Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Allein und doch nicht einsam: Zwischen 90.000 Inseln
> Die große Schärenregion zwischen Stockholm und Turku bietet Reisenden
> alles: mondäne Seebäder, einsame Inseln und Natur ohne Ende. Aber bislang
> sind die meisten Tourismusdienstleister noch Einzelkämpfer
Bild: Stockholmer Schären
Erst ist es nur ein kaum merkliches Ruckeln. Die Spitze der Angelrute
zittert. Ist es Einbildung? Oder hat wirklich einer angebissen? Dann zieht
es an der Schnur, zuckt, die Rute biegt sich. Da ist er, der erste Fisch.
Juchhu! Hurra! Was nun? Wer hätte gedacht, dass Angeln so aufregend ist?
Der zappelnde Barsch muss irgendwie aus dem Meer geholt werden. Uff. Dann
übernimmt Ulf Rundberg. Mit einem Griff zieht der Fischer dem Tier den
Haken aus dem Maul und lässt es in ein wassergefülltes Becken fallen. Auch
den tödlichen Schlag auf den Kopf will er lieber selbst ausführen. "Die
Fische sollen nicht leiden", sagt er später in seinem Bootshaus am Strand.
Geübt schnappt er die toten Barsche, nimmt sie aus und filetiert sie auch
auf Wunsch.
Fischer ist Rundbergs Hauptberuf. Im Nebenjob schippert er Besucher
zwischen den Schären hindurch zu fischreichen Gründen - oder auch einfach
nur von Insel zu Insel. Denn zu sehen gibt es hier genug, auch ohne dass
man sich das Abendessen selbst fangen muss.
Rundberg lebt auf Åland, dem autonomen Inselstaat am Eingang des
Bottnischen Meerbusens. Åland bedeutet Wasserland. Und tatsächlich ist das
Gebiet zwischen Schweden und Finnland eine wirre Ansammlung von gut 6.500
Schären, das sind kleine Inseln, die über die Jahrtausende vom Inlandeis
abgeschliffen wurden und wie Rundhöcker oder Rücken von Walen aus dem Meer
ragen. Nur die Hauptinsel ist so groß, dass eine ganze Ortschaft, die
Hauptstadt Mariehamn, darauf Platz findet. Lediglich auf 65 Inseln leben
überhaupt Menschen. Von den meisten sieht man nicht mehr als ein flaches
Stück Grün mit buckligen grauen Felsen. Aber auch manche der bewohnten sind
so klein, dass gerade mal eines der typisch skandinavischen roten
Holzhäuser mit den weißen Fensterumrahmungen und ein Bootssteg darauf
passen. Ohne Wasserfahrzeug ist man hier aufgeschmissen.
Und Åland ist nur ein Teil des Archipels, das im Westen bis nah an
Stockholm und im Osten bis Turku reicht. Insgesamt umfasst das
Schärengebiet rund 90.000 Inseln, die alle so nah beieinanderliegen, dass
man ganz alleine auf einer sein und doch immer auch andere sehen kann. Sehr
intim wirkt das. Und doch selten einsam.
"Eigentlich bilden alle Schären zusammen eine große Region", sagt Annegret
Karsbrink von der Gemeinde Värmdö. "Nicht nur geografisch, sondern auch
geschichtlich." Und politisch sowieso. Åland hat zwar eine eigene
Verfassung, ein eigenes Parlament und eine eigene Post, wird aber bei
internationalen Verhandlungen von Finnland vertreten. Gesprochen wird
allerdings Schwedisch - was wiederum überall im Archipel verstanden wird.
Ein länderübergreifendes EU-Projekt soll die gefühlte Einheit nun auch für
die Entwicklung des Tourismus nutzbar machen. Die jeweiligen nationalen
Bereiche sind zu klein, um sich über die Landesgrenzen hinaus zu
vermarkten. Unter dem Namen "Scandinavian Islands" geht es nun darum, einen
"umweltfreundlichen, regional angebundenen Qualitätstourismus" zu
entwickeln. "Wir wollen einerseits einen Überblick schaffen, was es hier
alles an kleinen touristischen Dienstleistern gibt, und die untereinander
sowie mit den Behörden vernetzen", sagt Karsbrink, die an dem Projekt
mitarbeitet. Aber es sollen auch Standards geschaffen und somit festgelegt
werden, was überhaupt ein "nachhaltiges Angebot" ist. Das ist nicht so
einfach und geht nur langsam voran.
Richtig sichtbar ist bislang nur der gemeinsame Internetauftritt
(www.scandinavianislands.com). Das ist kein Wunder, denn trotz aller
Gemeinsamkeiten haben vor allem die Schweden und die Åländer ganz
unterschiedliche Probleme. Die Stockholmer Schären werden vor allem von
reichen Stockholmern frequentiert, gerne im Sommer, wenn es auch in
Schweden für ein paar Wochen ganz schön heiß werden kann. Viele haben sich
längst eins der traditionellen Holzhäuschen gesichert und damit die
Immobilienpreise auf den Inseln angeheizt. Etwa im Seebad Sandhamn auf
Sandön, das in der kurzen Zeit von Tagesgästen überrannt und im Herbst dann
zur Geisterstadt wird. Denn für die wenigen ganzjährigen Bewohner sind die
Häuser im Ort längst zu teuer geworden - sie sind auf die andere Seite der
Insel in die Wälder ausgewichen.
Geld bringen die reichen Hausbesitzer kaum, sie haben die Holzgebäude zu
kleinen Villen mit allem Schnickschnack umgebaut und bleiben meist unter
sich. Oder sie entwickeln eigene Aktivitäten. Wie Björn Åkerlund, der auf
der Insel Rågskär in Värmdö ein kleines Konferenzzentrum aufgebaut hat, das
nicht viel mehr ist als eine Art Bungalow mit einem großen Raum für
Seminare und Workshops, ein paar Schlafräumen und einer Küche. Dazu kommen
ein Bootshaus, die freistehende Sauna und ein Windrad hinter dem Haus.
Rågskär selbst hat man in fünfzehn Minuten umrundet. Wenn man langsam
schlendert und jeden Felsen mitnimmt. "Keine Ahnung, wie groß die Insel
ist", sagt Åkerlund, der früher Stahlmanager bei SKF war und jetzt mit
seiner Frau fast den ganzen Sommer hier draußen verbringt. "Was die Leute
hier suchen, ist die Stille." In den letzten drei Jahrhunderten waren es
vor allem Künstler, Literaten, Maler, Fotografen, die sich in die Schären
zurückzogen. August Strindberg, Anni Polva oder Henning Mankell.
"Heute wollen sich auch Geschäftsleute von der gleichen Atmosphäre
inspirieren lassen." Åkerlunds Kunden sind vor allem große Unternehmen, die
hier Seminare für ihre Führungskräfte veranstalten. Energie bezieht
Åkerlund aus erneuerbaren Quellen, Strom liefert das Windrad, Solarzellen
erzeugen Wärme. Das passt zum Selbstversorgeranspruch, einen ökologischen
Anspruch zementiert es nicht. "Man ist hier auf sich gestellt", sagt
Åkerlund. Die Großstadt sei jedoch nicht wirklich weit entfernt: "Mit dem
Helikopter sind es zehn Minuten von Stockholm hierher."
Ein bisschen weiter draußen auf dem Meer sieht es allerdings schon wieder
anders aus. Auf der Insel Möja können Besucher miterleben, wie das Leben
auf dem Archipel ursprünglich war: gut strukturiert und friedlich. Polizei
gibt es nicht. Gewalttaten kommen nur in den Krimis der Schriftsteller vor,
die hier auf Urlaub oder Recherche weilen. Kaum in der Realität. Aber es
gibt auch keine Geschwindigkeitskontrolle, wenn die Jugendlichen in
halsbrecherischem Tempo die einzige halbwegs befestigte Straßen hoch und
runter jagen. Manchmal mit Fahrrädern, lieber aber mit dem Mofa oder den
auch hier beliebten Quads. Montags kommt der Arzt.
"Man braucht mit den schnellen Booten heute kaum länger als zwei Stunden
nach Stockholm", sagt Karsbrink. Eigentlich beste Voraussetzungen für
Reisende. Bislang allerdings wohnen auf Möja vor allem Handwerker und erst
seit einigen Jahren wieder Landwirte. Gerade erst hat die erste Pension
aufgemacht, auch einen Kanuverleih gibt es schon. "Aber die Menschen hier
haben ein wenig Angst davor, dass Tourismus ihr Leben verändern könnte",
erklärt Sune Fogelström, der die Reisenden mit seinen Wassertaxis durch die
Schären fährt und hier auf Möja gerade ein paar Ferienhütten herrichtet.
Spüren lassen die Inselbewohner die wenigen Reisenden, die jetzt schon
kommen, ihre Befürchtungen nicht. Im Gegenteil: Wo man auch landet, wartet
schon ein Glas Schnaps, dazu süßes schwarzes Brot oder Pfannkuchen mit
Pflaumenmus und saurer Sahne. Und meist auch jemand, der Lust hat zu
erzählen.
Auf Åland ist der Druck, eine Reisewirtschaft zu entwickeln, viel größer
als auf den schwedischen oder finnischen Schären. Denn bislang ist das Land
vor allem von der Seeschifffahrt abhängig. 85 Prozent des
Wirtschaftsleistung werden von den Reedereien und Fährlinien
erwirtschaftet. Doch die brauchen dafür immer weniger Menschen. Zugleich
beschränkt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union die Möglichkeiten
für staatliche Subventionen drastisch - und greift mit den
Fischereifangquoten und dem Schutz etwa der Seeadler tief ins traditionelle
Leben der Fischer ein. "Wir brauchen auf Dauer eine andere
Wirtschaftsstruktur", sagt Göran Lindebäck, ein Schiffsingenieur, der
nebenbei als Fremdenführer arbeitet.
Für jemanden wie Rundberg ist das gar nicht mal so schlecht. Auch wenn der
Fischer, der mit seiner Frau Minna, einer Designerin, in der Gemeinde
Jomala wohnt, immer noch hauptsächlich vom Fischen lebt. "Ich versuche,
mehr ins Tourismusgeschäft zu kommen", sagt er. "Das macht mir mehr Spaß."
Und es ist an und für sich gar nicht so schwer. Manche Gruppen sind schon
zufrieden, wenn der Ålander sie mit zu seinen Netzen nimmt und sie zusehen
können, wie er arbeitet. Andere wollen selbst angeln. Nicht nur Barsch,
sondern beispielsweise auch Hecht, der schon etwas mehr Geschick und
Techniken wie Spinnen oder Blinkern erfordert, weil er vor allem auf
bewegte Köder reagiert. Alle aber lassen sich gern in sein rot verkleidetes
Haus mit den zwei Bootsstegen führen - und den Riesenlachs zeigen, den
Rundberg vor ein paar Jahren aus dem Meer gezogen hat.
Bislang kommen die Gäste ausschließlich über Mundpropaganda. Vor allem die
Leute aus dem Hotel Arkipelag in Mariehamn empfehlen ihn gern. "Ich könnte
aber noch mehr Besucher vertragen", sagt Rundberg.
Wie Rundberg oder Lindebäck leben viele Ålander. Eigentlich sind sie
Fischer, Ingenieure, Schiffsbauer. Tatsächlich arbeiten sie auch als
Fremdenführer oder bieten Übernachtungsmöglichkeiten auf den Inseln an.
"Wir haben aber ein Marketingproblem und noch zu geringe Kapazitäten",
meint Johan Göran, der auf einer der kleineren Inseln ganz in der Nähe ein
kleines Konferenzzentrum aufgebaut hat. Mit den üblichen Hotels hat das
wenig zu tun: In zwei kleineren Holzhäusern sind die Zimmer untergebracht,
in einem größeren tut sich eine gemütliche Halle mit einem riesigen Kamin
und schweren dunklen Tischen auf. "Arbeiten" heißt hier für die Gäste
meist, sich besser kennenzulernen und neue Ideen zu gewinnen. "Aber auch
damit stehen wir im Wettbewerb mit Marbella und anderen Mittelmeerstädten",
sat Göran. Ob die Manager drei Stunden nach Spanien fliegen oder drei
Stunden mit den Booten raustuckern, sei den Unternehmen völlig egal. "Wenn
wir einmal absagen müssen, haben wir sie als Kunden verloren." Auch aus
diesem Grund ist Göran sehr für Vernetzung und Kooperation der vielen
regionalen Anbieter. "Dann könnten wir die Leute einfach zur Nachbarinsel
verweisen."
Dass das "Scandinavian Islands"-Projekt nach hinten losgeht und plötzlich
viel zu viele Touristen kommen, fürchtet auf Åland erst mal niemand. "Das
Leben hier findet weitgehend outdoor statt, das ist nicht jedermanns
Sache", sagt Rundberg.
25 Jun 2008
## AUTOREN
Beate Willms
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.