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# taz.de -- Alte Jungfern sterben aus
> Eine Studie stellt fest: Die „alte Jungfer“ ist nicht nur aus dem
> Wortschatz verschwunden, sondern auch aus der Realität – was ein
> unerwartet hoffnungsvolles Licht auf das Leben im hohen Alter wirft
VON COSIMA SCHMITT
Es ist ein trauriges Szenario, das uns alle im Alter zu erwarten scheint.
Kinderlos und einsam werden wir unseren Lebensabend vor dem Fernseher
wegdämmern. Und ist der Geist erst mal verkümmert und der Körper
gebrechlich, dann droht die Anonymität des Pflegeheims.
Es sind Perspektiven wie diese, die immer wieder genannt werden in der
Debatte über eine vergreisende Nation. Nun aber präsentiert das
Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock eine Studie, die
aufzeigt, dass ein Teil der Deutschen im Alter künftig besser dastehen
könnte als bisher. Die Forscher haben die Familienverhältnisse der
Seniorinnen untersucht. Ein Ergebnis: Die heutigen Rentnerinnen haben gute
Aussichten, dass ihnen ein einsames Altern erspart bleibt.
Laut Studie hatten 2000 nur 13 Prozent der pflegebedürftigen Frauen Partner
und Kind. Im Jahr 2030 werden es 28 Prozent sein. Diese Umstände aber
beeinflussen das Alter entscheidend. Wenn eine Frau zu Hause gepflegt wird,
dann fast immer vom Partner oder vom Kind. Das heißt also: Gerade die
Gruppe, die das geringste Risiko hat, irgendwann einmal im Pflegeheim zu
leben, wächst drastisch an. Umgekehrt verringert sich der Anteil der
Frauen, denen ihrer Vita nach besonders oft nur der Umzug ins Heim bleibt:
Die Quote der Frauen, die sowohl alleinstehend als auch kinderlos sind,
sinkt von 7 auf 4 Prozent. Die Seniorin, die weder liiert noch Mutter ist,
ist ein Auslaufmodell.
Die neuen Zahlen offenbaren einen gesellschaftlichen Wandel. Die „alte
Jungfer“ ist nicht nur aus dem Wortschatz fast verschwunden, sie existiert
auch kaum mehr in der Realität. Vorbei ist die Hochzeit der Kriegerwitwen
oder derer, die aus Männermangel ledig blieben. Etwa seit 1998 erreicht
eine Generation von Männern das 75. Lebensjahr, deren Reihen nicht mehr der
Krieg gelichtet hat. Zudem holen die Männer in der Lebenserwartung
allmählich ein wenig auf. Folglich altern immer mehr Frauen in ehelicher
Zweisamkeit. Zudem können sie häufiger als ihre Vorgängerinnen hoffen, dass
sie notfalls das eigene Kind umhegt und pflegt. Schließlich sind sie die
Mütter der Babyboom-Generation.
Bei allen erregten Debatten über den demografischen Wandel wird eins oft
vergessen: Kinderlosigkeit ist in Deutschland kein neues Phänomen.
Lediglich eine Generation blieb tatsächlich sehr selten ohne Nachwuchs: die
Ende 1930 bis Ende 1940 Geborenen, die derzeit das Seniorenalter erreichen.
Für die Älteren aber war die Lage anders. Zwar hatte, wer eine Familie
gründete, häufiger gleich mehrere Kinder – insofern sind die aktuellen
Debatten um einen bis dato unbekannten Kindermangel berechtigt. Aber längst
nicht jedem war es vergönnt, sich überhaupt fortzupflanzen. Zu gewichtig
waren finanzielle oder standesrechtliche Grenzen. Zudem gab es noch keine
moderne Fortpflanzungsmedizin, die heute manch verzweifeltem Paar doch noch
zum Elterndasein verhilft.
Die heute 50-, 60- oder 70-Jährigen können also relativ beruhigt in die
Zukunft blicken. Ganz so drastisch treffen sie die Auswirkungen der sich
verschiebenden Alterspyramide noch nicht. Eine hochentwickelte Medizin
ermöglicht ihnen viele Jahre als rüstige Rentnerinnen. Und falls ihr Körper
allzu gebrechlich werden sollte, dürfen sie zumindest hoffen, dass ein
Angehöriger sich ihrer annimmt.
Dies als Einladung zu staatlicher Passivität zu verkennen, wäre aber fatal.
Denn bei allem Optimismus bleibt das zentrale Problem der nächsten
Jahrzehnte bestehen: Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst. Mit steigender
Lebenserwartung vermehrt sich auch die Anzahl der Jahre, die ein Mensch auf
Pflege angewiesen ist. Der medizinische Fortschritt kann diese Entwicklung
abmildern, aber aller Voraussicht nach nicht verhindern.
Umso wichtiger ist es, nun die richtigen Weichen zu stellen. Wenn in diesem
Jahr die Regierung das Großvorhaben Pflegereform angeht, gilt es nicht nur,
ein zukunftsfähiges Finanzmodell zu erarbeiten. Sie sollte sich auch
stärker als bisher an dem Modell orientieren, was in Umfragen die meisten
Senioren wünschen: dass sie bei den Angehörigen wohnen bleiben, diese aber
notfalls ein ambulanter Pflegedienst unterstützt.
Dies umzusetzen, braucht es vielerlei: fair bezahlte mobile Pflegedienste,
die die Familien entlasten. Ein Umdenken in den Betrieben, die pflegenden
Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten ermöglichen. Und nicht zuletzt ein
modernes Rollenbild, das die Pflege der Oma nicht als primäre Aufgabe der
Frau definiert – sondern als Anliegen, an dem viele Akteure mitwirken.
9 Feb 2007
## AUTOREN
COSIMA SCHMITT
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