# taz.de -- Als Lore den DFB besiegte | |
> TOR Wenn im Juni die WM 2011 beginnt, feiert sich Deutschland als | |
> Frauenfußball-Nation. Eine der ersten Stürmerinnen war in den Fünfzigern | |
> Lore Barnhusen. Ihr mächtigster Gegner: der Deutsche Fußballbund | |
AUS DEM RUHRGEBIET KIRSTEN KÜPPERS | |
Als in der 89. Minute die Duisburger Stürmerin noch einmal den Ball ins Tor | |
stößt zu einem grandiosen 6:0. Als das ganze Stadion aufspringt, die | |
Diskomusik aus dem Lautsprecher dröhnt. Als die Stimme des Stadionsprechers | |
sich überschlägt, schon die Champions League herbeijubelt, die Fußball-WM, | |
die im Juni kommt. Als die Spielerinnen befreit über den Platz rennen, die | |
Zuschauer sich in die Arme fallen, überhaupt alles an diesem | |
Sonntagnachmittag im Ruhrgebiet aufgeht in einem rauschenden Bravo, und als | |
selbst der Mann von Lore Barnhusen anerkennend raunzt: „Dat geht so | |
schnell, da kommste nich’ ma’ mit’m Moped hinterher.“ | |
Da ist schon eine Menge passiert. | |
Da kann man sagen, dass der Fußball in diesem Land endlich da angekommen | |
ist, wo Lore Barnhusen aus Gladbeck ihn schon immer erwartet. Sie musste | |
lange gegen den DFB kämpfen. | |
Lore Barnhusen, 71 Jahre alt, die auf der Duisburger Tribüne steht, die | |
geahnt hat, dass es ein Fest werden würde, hat morgens den Blazer in | |
Schlangenlederimitat angezogen, die hohen Schuhe, die grauen Haare zu einem | |
Igel hochgebürstet. Jetzt wirft sie die Hände in die Luft, ruft: „Wahnsinn! | |
Fußball ist doch dat Schönste, was es gibt!“ | |
Den Spott, die Bevormundung, den die Sache mit dem Fußball ihr auch | |
eingebracht hat, wird Barnhusen darüber nicht vergessen. | |
Das Verbot, das sie in den Wind geschlagen hat damals. Als sie angetreten | |
ist für Deutschland, tausende Zuschauer im Stadion johlten und tanzten, nur | |
wegen ihr. | |
## Angst vor kaputten Füßen | |
Lore Barnhusen hieß da noch Lore Karlowski, ein kleines Mädchen mit dicken | |
Zöpfen in einer Gelsenkirchener Zechensiedlung, Nachkriegszeit. | |
Hagebuttenstraße 17, die Schlote der Kokerei ganz nah, der Vater war | |
Bergmann, hinterm Haus stand der Verschlag mit den Hühnern. Nachmittags | |
drängelten die Jungs vorm Fenster: „Kommt die Lore runter?“, weil Lore | |
immer die Schnellste war mit dem Ball. Aber Fußball für Frauen und Mädchen | |
war verboten. Die kleine Karlowski tat etwas, was nicht sein durfte, wenn | |
sie über die Pflastersteine dribbelte, flankte und schoss, bis die | |
Dämmerung sich über die Häuserzeilen und Gärten senkte, jeden Tag aufs | |
Neue. | |
Es waren nicht nur die alten Leute, die auf den Fensterbrettern lehnten, | |
die schimpften, dass ein Mädchen auf der Straße Fußball spielte, die Bälle | |
flinker ins Tor knallte als alle anderen. Die Übriggebliebenen, die den | |
Krieg noch in den Knochen trugen und gegen alles wetterten, was nach | |
Leichtigkeit aussah. Es war nicht nur die Mutter, die mahnte: „Lore, mach | |
dir die Füße nicht kaputt!“ | |
Das Verbot kam von ganz oben. | |
Vom Deutschen Fußball-Bund, dem DFB, jener mächtigen Instanz, die in | |
Deutschland alles regelt, was mit Fußball zusammenhängt. Auch nach Adolf | |
Hitler hatte sich dieser Verband noch vorgenommen, das Kicken für die | |
Männer zu bewahren. | |
Lore Karlowski aus Gelsenkirchen machte auf den Bolzplätzen der Umgebung | |
die Dinger rein. Sie drückte sich mit ihren Kumpels am Schaufenster des | |
Elektrogeschäfts die Nase platt, sah auf dem Fernseher die deutsche Elf in | |
Bern siegen, die Sonne spiegelte sich in der Scheibe. | |
Deutschland war Weltmeister, das Land trat aus dem Schatten der | |
Vergangenheit. Lore zog beim Bauern Runkeln aus dem Acker, trug der | |
Nachbarin Kohleeimer aus dem Keller. Von dem Geld, das sie damit verdiente, | |
kaufte sie Fußballschuhe. Die Schuhe waren schwarz und schwer, vorne mit | |
einer Stahlkappe verstärkt. Lore Karlowski war ein Teenager mit | |
Kurzhaarfrisur, sie lief nur noch in Hosen herum, beim Spielen holte sie | |
sich blutige Knie. | |
Es half alles nichts. | |
Die Männer des DFB lehnten Frauenfußball „aus grundsätzlichen und | |
ästhetischen Gründen“ ab. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche | |
Anmut. Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das | |
Zuschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, | |
begründeten sie ihre Entscheidung. Am 30. Juli 1955 beschlossen sie laut | |
DFB-Jahrbuch einstimmig, „unseren Vereinen nicht zu gestatten, | |
Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich | |
aufzunehmen“. | |
Die Männer fanden Ärzte, die halfen, das Verbot zu begründen. Im Jahr 1953 | |
erklärte der Psychologe Fred J. J. Buytendijk in einer Studie: „Im | |
Fußballspiel zeigt sich in spielender Form das Grundschema der männlichen | |
Neigungen und der Wert der männlichen Welt.“ Der Psychologe überlegt: „Das | |
Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist, | |
lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nicht-Treten weiblich.“ | |
Schließlich befindet er: „Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen | |
zu lassen.“ | |
Das Grundgesetz hatte nach 1945 die Gleichberechtigung von Mann und Frau | |
festgeschrieben. Die Frauen hatten das Land nach dem Krieg wieder | |
aufgebaut, geschleppt und geschuftet. Sie hatten eine Menge gemacht, was | |
vorher Männern vorbehalten war. Warum sollten sie keinen Ball treten | |
dürfen? | |
Hannelore Ratzeburg sitzt in der Lobby eines Hotels am Hamburger | |
Messegelände. Eine kleine Frau, 59 Jahre alt, mit kurzem Hals, pinkfarbenem | |
Pullover und praktischer Frisur. Ratzeburg ist die erste Frau, die es ins | |
DFB-Präsidium geschafft hat. Wenn es eine Frau gibt, die sich auskennt mit | |
Männern und Fußball, dann ist sie das. Ohne Ratzeburg gäbe es wohl keine | |
Frauenfußball WM in Deutschland im Juni, keine Bundesliga des | |
Frauenfußballs, keine Champions League. Ratzeburg hat das alles | |
durchgekämpft. Anfang der Siebzigerjahre fing sie in Hamburg-Eimsbüttel an, | |
mit ein paar Freundinnen Fußball zu spielen, sie lief als junge | |
Sozialpädagogikstudentin in Jeans und selbst gestrickten Pullovern in | |
Vereinsheime, setzte sich zu den Männern an die langen Tische, stellte | |
Forderungen. | |
Zuerst ging es nur um Bälle, Plätze und Trainingszeiten – aber Ratzeburg | |
wollte mehr. Sie war jetzt jeden Tag auf dem Fußballplatz, hörte weg, wenn | |
am Rande von DFB-Versammlungen Sprüche kamen wie: „Geht der Trainer mit | |
euch zum Duschen?“ Sie stellte sich vor volle Männersäle und verlangte | |
Mädchenförderung, Trainerinnenausbildung, einen DFB-Pokal für Frauen, einen | |
Länderpokal, eine Nationalmannschaft. Ratzeburg boxte sich durch die | |
Gremien. Es hat Jahre gedauert. Es wäre auch übertrieben, heute von | |
Gleichstand zu sprechen: Zu einem Champions-League-Spiel der Männer kommen | |
Zehntausende, Millionen sitzen vor dem Fernsehern. Zu einem | |
Champions-League-Spiel der Frauen trotten selten mehr als Tausend ins | |
Stadion. Die Spiele werden nicht oft im Fernsehen übertragen. Trotzdem hat | |
Ratzeburg das Bundesverdienstkreuz bekommen. Sie hat es geschafft. | |
Die WM ist jetzt fast da. Aber Hannelore Ratzeburg sitzt auf einem | |
schwarzen Lederstuhl in einer kalten Hotellobby und lacht kaum. Wer sich so | |
durchsetzen muss im Leben, hebt sich seine weiche Seite für andere | |
Gelegenheiten auf. | |
Ratzeburg war noch ein Kind in den Fünfzigern, als der DFB das | |
Fußballverbot für Frauen durchzusetzen versuchte. Die Funktionäre von | |
damals sind alle tot. Aber Ratzeburg kann sich denken, wie es gewesen ist. | |
Sie hat ja erlebt, wie es zuging beim DFB – ohne Frauen. | |
„Ich glaube, dass das sehr viel damit zu tun hatte, dass die deutschen | |
Männer wie geschlagene Hunde aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Mit dem | |
Wirtschaftsaufschwung wollten sie am liebsten die vermeintlich heile Welt | |
wieder aufbauen, wie sie sie vor dem Krieg kannten – zumindest im | |
Privatleben“, so erklärt es sich Ratzeburg. „Dazu passte der Frauenfußball | |
einfach nicht. Wenigstens den Fußball wollten die Männer als letzte Domäne | |
für sich behalten.“ | |
Dann sagt Ratzeburg: „Wenn etwas verboten ist, wird’s trotzdem gemacht. Das | |
ist doch immer so.“ Ihr Gesicht ist ein einziger Vorwurf. | |
Tatsächlich kicken in der Nachkriegszeit vor allem im Ruhrgebiet immer mehr | |
Frauen auf Äckern, Wiesen, Schulhöfen. Ihr Vorbild sind die benachbarten | |
Niederlande. Mitte der Fünfzigerjahre haben sich dort schon dreizehn | |
Damenfußball-Clubs gegründet. | |
Auch Lore Karlowski aus der Zechensiedlung in Gelsenkirchen landete mit | |
ihren neuen Fußballschuhen bei einem Verein. Ihr Vetter hatte ihr vom FC | |
Kickers in Essen erzählt. Jetzt warf sie sich zweimal die Woche ihre kleine | |
weiße Tasche mit dem Fußballzeug über die Schulter. Der Weg war weit. | |
Karlowski musste durch die Felder zur Straßenbahnstation laufen, dann | |
dreimal umsteigen. Sie brauchte eine Stunde. | |
Und immer hagelte es Beschimpfungen. Sie wurden angespuckt. „Was macht ihr | |
Weiber auf dem Sportplatz“, riefen die Zuschauer. „Geht zurück zum | |
Kochtopf!“ „Ihr müsst Kinder gebären, nicht Fußballspielen.“ Aber der | |
Fußball brachte Freiheit. Der FC Kickers hatten fast jedes Wochenende ein | |
Spiel, oft fuhren sie über die Grenze in die Niederlande. Dort gab es nach | |
den Partien Hähnchen und Pommes mit Mayonnaise zu essen. Es gab keine | |
anderen Freizeitangebote, die interessanter gewesen wären. | |
Den Herren vom DFB passte dieser Wildwuchs nicht. Sie erinnerten ihre | |
Vereine, dass es verboten war, den Frauen Plätze zur Verfügung zu stellen. | |
Sie zogen ihre Fäden. | |
Jetzt konnte es passieren, dass Karlowski und die anderen mit dem Bus nach | |
Krefeld fuhren. Aber der Fußballplatz war abgeriegelt: Polizei. „Wir hatten | |
Tränen in den Augen“, erinnert sie sich. „Und dann hörten wir nur den | |
Busfahrer: ‚Seid ruhig, wir fahren eine Runde.‘ Dann war die Polizei weg. | |
Und wir stürmten aufs Spielfeld“, knattert sie. Es war auch ein großer | |
Spaß. | |
Karlowski arbeitete inzwischen als Näherin in einer Fabrik für | |
Damenkonfektion in Gelsenkirchen. Als Mannequin lief sie auf Modeschauen in | |
Kaufhäusern. Die Warnung ihrer Mutter, dass Fußballspielen die Beine kaputt | |
macht, sollte sich nicht bewahrheiten. | |
Irgendwann zu dieser Zeit tauchte Willi Ruppert auf. Ruppert war ein | |
hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, der wusste wie man Anzüge trägt. Er | |
war Versicherungsvertreter aus Essen. Ruppert kannte das Fußballverbot des | |
DFB. Er bemerkte, dass es viele Frauen gab, die trotzdem Fußball spielten. | |
Er hatte beobachtet, dass zu manchen dieser Frauenspiele tausend und mehr | |
Schaulustige gekommen waren. Ruppert witterte ein Geschäft. | |
## Und dann: Länderspiel! | |
Im Jahr 1956 gründete er in Essen einen Verein, den Westdeutschen | |
Damen-Fußball-Verband. | |
Lore Barnhusen erinnert sich, dass einmal nach dem Training ein paar Männer | |
am Spielfeldrand standen. Einer zeigte mit dem Finger auf einzelne | |
Spielerinnen und wählte aus: „Du, du und du bist dabei.“ Der Mann zeigte | |
auch auf Lore Karlowski. Sie war 16, die Jüngste. | |
Und dann schrien es die Plakate von allen Litfaßsäulen: „Länderspiel | |
Deutschland gegen Holland“. Für das Spiel hatte Willi Ruppert das | |
Mathias-Stinnes-Stadion in Essen-Karnap ausgesucht. Das Stadion gehörte der | |
Zeche, der DFB konnte nicht über die Anlage verfügen. | |
Am 23. September 1953 hängte sich Lore Karlowski ihre weiße Tasche um, lief | |
den Feldweg zum Stadion. Sie war 16, Fußballspielen war eine nette | |
Beschäftigung, „wat für die Beine und wat für’n Kopp“, fand sie. Was a… | |
an diesem Nachmittag auf sie zukommen würde, damit hatte Karlowski nicht | |
gerechnet. | |
Im Stinnes-Stadion war die Hölle los. Alle waren gekommen: Männer im | |
Sonntagsanzug, Frauen in Blumenkleidern, Kinder in kurzen Hosen. | |
Achtzehntausend Zuschauer. | |
Gesichter konnte Lore Karlowski nicht mehr erkennen, nur eine johlende | |
Masse, die die Ränge flutete, in Trauben übers Geländer hing. Die Leute | |
pfiffen auf zwei Fingern, auf Flaschenhälsen, einer hatte eine große Pauke | |
dabei. Die Luft roch nach Volksfest, nach Bier und Bratwurst, im | |
Stadioncasino standen die Bergwerksbosse mit Zigarre, die Zeche nebenan wie | |
immer im Dauerbetrieb. | |
Eine große Nervosität kroch Lore Karlowski die Beine hinauf. | |
In der Umkleidekabine verteilte Willi Ruppert kurze schwarze Hosen und | |
weiße Trikots, Bundesadler auf der Brust. Er selbst trug Anzug, Ruppert | |
trug immer Anzug. Dann rannten sie raus auf den Rasen, sangen die | |
Nationalhymne, schüttelten den Niederländerinnen die Hände. Das Publikum | |
tobte. Sie weiß nicht mehr, wie das Spiel genau abgelaufen ist. In all | |
dieser Aufregung hat sie sich wenig gemerkt. Es ist auch zu lange her. Sie | |
weiß: Der Ball flog in die Kurve, sie hat ihn rübergeflankt zu Lotti, der | |
Mittelstürmerin. Sie alle hatten noch nie zusammen gespielt, aber das war | |
das 1:0, es lief gut. Halbzeitstand: 2:0. | |
„Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran“, jubelte | |
der „Wochenschau“-Reporter. „Wie Herberger Schützlinge zu ihren besten | |
Zeiten, so ziehen die jungen Damen elegant und zu allem entschlossen ihre | |
Kreise.“ Die Niederländerinnen treffen nur einmal. „Mit diesem 2:1 Sieg | |
kommt Deutschlands Fußball endlich wieder zu einem schönen Sieg.“ | |
„Gute Kombinationen“, meldete die Neue Ruhr Zeitung, und „dass die | |
Sportart, die in Deutschland bisher nur Männern vorbehalten war, auch für | |
Frauen durchaus möglich ist.“ 2:1 für Deutschland. Die Angelegenheit war | |
den Herren vom DFB aus den Fingern gerutscht. | |
Als alles vorbei war, drückte die Frau von Willi Ruppert in der Umkleide | |
jeder Spielerin einen Fünfzigmarkschein in die Hand. Lore Karlowski hatte | |
noch nie einen so großen Schein besessen. Es ist ein winziger Betrag | |
gemessen an dem, was Willi Ruppert eingenommen haben muss. | |
Karlowski hat sich ihre Tasche geschnappt, ist nach Hause gelaufen. Dunkel | |
legte sich über die Wiesen. Ein guter Tag. Vielleicht der größte in ihrem | |
Leben. | |
Man kann heute mit Karlowski, die jetzt Barnhusen heißt, noch mal ins | |
Stinnes-Stadion gehen. Der Zaun rostet, auf den Zuschauertreppen wächst | |
Moos, das Sportlerheim ist abgerissen. Es ist trotzdem ein schönes Stadion, | |
hinten ragen die Schornsteine in den Himmel. Es ist der Platz, wo Lore | |
Barnhusen nationale, internationale Bedeutung erlangte. Wo sie wegen der | |
Großartigkeit des Erlebnisses heute noch wächst. Hinauswächst auch über | |
alles, was danach kam, die Ehe mit dem Installateur Ewald Barnhusen, das | |
Leben als Hausfrau und Mutter von drei Söhnen. „Ich werd nervös, wenn ich | |
nur hier stehe“, sagt sie. | |
## Auf die Brüste gucken | |
Zwei Männer drücken sich auch auf dem Rasen herum. Ewald Barnhusen und ein | |
kleiner Kerl mit kariertem Hemd und wässrigen Augen. Er ist vom | |
Heimatverein Essen-Karnap, als Junge hat er damals das Spiel gesehen: „Alle | |
Jungs waren doch verliebt in die Lore.“ Barnhusen steht wackelig, versinkt | |
mit ihren hohen Schuhen im Gras, grinst schief, am Hals bekommt sie rote | |
Flecken, sie sagt nichts. Ihr Mann, der sie mit seinem silbernen Mazda | |
hierhergefahren hat, weil er derjenige ist, der bei ihnen Auto fährt, steht | |
jetzt irgendwie unnütz an diesem Ort voller Geschichte, der nicht sein Ort | |
ist. Er macht die Augen schmal und starrt in die Bäume. Dann schiebt sie | |
hinterher: „Wahrscheinlich war es schon so, dass viele gekommen sind, um | |
den Frauen auf die Brüste zu gucken.“ | |
Ein kurzer Moment. Dann lacht sie diesen Satz weg mit einem sehr breiten | |
Lachen, das auch das Beschämende dieser Erkenntnis verschluckt. Die beiden | |
Männer lachen mit. | |
Barnhusen ist wieder geschrumpft. | |
Mit dem Fußballspielen war für sie nach dem Spiel im Stinnes-Stadion bald | |
Schluss. Sie haben sich noch ein paar Mal getroffen. Ruppert erzählte von | |
einem Spiel in England. Sie sollten mit dem Flugzeug fliegen. Ein Traum. | |
Aber dann verschwand er. „Da kam einer, der sagte, der Ruppert hätte das | |
ganze Geld genommen und wäre abgehauen“, erzählt Barnhusen. „Hätte seiner | |
Frau ’nen Pelzmantel gekauft. Sei dann weg in den Osten. In die DDR. Dort | |
hat er dann eine Wäscherei aufgemacht.“ Karlowski hörte auf. Ihre | |
Mannschaft traf sich nicht mehr. Andere Vereine waren zu weit weg. | |
Wie die Sache mit Willi Ruppert sich wirklich abgespielt hat, lässt sich | |
schwer rekonstruieren. Es gab in den Fünfzigerjahren in ganz Deutschland | |
weitere Länderspiele. Einige hat Ruppert organisiert. Das Protokoll einer | |
Vereinssitzung am 17. August 1957 in der Gaststätte Schneider in Essen | |
belegt, dass der „ohne Entschuldigung“ fehlende Willi Ruppert als | |
Vorsitzender des Westdeutschen Damen-Fußball-Verbands abgesetzt wurde. | |
Unklarheit bestand laut Protokoll darüber, wo die etwa 164.000 Mark | |
abgeblieben sind, die der Verband mit Frauenfußballspielen eingenommen | |
hatte. Ruppert machte weiter. Er gründete einen neuen Verein, den Deutschen | |
Damen-Fußball-Bund, und organisierte für den 2. und 3. November 1957 im | |
Berliner Poststadion eine inoffizielle Fußball-Europameisterschaft der | |
Damen. Der Titel „Europameisterschaft“ war ein bisschen übertrieben. Es | |
spielten nur vier Teams: die Niederlande, Österreich, England und | |
Deutschland. Die Herren vom DFB drohten daraufhin in der Berliner | |
Morgenpost: „Die Funktionäre der männlichen Fußballwelt sind verärgert. D… | |
Berliner können wählen – wenn sich der Frauenfußball dort stärker | |
konzentriert, müssen sie eben auf unsere Großveranstaltungen verzichten.“ | |
Ruppert rechnete dennoch mit hohen Zuschauerzahlen. Es kamen nur ein paar | |
Tausend. Hotels und Busunternehmen blieben auf uneingelösten Buchungen | |
sitzen, es gab eine Menge unbezahlter Rechnungen. Wegen „dringenden | |
Verdachts auf Betrug“, berichtet der Tagesspiegel am 13. November 1957, | |
wird gegen die Veranstalter Haftbefehl erlassen. Danach verliert sich | |
Rupperts Spur. | |
Der DFB jedenfalls war in Sachen Frauenfußball angeschlagen. | |
„Das kategorische Nein des DFB zum Frauenfußball wäre besser nicht | |
gesprochen worden“, findet der Tagesspiegel am 16. Oktober 1957. | |
„Stattdessen hätte er seinen Vereinen raten sollen, bei Bedarf | |
Frauenfußball-Abteilungen zuzulassen. Ihm wäre dieser Sport nicht | |
entglitten.“ | |
Die Kritik wuchs. Aber erst dreizehn Jahre später, erst im Jahr 1970, hebt | |
der DFB das Verbot auf. In Hamburg beginnt eine langhaarige | |
Sozialpädagogikstudentin namens Hannelore Ratzeburg zu kämpfen auf dem | |
Platz und in den Gremien des DFB. Stürmerlegende Gerd Müller rät Frauen, | |
lieber zu kochen statt zu kicken, der Berliner Hertha-Star Uwe Witt gibt | |
über die Bild-Zeitung bekannt: „Wenn meine Frau spielt: Scheidung!“ Als die | |
Frauennationalelf 1989 den Europameistertitel holt, schenkt der DFB den | |
Spielerinnen ein Kaffeeservice. Heute hofiert DFB-Präsident Theo Zwanziger | |
die deutschen Fußballspielerinnen. Es ist ja WM. | |
Lore Barnhusen sitzt in ihrer Doppelhaushälfte in Gladbeck: „Immer Küsschen | |
hier, Küsschen da, der Zwanziger! Und wat ham sie uns damals dat Leben | |
schwergemacht!“ Barnhusen hat ihren Mann bei einem Fußballspiel | |
kennengelernt. Ihre drei Söhne haben Fußball gespielt. Sie hat den Ball den | |
Männern überlassen, aber sie hat ihn nicht aus den Augen verloren. | |
Ihr Wohnzimmer hat sie mit Schalke-Fähnchen, mit Wimpeln und Kissen | |
ausstaffiert. Im Hobbykeller hat sie die Fotos ihrer eigenen Fußballzeit | |
aufgehängt. Wenn Bayern verliert, ist es ein guter Tag, sagt Barnhusen. | |
Wenn Schalke gewinnt, braucht sie drei Jahre kein Weihnachtsgeschenk. | |
Gladbeck hat eine Mädchenmannschaft, die besucht sie öfter, eben hat sie | |
sich im Stadion das Spiel Duisburg gegen Saarbrücken angeguckt, 1.021 | |
Zuschauer. Ob sie zur Frauenfußball-WM geht? | |
Ihr Mann fährt dazwischen, er ruft: „Hingehn zu einem Spiel? Nee, das tun | |
wir nicht.“ Er lacht ein bellendes Lachen. Als hätte jemand gerade einen | |
besonders guten Witz gemacht. | |
■ Kirsten Küppers, 38, sonntaz- Autorin, wird in diesem Jahr für ihre Ganze | |
Geschichte „Das wiedergewonnene Gesicht“ mit dem Theodor-Wolff-Preis | |
ausgezeichnet. Der prämierte Text: [1][taz.de/gesicht] | |
21 May 2011 | |
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## AUTOREN | |
KIRSTEN KÜPPERS | |
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