und Barbuda zu | |
Großbritannien, seitdem ist es unabhängig von der britischen Krone und mit | |
relativem Wohlstand gesegnet. | |
Der soll bösen Gerüchten (und Recherchen eines amerikanischen Journalisten) | |
zufolge auch daher rühren, dass hier früher mal kolumbianisches Drogengeld | |
gewaschen wurde und der US-Geheimdienst Waffengeschäfte über Antigua | |
abgewickelt hat. Aber darüber spricht hier niemand. Im Süden wird noch ein | |
bisschen Zuckerrohr angebaut, ansonsten sind es vor allem amerikanische und | |
britische Touristen, die Geld ins Land bringen. | |
Die Tourismusbehörde Antiguas wirbt schließlich auch enthusiastisch damit, | |
dass es auf der Insel 365 Strände geben soll, einer für jeden Tag des | |
Jahres, einer schöner als der andere („Mein liebster ist Fryes Bay im Süden | |
der Insel“). „Ich glaube nicht, dass das mal jemand nachgezählt hat“, sa… | |
Mitzi. | |
## Segeregatta und Chricket | |
Jedes Jahr im April steigt mit der Antigua Sailing Week eine der | |
wichtigsten Segelregatten der Welt. Oprah Winfrey, Eric Clapton, Georgio | |
Armani und Robert DeNiro haben Häuser auf der Insel. Der berühmteste | |
Staatsbürger von Antigua and Barbuda ist Sir Vivian Richards, ein | |
Ex-Cricket-Spieler und weltbekannt – jedenfalls in dem Teil der Welt, der | |
weiß, was Cricket ist. Das Nationalstadion ist nach ihm benannt. | |
Mitzi hat ihre Lieblingsplätze auf der Insel. Das Russell’s am Fort James | |
im Norden gehört dazu, sie sitzt ja gerade hier. Denis’ Bar an ihrem | |
Lieblingsstrand. „Und für die Sonnenuntergänge fahre ich gern nach Shirley | |
Heights“, sagt sie. Es ist der vielleicht spektakulärste Platz der ganzen | |
Insel. Der Shirley Heights Lookout ist ein ehemaliger Militärposten, 150 | |
Meter über Nelson’s Dockyard gelegen. Der Ausblick da oben setzt allen | |
karibischen Postkartenklischees die Krone auf. | |
Russell Hodge, der im letzten Jahr verstorbene Besitzer der Bar am Fort | |
James, hat 1981 damit begonnen, die Militäranlagen zu restaurieren und | |
umzuwidmen: Im alten Wärterhaus oben über der Bucht ist jetzt ein | |
Restaurant. Und das ist das Zentrum des beliebtesten Partystandpunkts der | |
Insel. | |
## Manchmal gibt es Ärger im Paradies | |
Immer sonntags treffen sich hier Einheimische und Touristen zum Barbecue, | |
mit Steel Band am Nachmittag und Reggae am Abend. Friedlich ist es, | |
fröhlich, ausgelassen, lecker: Es gibt Hähnchen und Fisch, gewürzt auf | |
diese besondere, fruchtig-scharfe kreolische Art. Wenn es so etwas wie | |
einen karibischen Traum gibt: Sonntagnachmittag wird er hier gelebt. | |
Manchmal gibt es auch Ärger im Paradies. Zwischen zehn und 16 Morde pro | |
Jahr gibt es auf der Insel. Meist sind es Konflikte unter den | |
Einheimischen, davon bekommen Touristen in der Regel nicht viel mit. Aber | |
als 2008 ein walisisches Paar in den Flitterwochen in seinem Hotelzimmer | |
überfallen und ermordet wurde, hat das Antigua empfindlich getroffen. Zum | |
einen, weil man so etwas nie für möglich gehalten hatte. Zum anderen, weil | |
gerade britische Touristen eine Zeit lang einen Bogen um Antigua machten. | |
## Der Wohltäter im Gefängnis | |
Ein weiteres Mal geriet der Kleinstaat im Meer in die Schlagzeilen, als ihm | |
sein Hauptgeldgeber abhanden kam. Der texanische Unternehmer Allen | |
Stanford, der seinen Firmensitz auf der Insel hatte und Antiguas Wohlstand | |
deutlich mehrte, wurde 2009 angeklagt, mehrere Investoren um etwa sieben | |
Milliarden Dollar betrogen zu haben. Der vermeintliche Wohltäter sitzt nun | |
für 110 Jahre im Knast in Texas. | |
„Das hat die Insel wirtschaftlich schwer getroffen“, sagt Mitzi, „einige | |
der vielen Stanford-Angestellten sind in den Staatsdienst übernommen | |
worden, andere nach Nordamerika ausgewandert – so wie meine Eltern damals.“ | |
Ob die Regierung, die den Betrüger lange hofiert hat, noch einmal | |
wiedergewählt wird, steht in den Sternen. | |
Mitzi Allen selbst hat ein gut laufendes Geschäft. Hama Productions heißt | |
ihre Firma, das steht für "Howard And Mitzi Allen". Sie hat diesen Howard | |
kurz nach ihrer Ankunft auf Antigua kennengelernt. Er war Techniker bei | |
jenem Fernsehsender, „die Ein-Mann-Produktions-Abteilung“, sagt sie. Es | |
ging schnell mit den beiden, seit 20 Jahren sind sie jetzt schon | |
verheiratet. Und Geschäftspartner. | |
Sie haben 2001 den ersten Spielfilm gedreht, der jemals von Einheimischen | |
der Westindischen Inseln produziert wurde. „The Sweetest Mango“ hieß er, | |
eine romantische Komödie mit viel Inselflair, der die | |
Mitzi-trifft-Howard-Story nacherzählt. | |
## Ausbildung für Produzenten | |
„War ein ziemlicher Erfolg hier“, sagt Mitzi. Inzwischen wird die Firma | |
aber auch jenseits der 365 Strände wahrgenommen. Vier Filme hat Hama | |
inzwischen produziert, der letzte lief sogar auf Filmfestivals in Kanada | |
und New York. „Außerdem schulen wir junge Fernsehschaffende kreuz und quer | |
durch die Karibik“, sagt Mitzi, „in 16 Ländern haben wir schon Produzenten | |
ausgebildet.“ | |
Gerade die Frauen in der Karibik seien es, die ambitioniert sind und | |
getrieben vom Willen, sich etwas aufzubauen, sagt Mitzi. Sie sei da eher | |
die Regel als die Ausnahme. Und sie ist ein Beispiel dafür, dass es sich | |
lohnen kann, einen Traumjob in den Medien einfach wegzuwerfen und sich | |
einen anderen zu basteln – und zwar in einer traumhaften Gegend. | |
Mitzi Allen ist 49 Jahre alt, sie sieht locker fünfzehn Jahre jünger aus, | |
das Leben hier meint es in vielerlei Hinsicht gut mit ihr. „Ich habe nicht | |
eine Sekunde bereut, dass ich Toronto verlassen habe“, sagt Mitzi, „ich | |
konnte hier immer meiner Leidenschaft folgen. Und habe auch noch die Liebe | |
gefunden.“ Sie grinst. „Mein Leben“, sagt sie schließlich, „ist | |
rappelvoll.“ | |
17 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Stephan Bartels | |
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