# taz.de -- Anschutzisierung auf Eis | |
> Der Konzern des amerikanischen Milliardärs Philip F. Anschutz kauft | |
> Eishockeyklubs von London bis Berlin und will das rasante Kufenspiel in | |
> Europa als Sport Nummer zwei nach dem Fußball etablieren | |
von THOMAS BECKER | |
Wenn aus Eisbären Ritter werden, muss nicht unbedingt die Märchenfee | |
dahinterstecken. Manchmal ist es einfach nur der reiche Onkel aus Amerika. | |
In diesem Fall heißt er Philip F. Anschutz, lebt in Denver, Colorado, und | |
ist der etwa fünft- oder achtreichste Mensch der Welt. Seine Hobbys: Laufen | |
(Marathon!), Tennis, Squash, Jagen und Sammeln (Gemälde aus dem | |
amerikanischen Westen). Seit zwei Jahren weitet sich seine | |
Sammelleidenschaft aus: Onkel Phil kauft Eishockeyklubs, am liebsten welche | |
aus der Alten Welt, aus Europa. | |
Fünf hat er schon, und am vergangenen Wochenende spielten sie im Berliner | |
„Wellblechpalast“ alle zusammen – und gegeneinander. Und weil die London | |
Knights, die armen Ritter aus Britannien, zu wenige waren für eine | |
komplette Mannschaft, zogen sieben Spieler des EHC Eisbären Berlin Trikots | |
der Engländer an. Das war nicht nur nett und gastfreundlich, sondern ein | |
Vorgeschmack auf das, was dem europäischen Eishockey demnächst blühen | |
könnte: die Anschutzisierung. | |
Phil Anschutz (59) hat viel Geld verdient in den Bereichen Erdölförderung, | |
Kommunikations- und Transportwesen. Ein guter Geschäftsmann investiert | |
immer weiter. Oktober vergangenen Jahres öffnete in Los Angeles die Staples | |
Arena, eine Sport- und Veranstaltungshalle für 20.000 Zuschauer. | |
Kostenpunkt: 375 Millionen Dollar. Erster Gast: Bruce Springsteen. Des | |
Weiteren: Bette Middler, die Eurythmics, letzte Woche der Parteitag der | |
Demokraten, die Grammy-Gewinner, die Basketballer der Lakers und Clippers, | |
die Footballer der Avengers und die Eishockeycracks der L.A. Kings, dem | |
größten Klub der Anschutz-Sammlung. | |
Seit zwei Jahren also Europa. Zuerst London, nicht gerade eine Stadt, die | |
man mit Eishockey verbindet. Anschutz installierte nach fast 30 Jahren | |
wieder ein Profiteam in der Stadt – und sanierte für zehn Millionen Pfund | |
die gigantische London Arena in den Docklands, die nun als der schönste | |
Sport- und Entertainmentkomplex Englands gilt. Im Jahr zwei wurden die | |
Knights Meister. Nächste Station: Sparta Prag, ein Verein mit Tradition, | |
aber ohne Geld und Erfolg. Im Frühjahr holte der Klub den Meistertitel | |
(erst den zweiten in zehn Jahren) und wurde auch noch Vizemeister in der | |
Europaliga. | |
In München wurde mit den Barons ein Retortenteam geschaffen. Ergebnis nach | |
einem Dreivierteljahr Vereingeschichte: Meister, Finalsieg gegen | |
Marktführer Köln. Nur Servette Genf und die Berliner Eisbären passen noch | |
nicht so recht in die märchenhafte Erfolgsgeschichte des Onkel Anschutz. | |
Ist aber wohl nur eine Frage der Zeit. | |
## Planung ist langfristig | |
Davon hat Anschutz offensichtlich genug: Zeit. Man plant langfristig, sagt | |
Detlef Kornett, der seit dem 1. August als Geschäftsführer die Anschutz | |
Sports Holding in Europa vertritt. Die Expansion des Konzerns schreitet | |
voran: „Es gibt große Hockeynationen, in denen wir noch nicht vertreten | |
sind“, sagt Kornett, und es klingt fast wie eine Drohung. Nach Skandinavien | |
geht der Blick, auch in Tschechien und Russland scheint ein | |
Anschutz-Engagement nicht ausgeschlossen. Die Einführung einer Europa-Liga | |
ist wohl schon mehr als nur ein Gedankenspiel. Was das Ziel des eifrigen | |
Jägers und Sammlers ist? Kornett meint lapidar: „Dass die L.A. Kings | |
möglichst oft den Stanley-Cup gewinnen.“ | |
Doch mit Titeln allein ist noch kein Geld verdient. Kornett: „Wir glauben, | |
dass Sport als Wirtschaftsfaktor an Bedeutung zunehmen wird, nicht nur im | |
Fußball. Eishockey könnte sich als secondary sport etablieren.“ Trotzdem | |
dünnte der Konzern bei seinen DEL-Klubs den Geldbeutel kräftig aus. Die | |
Barons, immerhin der deutsche Meister, müssen in der neuen Saison mit einem | |
kleineren, schwächeren Kader auskommen. Ebenso die Eisbären: Nur 5,5 | |
Millionen Mark – 1,5 Millionen Mark weniger als im Vorjahr – dürfen die | |
Berliner ausgeben. Dafür profitieren alle, sagt Detlef Kornett, von den nun | |
zu schaffenden Synergien: „Unser Scouting-System deckt alle wichtigen Ligen | |
zwischen Kanada, Tschechien und Finnland ab. So ist man nicht auf das | |
erstbeste Angebot angewiesen, sondern kann sich in Ruhe informieren. Wir | |
wollen ein weltweit einzigartiges Netzwerk schaffen: Eishockey-Wissen, | |
Eishockey-Trainer, Eishockey-Manager.“ | |
## Gesammeltes Know-how | |
So trafen sich beim traditionellen Sommerturnier der Eisbären auf dem | |
maroden Dynamo-Gelände im Berliner Osten die fünf Anschutz-Teams und das | |
gesammelte Eishockey-Know-how des Konzerns. Neben den Turnierspielen – es | |
siegte das Team aus München – standen für Trainer und Manager drei Tage | |
lang Seminare auf dem Programm, teilweise schon von acht Uhr morgens an. Es | |
wird wohl das letzte Turnier mit nur fünf Anschutz-Teams gewesen sein. Und | |
ob die Sammlung von Onkel Phil noch oft im Wellblechpalast zu Gast sehen | |
sein wird, darf bezweifelt werden. Man sei, was die Errichtung einer | |
multifunktionalen Halle betrifft „grundsätzlich bereit, was Beispielhaftes | |
auf die Beine zu stellen“, sagt Detlef Kornett. Will sagen: Bald geben sich | |
in Berlin Eisbären, Ritter und Popstars die Klinke in die Hand. Und Onkel | |
Phil hält die Hand auf. | |
22 Aug 2000 | |
## AUTOREN | |
THOMAS BECKER | |
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