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# taz.de -- Anschluss an Nazideutschland vor 70 Jahren: "Österreich inszeniert…
> 1938 schloss Hitler Österreich an: ohne nennenswerten Widerstand. Doch
> die Konservativen weigern sich bis heute, die historischen Fakten und
> eigene Schuld anzuerkennen, so der Historiker Siegfried Matti.
Bild: Als Hitler in Österreich einfuhr, wurde er mehr als überschwenglich von…
taz: Herr Mattl, Österreich gedenkt des Anschlusses an Hitlerdeutschland
vor 70 Jahren. Wo steht Österreich bei der Aufarbeitung der Geschichte?
Siegfried Mattl: In Österreich fehlt es nach wie vor an klaren Positionen
von Journalisten, Intellektuellen, Politikern. Kaum jemand fragt: Warum war
die austrofaschistische Regierung der Jahre 1934 bis 1938 denn nicht in der
Lage, die Unabhängigkeit des Landes sicherzustellen? Und: Kann sich ein
diktatorisches Regime gegen einen Angriff überhaupt wehren, wenn es die
eigene Bevölkerung nicht hinter, sondern gegen sich hat?
Österreich hat sich erst mit der Debatte um Kurt Waldheim in den 1980ern
mit der NS-Zeit auseinandergesetzt. Stimmen Sie diesem Geschichtsbild zu?
Schulddebatten hat es immer gegeben - aber während des Kalten Kriegs
beschränkten die sich auf die Frage nach individueller Schuld, etwa des
Außenministers von 1938, Guido Schmidt. Erst die 68er machten die
autoriärfaschistische und antidemokratische Tradition zum Thema.
Die ÖVP hat auf ihrer Gedenkveranstaltung Otto von Habsburg applaudiert,
der sagte, kein Staat in Europa habe mehr Recht, sich als Opfer zu
bezeichnen, als Österreich. Warum bedient man sich nach wie vor der
Opfererzählung?
Es gibt die Tendenz, das austrofaschistische System der 1930er Jahre als
erste Kraft zu präsentieren, die gegen Hitlerdeutschland war. So wird ein
Bogen in die Gegenwart gespannt, der eine bestimmte Art von Patriotismus
heraufbeschwören soll.
Inwiefern?
Während der EU-Sanktionen 2000 gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung stützte man sich
beispielsweise auf diese Art Patriotismus. Die Regierung wollte den Reflex
hervorbringen, dass jeder Österreicher, der für die Sanktionen der EU war,
kein Patriot war - das klassische Freund-Feind-Schema. Die ÖVP stützte sich
auf die Opfererzählung, um zu behaupten: Wir haben ja schon einmal gezeigt,
dass wir die einzige patriotische Kraft sind. Das ist eine Form von
Instrumentalisierung.
Viele Wähler der rechtspopulistischen FPÖ wollen einen Schlussstrich unter
die Aufarbeitung ziehen. Fehlt heute also in der Debatte der Bogen von der
NS-Zeit zu FPÖ?
Nein, das wäre eine Pseudoaktualisierung. Es ist auch billig, einfach nur
die Parole "Niemals vergessen!" zu strapazieren. Wichtig hingegen sind
klare Aussagen, was Rassismus und Unterminierung von Menschenrechten
bedeutet. Das muss aber dauernd reflektiert werden - damit es nicht als
bloße tagespolitische Polemik verstanden wird.
Österreich hat sich nach 1945 als Hitlers Opfer präsentiert. Warum ist
Österreich damit international durchgekommen?
Die Deutung, dass Österreich Hitlers Opfer war, stammt ja aus der Moskauer
Erklärung der Alliierten von 1943. Damit sollte der Widerstand gegen Hitler
in Österreich ermutigt werden. Nach dem Krieg wurde der Opferbegriff zu
einer notwendigen politischen Fiktion. Denn kann man sich eine
Nachkriegsregierung in Wien vorstellen, die freiwillig ein
Schuldeingeständnis abgibt und damit das Risiko von Reparationen und
dauerhafter Besetzung eingeht? Die Alliierten haben Österreich nach dem
Krieg ja nicht als feindlichen Staat behandelt und nicht zwischen Nato und
Warschauer Pakt aufgeteilt. Die Rettung Österreichs ergab sich aus dem
Kalkül der Siegermächte, Österreich anders als Deutschland zu konstruieren.
Kann man, mit Blick auf 1938, Österreich als "Opfer" beschreiben?
Nein, die austrofaschistische Regierung Schuschnigg hat de facto mit dem
Verzicht auf jede Form völkerrechtlich relevanter Widerstandshandlungen den
Anspruch verwirkt, Opfer einer Aggression geworden zu sein. Man kann eher
davon reden, dass die faschistische Achse
Ungarn-Italien-Deutschland-Österreich brüchig geworden ist. Auch wenn
selbst österreichische Nationalsozialisten vom Schlage Seyß-Inquarts damals
dachten, dass Österreich ein Rest Souveränität erhalten bleibt.
Aber wäre Widerstand gegen Hitler denn aussichtsreich gewesen?
Nein, aber ein zumindest symbolhafter militärischer Widerstand wäre möglich
gewesen, auch die Vorbereitung einer Exilregierung. Natürlich hätte
Österreich einen Krieg nicht gewonnen, aber es wäre eine Form von
Verantwortungsübernahme gewesen, der eine klare Option auf die Zukunft
geboten und auch die Appeasementpolitik von Frankreich und Großbritannien
gestört hätte. Man müsste heute darüber sprechen, dass es eine Politik des
Mobs gab, der die nationalsozialistische Machtübernahme beispielsweise zu
wilden Arisierungen genutzt hat. Die deutschen Nationalsozialisten hatten
an solchen Aktionen überhaupt kein Interesse, weil sie das Land ja unter
Kontrolle haben und das auch nach außen zeigen wollten.
iNTERVIEW: CHRISTINE ZEINER
13 Mar 2008
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