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# taz.de -- Als Lore den DFB besiegte
> TOR Wenn im Juni die WM 2011 beginnt, feiert sich Deutschland als
> Frauenfußball-Nation. Eine der ersten Stürmerinnen war in den Fünfzigern
> Lore Barnhusen. Ihr mächtigster Gegner: der Deutsche Fußballbund
AUS DEM RUHRGEBIET KIRSTEN KÜPPERS
Als in der 89. Minute die Duisburger Stürmerin noch einmal den Ball ins Tor
stößt zu einem grandiosen 6:0. Als das ganze Stadion aufspringt, die
Diskomusik aus dem Lautsprecher dröhnt. Als die Stimme des Stadionsprechers
sich überschlägt, schon die Champions League herbeijubelt, die Fußball-WM,
die im Juni kommt. Als die Spielerinnen befreit über den Platz rennen, die
Zuschauer sich in die Arme fallen, überhaupt alles an diesem
Sonntagnachmittag im Ruhrgebiet aufgeht in einem rauschenden Bravo, und als
selbst der Mann von Lore Barnhusen anerkennend raunzt: „Dat geht so
schnell, da kommste nich’ ma’ mit’m Moped hinterher.“
Da ist schon eine Menge passiert.
Da kann man sagen, dass der Fußball in diesem Land endlich da angekommen
ist, wo Lore Barnhusen aus Gladbeck ihn schon immer erwartet. Sie musste
lange gegen den DFB kämpfen.
Lore Barnhusen, 71 Jahre alt, die auf der Duisburger Tribüne steht, die
geahnt hat, dass es ein Fest werden würde, hat morgens den Blazer in
Schlangenlederimitat angezogen, die hohen Schuhe, die grauen Haare zu einem
Igel hochgebürstet. Jetzt wirft sie die Hände in die Luft, ruft: „Wahnsinn!
Fußball ist doch dat Schönste, was es gibt!“
Den Spott, die Bevormundung, den die Sache mit dem Fußball ihr auch
eingebracht hat, wird Barnhusen darüber nicht vergessen.
Das Verbot, das sie in den Wind geschlagen hat damals. Als sie angetreten
ist für Deutschland, tausende Zuschauer im Stadion johlten und tanzten, nur
wegen ihr.
## Angst vor kaputten Füßen
Lore Barnhusen hieß da noch Lore Karlowski, ein kleines Mädchen mit dicken
Zöpfen in einer Gelsenkirchener Zechensiedlung, Nachkriegszeit.
Hagebuttenstraße 17, die Schlote der Kokerei ganz nah, der Vater war
Bergmann, hinterm Haus stand der Verschlag mit den Hühnern. Nachmittags
drängelten die Jungs vorm Fenster: „Kommt die Lore runter?“, weil Lore
immer die Schnellste war mit dem Ball. Aber Fußball für Frauen und Mädchen
war verboten. Die kleine Karlowski tat etwas, was nicht sein durfte, wenn
sie über die Pflastersteine dribbelte, flankte und schoss, bis die
Dämmerung sich über die Häuserzeilen und Gärten senkte, jeden Tag aufs
Neue.
Es waren nicht nur die alten Leute, die auf den Fensterbrettern lehnten,
die schimpften, dass ein Mädchen auf der Straße Fußball spielte, die Bälle
flinker ins Tor knallte als alle anderen. Die Übriggebliebenen, die den
Krieg noch in den Knochen trugen und gegen alles wetterten, was nach
Leichtigkeit aussah. Es war nicht nur die Mutter, die mahnte: „Lore, mach
dir die Füße nicht kaputt!“
Das Verbot kam von ganz oben.
Vom Deutschen Fußball-Bund, dem DFB, jener mächtigen Instanz, die in
Deutschland alles regelt, was mit Fußball zusammenhängt. Auch nach Adolf
Hitler hatte sich dieser Verband noch vorgenommen, das Kicken für die
Männer zu bewahren.
Lore Karlowski aus Gelsenkirchen machte auf den Bolzplätzen der Umgebung
die Dinger rein. Sie drückte sich mit ihren Kumpels am Schaufenster des
Elektrogeschäfts die Nase platt, sah auf dem Fernseher die deutsche Elf in
Bern siegen, die Sonne spiegelte sich in der Scheibe.
Deutschland war Weltmeister, das Land trat aus dem Schatten der
Vergangenheit. Lore zog beim Bauern Runkeln aus dem Acker, trug der
Nachbarin Kohleeimer aus dem Keller. Von dem Geld, das sie damit verdiente,
kaufte sie Fußballschuhe. Die Schuhe waren schwarz und schwer, vorne mit
einer Stahlkappe verstärkt. Lore Karlowski war ein Teenager mit
Kurzhaarfrisur, sie lief nur noch in Hosen herum, beim Spielen holte sie
sich blutige Knie.
Es half alles nichts.
Die Männer des DFB lehnten Frauenfußball „aus grundsätzlichen und
ästhetischen Gründen“ ab. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche
Anmut. Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das
Zuschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“,
begründeten sie ihre Entscheidung. Am 30. Juli 1955 beschlossen sie laut
DFB-Jahrbuch einstimmig, „unseren Vereinen nicht zu gestatten,
Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich
aufzunehmen“.
Die Männer fanden Ärzte, die halfen, das Verbot zu begründen. Im Jahr 1953
erklärte der Psychologe Fred J. J. Buytendijk in einer Studie: „Im
Fußballspiel zeigt sich in spielender Form das Grundschema der männlichen
Neigungen und der Wert der männlichen Welt.“ Der Psychologe überlegt: „Das
Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist,
lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nicht-Treten weiblich.“
Schließlich befindet er: „Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen
zu lassen.“
Das Grundgesetz hatte nach 1945 die Gleichberechtigung von Mann und Frau
festgeschrieben. Die Frauen hatten das Land nach dem Krieg wieder
aufgebaut, geschleppt und geschuftet. Sie hatten eine Menge gemacht, was
vorher Männern vorbehalten war. Warum sollten sie keinen Ball treten
dürfen?
Hannelore Ratzeburg sitzt in der Lobby eines Hotels am Hamburger
Messegelände. Eine kleine Frau, 59 Jahre alt, mit kurzem Hals, pinkfarbenem
Pullover und praktischer Frisur. Ratzeburg ist die erste Frau, die es ins
DFB-Präsidium geschafft hat. Wenn es eine Frau gibt, die sich auskennt mit
Männern und Fußball, dann ist sie das. Ohne Ratzeburg gäbe es wohl keine
Frauenfußball WM in Deutschland im Juni, keine Bundesliga des
Frauenfußballs, keine Champions League. Ratzeburg hat das alles
durchgekämpft. Anfang der Siebzigerjahre fing sie in Hamburg-Eimsbüttel an,
mit ein paar Freundinnen Fußball zu spielen, sie lief als junge
Sozialpädagogikstudentin in Jeans und selbst gestrickten Pullovern in
Vereinsheime, setzte sich zu den Männern an die langen Tische, stellte
Forderungen.
Zuerst ging es nur um Bälle, Plätze und Trainingszeiten – aber Ratzeburg
wollte mehr. Sie war jetzt jeden Tag auf dem Fußballplatz, hörte weg, wenn
am Rande von DFB-Versammlungen Sprüche kamen wie: „Geht der Trainer mit
euch zum Duschen?“ Sie stellte sich vor volle Männersäle und verlangte
Mädchenförderung, Trainerinnenausbildung, einen DFB-Pokal für Frauen, einen
Länderpokal, eine Nationalmannschaft. Ratzeburg boxte sich durch die
Gremien. Es hat Jahre gedauert. Es wäre auch übertrieben, heute von
Gleichstand zu sprechen: Zu einem Champions-League-Spiel der Männer kommen
Zehntausende, Millionen sitzen vor dem Fernsehern. Zu einem
Champions-League-Spiel der Frauen trotten selten mehr als Tausend ins
Stadion. Die Spiele werden nicht oft im Fernsehen übertragen. Trotzdem hat
Ratzeburg das Bundesverdienstkreuz bekommen. Sie hat es geschafft.
Die WM ist jetzt fast da. Aber Hannelore Ratzeburg sitzt auf einem
schwarzen Lederstuhl in einer kalten Hotellobby und lacht kaum. Wer sich so
durchsetzen muss im Leben, hebt sich seine weiche Seite für andere
Gelegenheiten auf.
Ratzeburg war noch ein Kind in den Fünfzigern, als der DFB das
Fußballverbot für Frauen durchzusetzen versuchte. Die Funktionäre von
damals sind alle tot. Aber Ratzeburg kann sich denken, wie es gewesen ist.
Sie hat ja erlebt, wie es zuging beim DFB – ohne Frauen.
„Ich glaube, dass das sehr viel damit zu tun hatte, dass die deutschen
Männer wie geschlagene Hunde aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Mit dem
Wirtschaftsaufschwung wollten sie am liebsten die vermeintlich heile Welt
wieder aufbauen, wie sie sie vor dem Krieg kannten – zumindest im
Privatleben“, so erklärt es sich Ratzeburg. „Dazu passte der Frauenfußball
einfach nicht. Wenigstens den Fußball wollten die Männer als letzte Domäne
für sich behalten.“
Dann sagt Ratzeburg: „Wenn etwas verboten ist, wird’s trotzdem gemacht. Das
ist doch immer so.“ Ihr Gesicht ist ein einziger Vorwurf.
Tatsächlich kicken in der Nachkriegszeit vor allem im Ruhrgebiet immer mehr
Frauen auf Äckern, Wiesen, Schulhöfen. Ihr Vorbild sind die benachbarten
Niederlande. Mitte der Fünfzigerjahre haben sich dort schon dreizehn
Damenfußball-Clubs gegründet.
Auch Lore Karlowski aus der Zechensiedlung in Gelsenkirchen landete mit
ihren neuen Fußballschuhen bei einem Verein. Ihr Vetter hatte ihr vom FC
Kickers in Essen erzählt. Jetzt warf sie sich zweimal die Woche ihre kleine
weiße Tasche mit dem Fußballzeug über die Schulter. Der Weg war weit.
Karlowski musste durch die Felder zur Straßenbahnstation laufen, dann
dreimal umsteigen. Sie brauchte eine Stunde.
Und immer hagelte es Beschimpfungen. Sie wurden angespuckt. „Was macht ihr
Weiber auf dem Sportplatz“, riefen die Zuschauer. „Geht zurück zum
Kochtopf!“ „Ihr müsst Kinder gebären, nicht Fußballspielen.“ Aber der
Fußball brachte Freiheit. Der FC Kickers hatten fast jedes Wochenende ein
Spiel, oft fuhren sie über die Grenze in die Niederlande. Dort gab es nach
den Partien Hähnchen und Pommes mit Mayonnaise zu essen. Es gab keine
anderen Freizeitangebote, die interessanter gewesen wären.
Den Herren vom DFB passte dieser Wildwuchs nicht. Sie erinnerten ihre
Vereine, dass es verboten war, den Frauen Plätze zur Verfügung zu stellen.
Sie zogen ihre Fäden.
Jetzt konnte es passieren, dass Karlowski und die anderen mit dem Bus nach
Krefeld fuhren. Aber der Fußballplatz war abgeriegelt: Polizei. „Wir hatten
Tränen in den Augen“, erinnert sie sich. „Und dann hörten wir nur den
Busfahrer: ‚Seid ruhig, wir fahren eine Runde.‘ Dann war die Polizei weg.
Und wir stürmten aufs Spielfeld“, knattert sie. Es war auch ein großer
Spaß.
Karlowski arbeitete inzwischen als Näherin in einer Fabrik für
Damenkonfektion in Gelsenkirchen. Als Mannequin lief sie auf Modeschauen in
Kaufhäusern. Die Warnung ihrer Mutter, dass Fußballspielen die Beine kaputt
macht, sollte sich nicht bewahrheiten.
Irgendwann zu dieser Zeit tauchte Willi Ruppert auf. Ruppert war ein
hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, der wusste wie man Anzüge trägt. Er
war Versicherungsvertreter aus Essen. Ruppert kannte das Fußballverbot des
DFB. Er bemerkte, dass es viele Frauen gab, die trotzdem Fußball spielten.
Er hatte beobachtet, dass zu manchen dieser Frauenspiele tausend und mehr
Schaulustige gekommen waren. Ruppert witterte ein Geschäft.
## Und dann: Länderspiel!
Im Jahr 1956 gründete er in Essen einen Verein, den Westdeutschen
Damen-Fußball-Verband.
Lore Barnhusen erinnert sich, dass einmal nach dem Training ein paar Männer
am Spielfeldrand standen. Einer zeigte mit dem Finger auf einzelne
Spielerinnen und wählte aus: „Du, du und du bist dabei.“ Der Mann zeigte
auch auf Lore Karlowski. Sie war 16, die Jüngste.
Und dann schrien es die Plakate von allen Litfaßsäulen: „Länderspiel
Deutschland gegen Holland“. Für das Spiel hatte Willi Ruppert das
Mathias-Stinnes-Stadion in Essen-Karnap ausgesucht. Das Stadion gehörte der
Zeche, der DFB konnte nicht über die Anlage verfügen.
Am 23. September 1953 hängte sich Lore Karlowski ihre weiße Tasche um, lief
den Feldweg zum Stadion. Sie war 16, Fußballspielen war eine nette
Beschäftigung, „wat für die Beine und wat für’n Kopp“, fand sie. Was a…
an diesem Nachmittag auf sie zukommen würde, damit hatte Karlowski nicht
gerechnet.
Im Stinnes-Stadion war die Hölle los. Alle waren gekommen: Männer im
Sonntagsanzug, Frauen in Blumenkleidern, Kinder in kurzen Hosen.
Achtzehntausend Zuschauer.
Gesichter konnte Lore Karlowski nicht mehr erkennen, nur eine johlende
Masse, die die Ränge flutete, in Trauben übers Geländer hing. Die Leute
pfiffen auf zwei Fingern, auf Flaschenhälsen, einer hatte eine große Pauke
dabei. Die Luft roch nach Volksfest, nach Bier und Bratwurst, im
Stadioncasino standen die Bergwerksbosse mit Zigarre, die Zeche nebenan wie
immer im Dauerbetrieb.
Eine große Nervosität kroch Lore Karlowski die Beine hinauf.
In der Umkleidekabine verteilte Willi Ruppert kurze schwarze Hosen und
weiße Trikots, Bundesadler auf der Brust. Er selbst trug Anzug, Ruppert
trug immer Anzug. Dann rannten sie raus auf den Rasen, sangen die
Nationalhymne, schüttelten den Niederländerinnen die Hände. Das Publikum
tobte. Sie weiß nicht mehr, wie das Spiel genau abgelaufen ist. In all
dieser Aufregung hat sie sich wenig gemerkt. Es ist auch zu lange her. Sie
weiß: Der Ball flog in die Kurve, sie hat ihn rübergeflankt zu Lotti, der
Mittelstürmerin. Sie alle hatten noch nie zusammen gespielt, aber das war
das 1:0, es lief gut. Halbzeitstand: 2:0.
„Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran“, jubelte
der „Wochenschau“-Reporter. „Wie Herberger Schützlinge zu ihren besten
Zeiten, so ziehen die jungen Damen elegant und zu allem entschlossen ihre
Kreise.“ Die Niederländerinnen treffen nur einmal. „Mit diesem 2:1 Sieg
kommt Deutschlands Fußball endlich wieder zu einem schönen Sieg.“
„Gute Kombinationen“, meldete die Neue Ruhr Zeitung, und „dass die
Sportart, die in Deutschland bisher nur Männern vorbehalten war, auch für
Frauen durchaus möglich ist.“ 2:1 für Deutschland. Die Angelegenheit war
den Herren vom DFB aus den Fingern gerutscht.
Als alles vorbei war, drückte die Frau von Willi Ruppert in der Umkleide
jeder Spielerin einen Fünfzigmarkschein in die Hand. Lore Karlowski hatte
noch nie einen so großen Schein besessen. Es ist ein winziger Betrag
gemessen an dem, was Willi Ruppert eingenommen haben muss.
Karlowski hat sich ihre Tasche geschnappt, ist nach Hause gelaufen. Dunkel
legte sich über die Wiesen. Ein guter Tag. Vielleicht der größte in ihrem
Leben.
Man kann heute mit Karlowski, die jetzt Barnhusen heißt, noch mal ins
Stinnes-Stadion gehen. Der Zaun rostet, auf den Zuschauertreppen wächst
Moos, das Sportlerheim ist abgerissen. Es ist trotzdem ein schönes Stadion,
hinten ragen die Schornsteine in den Himmel. Es ist der Platz, wo Lore
Barnhusen nationale, internationale Bedeutung erlangte. Wo sie wegen der
Großartigkeit des Erlebnisses heute noch wächst. Hinauswächst auch über
alles, was danach kam, die Ehe mit dem Installateur Ewald Barnhusen, das
Leben als Hausfrau und Mutter von drei Söhnen. „Ich werd nervös, wenn ich
nur hier stehe“, sagt sie.
## Auf die Brüste gucken
Zwei Männer drücken sich auch auf dem Rasen herum. Ewald Barnhusen und ein
kleiner Kerl mit kariertem Hemd und wässrigen Augen. Er ist vom
Heimatverein Essen-Karnap, als Junge hat er damals das Spiel gesehen: „Alle
Jungs waren doch verliebt in die Lore.“ Barnhusen steht wackelig, versinkt
mit ihren hohen Schuhen im Gras, grinst schief, am Hals bekommt sie rote
Flecken, sie sagt nichts. Ihr Mann, der sie mit seinem silbernen Mazda
hierhergefahren hat, weil er derjenige ist, der bei ihnen Auto fährt, steht
jetzt irgendwie unnütz an diesem Ort voller Geschichte, der nicht sein Ort
ist. Er macht die Augen schmal und starrt in die Bäume. Dann schiebt sie
hinterher: „Wahrscheinlich war es schon so, dass viele gekommen sind, um
den Frauen auf die Brüste zu gucken.“
Ein kurzer Moment. Dann lacht sie diesen Satz weg mit einem sehr breiten
Lachen, das auch das Beschämende dieser Erkenntnis verschluckt. Die beiden
Männer lachen mit.
Barnhusen ist wieder geschrumpft.
Mit dem Fußballspielen war für sie nach dem Spiel im Stinnes-Stadion bald
Schluss. Sie haben sich noch ein paar Mal getroffen. Ruppert erzählte von
einem Spiel in England. Sie sollten mit dem Flugzeug fliegen. Ein Traum.
Aber dann verschwand er. „Da kam einer, der sagte, der Ruppert hätte das
ganze Geld genommen und wäre abgehauen“, erzählt Barnhusen. „Hätte seiner
Frau ’nen Pelzmantel gekauft. Sei dann weg in den Osten. In die DDR. Dort
hat er dann eine Wäscherei aufgemacht.“ Karlowski hörte auf. Ihre
Mannschaft traf sich nicht mehr. Andere Vereine waren zu weit weg.
Wie die Sache mit Willi Ruppert sich wirklich abgespielt hat, lässt sich
schwer rekonstruieren. Es gab in den Fünfzigerjahren in ganz Deutschland
weitere Länderspiele. Einige hat Ruppert organisiert. Das Protokoll einer
Vereinssitzung am 17. August 1957 in der Gaststätte Schneider in Essen
belegt, dass der „ohne Entschuldigung“ fehlende Willi Ruppert als
Vorsitzender des Westdeutschen Damen-Fußball-Verbands abgesetzt wurde.
Unklarheit bestand laut Protokoll darüber, wo die etwa 164.000 Mark
abgeblieben sind, die der Verband mit Frauenfußballspielen eingenommen
hatte. Ruppert machte weiter. Er gründete einen neuen Verein, den Deutschen
Damen-Fußball-Bund, und organisierte für den 2. und 3. November 1957 im
Berliner Poststadion eine inoffizielle Fußball-Europameisterschaft der
Damen. Der Titel „Europameisterschaft“ war ein bisschen übertrieben. Es
spielten nur vier Teams: die Niederlande, Österreich, England und
Deutschland. Die Herren vom DFB drohten daraufhin in der Berliner
Morgenpost: „Die Funktionäre der männlichen Fußballwelt sind verärgert. D…
Berliner können wählen – wenn sich der Frauenfußball dort stärker
konzentriert, müssen sie eben auf unsere Großveranstaltungen verzichten.“
Ruppert rechnete dennoch mit hohen Zuschauerzahlen. Es kamen nur ein paar
Tausend. Hotels und Busunternehmen blieben auf uneingelösten Buchungen
sitzen, es gab eine Menge unbezahlter Rechnungen. Wegen „dringenden
Verdachts auf Betrug“, berichtet der Tagesspiegel am 13. November 1957,
wird gegen die Veranstalter Haftbefehl erlassen. Danach verliert sich
Rupperts Spur.
Der DFB jedenfalls war in Sachen Frauenfußball angeschlagen.
„Das kategorische Nein des DFB zum Frauenfußball wäre besser nicht
gesprochen worden“, findet der Tagesspiegel am 16. Oktober 1957.
„Stattdessen hätte er seinen Vereinen raten sollen, bei Bedarf
Frauenfußball-Abteilungen zuzulassen. Ihm wäre dieser Sport nicht
entglitten.“
Die Kritik wuchs. Aber erst dreizehn Jahre später, erst im Jahr 1970, hebt
der DFB das Verbot auf. In Hamburg beginnt eine langhaarige
Sozialpädagogikstudentin namens Hannelore Ratzeburg zu kämpfen auf dem
Platz und in den Gremien des DFB. Stürmerlegende Gerd Müller rät Frauen,
lieber zu kochen statt zu kicken, der Berliner Hertha-Star Uwe Witt gibt
über die Bild-Zeitung bekannt: „Wenn meine Frau spielt: Scheidung!“ Als die
Frauennationalelf 1989 den Europameistertitel holt, schenkt der DFB den
Spielerinnen ein Kaffeeservice. Heute hofiert DFB-Präsident Theo Zwanziger
die deutschen Fußballspielerinnen. Es ist ja WM.
Lore Barnhusen sitzt in ihrer Doppelhaushälfte in Gladbeck: „Immer Küsschen
hier, Küsschen da, der Zwanziger! Und wat ham sie uns damals dat Leben
schwergemacht!“ Barnhusen hat ihren Mann bei einem Fußballspiel
kennengelernt. Ihre drei Söhne haben Fußball gespielt. Sie hat den Ball den
Männern überlassen, aber sie hat ihn nicht aus den Augen verloren.
Ihr Wohnzimmer hat sie mit Schalke-Fähnchen, mit Wimpeln und Kissen
ausstaffiert. Im Hobbykeller hat sie die Fotos ihrer eigenen Fußballzeit
aufgehängt. Wenn Bayern verliert, ist es ein guter Tag, sagt Barnhusen.
Wenn Schalke gewinnt, braucht sie drei Jahre kein Weihnachtsgeschenk.
Gladbeck hat eine Mädchenmannschaft, die besucht sie öfter, eben hat sie
sich im Stadion das Spiel Duisburg gegen Saarbrücken angeguckt, 1.021
Zuschauer. Ob sie zur Frauenfußball-WM geht?
Ihr Mann fährt dazwischen, er ruft: „Hingehn zu einem Spiel? Nee, das tun
wir nicht.“ Er lacht ein bellendes Lachen. Als hätte jemand gerade einen
besonders guten Witz gemacht.
■ Kirsten Küppers, 38, sonntaz- Autorin, wird in diesem Jahr für ihre Ganze
Geschichte „Das wiedergewonnene Gesicht“ mit dem Theodor-Wolff-Preis
ausgezeichnet. Der prämierte Text: [1][taz.de/gesicht]
21 May 2011
## LINKS
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## AUTOREN
KIRSTEN KÜPPERS
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