# taz.de -- Angela Richter inszeniert "Esra": Literaturrezeption als großes Dr… | |
> Ein Roman, ein Gerichtsurteil, eine Debatte. Angela Richter inszeniert in | |
> Hamburg den "Fall Esra" nach Maxim Billers Roman. Im Theatersaal lauert | |
> die Wirklichkeit hinter jeder Ecke. | |
Bild: Kein Freund der Verfremdung: Maxim Biller. Sein Buch "Esra" wurde indizie… | |
Kaum was ist für den Menschen des wissenschaftlichen Zeitalters so | |
verführerisch wie eine Versuchsanordnung. Man nehme dies, man nehme das und | |
schaue, ob es klappt. Ein wenig ist das Interesse, das "Der Fall Esra" | |
schon im Vorfeld erregte, wohl auch damit zu erklären. Ein Roman, ein | |
Gerichtsurteil, eine Debatte: Kann das zusammengenommen als Theaterstück | |
gelingen? Es kann, wie die Regisseurin Angela Richter jetzt in Hamburg | |
zeigte. Nun ja, zumindest halbwegs. | |
Die Geschichte von "Esra" ist hinlänglich bekannt. Der Autor Maxim Biller | |
schildert darin die Liaison eines jüdischen Schriftstellers und einer | |
türkischen Exschauspielerin, die an deren familiärem Umfeld zerbricht. | |
Mitunter ist alles so wirklichkeitstreu, dass eine Exschauspielerin nicht | |
umhinkam, sich in der Figur Esras wiederzuerkennen. Sie klagte. Das | |
Bundesverfassungsgericht gab ihr recht. "Esra" wurde indiziert. | |
Auf Kampnagel wird die zentrale Frage des Falls: Kunst oder Leben?, aber | |
gar nicht aufgeworfen. Weil sie von vornherein beantwortet ist. Und zwar im | |
Sinne Billers, der sich in "Esra" auf den Gedanken beruft, die beiden | |
ließen sich gar nicht recht unterscheiden. In Richters Inszenierung beginnt | |
das mit dem so schlichten wie ergreifenden Bühnenbild, mit hunderten bis | |
zum Boden hängenden Glühbirnen, die ebenso ans Showbizz gemahnen und | |
zeigen, dass die Bühne unverstellt Bühne sein soll, wie sie ein Gewirr | |
bilden, einen Wald, weil das Leben nun mal in die Irre geht. Dröhnende | |
Musik unterstreicht, worum es geht: Wagner wird gespielt, als die | |
Schauspieler die Bühne betreten. Wagner, der Gewährsmann des | |
Gesamtkunstwerks und somit der Tendenz, auf der Trennlinie zwischen schöner | |
Kunst und schnöder Wirklichkeit herumzutrampeln. | |
Ja, und die Wirklichkeit, die lauert heute hinter jeder Ecke. Nur flüstern | |
dürfen die Schauspieler anfangs, weil über dem Stück der Fluch der Zensur | |
schwebt. "Vielleicht ist Esra ja heute Abend da?", fragt einer von ihnen | |
zum Publikum gewandt. Dann wolle man das Stück lieber gar nicht spielen. | |
Stille im Saal, zum Glück, und so kanns heiter weitergehen. Die | |
Gerichtsbegründungen werden als Persiflage verlesen, die Schauspieler Yuri | |
Englert und Sebastian Blomberg nehmen sie großartig beim Wort. Sie geben | |
alles, um eine der zentralen Sexszenen im Buch zu lesen, wie es sonst wohl | |
niemand tut, als Wichsvorlage. | |
Stets aber folgt den überdrehten Ausbrüchen trauernder Ernst. Einmal tritt | |
die Schauspielerin Melanie Kretschmann vor die Bühne und erklärt, dass sie | |
schon während der Proben genervt gewesen sei von der vorangegangenen | |
Sexszene, dass "Esra" doch viel mehr sei, ein wunderschönes Märchen, das | |
leider traurig ausgehe, und sie den Mut Billers schätze, der den Autor dazu | |
bringe, Dinge zu sagen, die ihm schaden. Er kneife halt nicht vor der | |
Wirklichkeit, wie es die, mit einem Wort von Biller, | |
"Schlappschwanzliteratur" tue. | |
An diesem Abend wird nicht gekniffen. Blomberg packt als Erster aus und | |
serviert dem Publikum Szenen eines Lebens, für das sich in der Sprache | |
Begriffe wie Lotter und Luder eingebürgert haben; Szenen seines Lebens, wie | |
der Zuschauer nicht umhinkommt anzunehmen. Der Schauspieler steht mit | |
seinem persönlichen Leben dafür ein, dass alles nur Kunst ist. Und weint | |
nachher ehrliche Tränen der Kunstfreiheit hinterher. | |
So geschickt das Plädoyer für die Freiheit der Kunst: Es fehlt dem Stück | |
die Gegenseite, die Fallhöhe, die Reibungsfläche. Es fehlt, was Biller | |
vielleicht eine Schlappschwanzüberlegung nennen würde, die Frage, ob nicht | |
die Kunst eine Mitverantwortung dafür trägt, dass ein altes, in seinem Wert | |
noch schwer abschätzbares Kulturgut im Schwinden begriffen ist: das | |
Taktgefühl. | |
Zum Ende wird ein Brief von Biller verlesen, an Esra. Irgendwann werde sie | |
verstehen, dass er sein Buch für sie, ihr zur Liebe geschrieben habe. Aber | |
nirgends die Frage, ob Biller ihr zuliebe nicht ein Quäntchen mehr Fantasie | |
hätte aufbringen können. | |
Weil das Stück diese Frage nicht stellt, gleitet es ab in Redundanz. Die | |
Feier der Kunstfreiheit: Als Kunstwerk gelingt sie auf Kampnagel eben - nur | |
halbwegs. | |
3 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Maximilian Probst | |
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