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# taz.de -- „Alle Soldaten der Welt sind Mörder“
> Diese allgemeine Aussage hält das Bundesverfassungsgericht noch für
> zulässig. Die Kränkung von Bundeswehrangehörigen ist dagegen nach wie vor
> strafbar  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath
Mal auf englisch, mal auf deutsch, mal als Transparent, mal als Leserbrief
oder Flugblatt, in zahlreichen Fällen hatte das alte Tucholsky-Zitat
„Soldaten sind Mörder“ zu strafrechtlichen Verurteilungen wegen Beleidigung
von Bundeswehrangehörigen geführt. Und erneut hatten die dagegen
eingelegten Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) Erfolg, weil die Gerichte die Abgrenzung zwischen Ehrenschutz der
Soldaten und Meinungsfreiheit der PazifistInnen nicht klar genug gezogen
hatten.
Mit einer neuen Argumentation hat der erste Senat die Rechtsprechung des
Gerichts zum pazifistischen Glaubensbekenntnis „Soldaten sind Mörder“
bestätigt. Der Beschluß, über den die taz im September berichtet hatte, war
lange erwartet, wegen eines Minderheitsvotums der Richterin Haas aber erst
gestern veröffentlicht worden.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, betonte der Senat ausdrücklich, daß sein
Urteil nur zu einer erneuten Verhandlung vor den Strafgerichten führe. „Die
Beschwerdeführer werden damit nicht freigesprochen“, heißt es am Ende der
65seitigen Entscheidung. Denn, auch dies betont der Senat mit Nachdruck,
„Kränkungen einzelner Soldaten oder Angehöriger bestimmter Streitkräfte
durch Äußerungen wie ,Soldaten sind Mörder‘ wurden nicht für zulässig
erklärt.“
Dennoch dürfte in den meisten der vier geprüften Fälle nach dem gestern
bekanntgemachten Beschluß keine Verurteilung mehr möglich sein. Denn das
Gericht hat eindeutig klargestellt, daß auch eine „überzogene oder gar
ausfällige Kritik“ nicht zwangsläufig dem Schutz der Meinungsfreiheit
entzogen wird. Von „Schmähkritik“ könne man nur dann sprechen, wenn „die
persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund
drängt“. Das aber sei bei den geprüften Fällen wohl nicht der Fall gewesen,
jedenfalls hätten die Strafgerichte sich mit dieser Frage nicht ausreichend
auseinandergesetzt.
Damit erteilte das BVerfG vor allem dem Bayerischen Obersten Landesgericht
einen kollegialen Rüffel. Drei der vier Fälle ereigneten sich in Bayern.
Ein weiterer, etwas versteckterer Rüffel galt dem Bundesgerichtshof. Dieser
hatte 1989 entschieden, daß mit der Aussage „Soldaten sind Mörder“ jeweils
auch alle Soldaten der Bundeswehr gemeint seien. Das BVerfG setzte dem
jetzt eine differenzierte Definition der „Beleidigungsfähigkeit“ von
Soldaten entgegen: Wenn „alle Soldaten der Welt“ angesprochen sind, ist die
Gruppe so groß, daß der einzelne Soldat faktisch nicht mehr in seiner Ehre
herabgesetzt werde. Eine strafbare „Kollektivbeleidigung“ könne von den
Strafgerichten jedoch dann angenommen werden, wenn es nur um die „aktiven
Soldaten der Bundeswehr“ gehe.
In Zukunft müssen die Gerichte also genau nachweisen, daß mit der Aussage
„Soldaten sind Mörder“ gerade und nur die Soldaten der Bundeswehr gemeint
sind. Mit dieser Argumentation setzte der mit acht RichterInnen besetzte
Senat deutlich andere Akzente als die dreiköpfige Kammer, deren Spruch vom
August des vorigen Jahres für so großen Wirbel gesorgt hatte. Damals war
die Aufhebung eines Strafurteils vor allem darauf gestützt worden, daß der
Begriff „Mörder“ im umgangssprachlichen Sinn eine weniger gravierende
Bedeutung habe als unter StrafrechtlerInnen, denn NichtjuristInnen sei die
exakte Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag nicht geläufig.
Wie der Senat jetzt feststellte, ist auch der umgangssprachliche
„Mordvorwurf“ so schwerwiegend, daß er gegenüber rechtmäßig handelnden
Soldaten eine unzulässig handelnde „Kränkung“ darstellen kann. Auch die
häufig als haarspalterisch empfundene Argumentation, die Bundeswehr könne
durch das Tucholsky-Zitat gar nicht angesprochen sein, weil der Autor schon
1935 aus dem Leben schied und die Bundeswehr seit Bestehen noch nie an
Kriegseinsätzen teilnahm, wurde nicht wiederholt.
Ob dies die öffentliche Auseinandersetzung versachlichen wird, bleibt
abzuwarten. In drei der vier Fälle erging die Entscheidung mit der am
ersten Senat fast schon klassischen Stimmenmehrheit von 5:3.
8 Nov 1995
## AUTOREN
Christian Rath
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