Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ali gehört der ganzen Welt
> Mehr als jede andere öffentliche Person war Muhammad Ali ein Idol der
> Massen. Rund um den Globus wurden seine Kämpfe zum Generationserlebnis
von MARTIN KRAUSS
Das Fachblatt Sports Illustrated hatte 1961 Grund zur Sorge. „Das Boxen
stirbt, weil alle so ruhig sind.“ Hoffnung kam nur von einem einem jungen
Mann aus Louisville, Kentucky. „Was das Boxen braucht, sind mehr Clays.“
Der Boxsport bekam aber nicht „mehr Clays“, er bekam mehr von diesem einen
Cassius Clay, der schon bald nicht mehr so heißen wollte.
1960, nach seinem Olympiasieg in Rom, war Clay Profi geworden. Dass ihn vor
Rassismus auch Erfolge nicht schützen, hatte er früh gemerkt. Als er nach
seinem Olympiasieg abends eine Cola trinken wollte, warf ihn der Barkeeper
raus. „Ich hatte in Italien mein Land repräsentiert, sogar eine
Goldmedaille gewonnen, und in Amerika wurde ich nicht mal in einem
Schnellimbiss bedient“, erinnerte er sich. „Ich ging zu einer Brücke, riss
mir die Medaille vom Hals und schmiss sie in den Fluss.“ Das entpuppte sich
später als Legende. Trotzdem gehört es zum Mythos, bis heute.
1964 trat Clay zur muslimischen Organisation „Nation of Islam“ über, das
fiel zusammen mit seinem Kampf gegen Sonny Liston, seinem ersten Kampf um
die Weltmeisterschaft im Schwergewicht. Liston war ein gefürchteter
Schläger, Analphabet, Exhäftling und eine Marionette der Mafia. Clay
hingegen, so Liston-Biograf Nick Tosches, war „ein guter, sauberer Junge
der Mittelklasse, der Amerika keine Schande und Feindseligkeit bescherte“.
In diesem Klima kamen Clays Schmähungen gegen Liston als „großem,
hässlichen Bären“ gut an.
Der 22-jährige Weltmeister Cassius Clay wurde dennoch nicht die Rettung des
Profiboxens. Nach der Weltmeisterschaft machte er seinen Übertritt zu den
Black Muslims öffentlich und wurde Muhammad Ali. Als er 1965 bei einem
Intelligenztest der US-Army durchfiel, kam zum Hass die Häme hinzu. Nicht
nur in den USA, auch dem SED-Zentralorgan Neuen Deutschland galt Ali als
„Fast-Geisteskranker“. Ein Muhammad Ali konnte nicht sein, was einem
Cassius Clay vielleicht noch gelungen wäre: ein Schwergewichts-Weltmeister
wie andere Schwarze vor ihm.
Für einen wie Ali brauchte es eine zweite Karriere. Denn er war auch
politisches Symbol und sogar noch mehr: Popstar. Als er sich 1967 weigerte,
seinen Wehrdienst anzutreten, verurteilte ihn ein Gericht zu fünf Jahren
Gefängnis und erkannte ihm den WM-Titel ab. „Man, I ain’t got no quarrel
with the Vietcong“, sagte er zur Begründung. „Ich hab keinen Stress mit dem
Vietkong.“ Dieser Satz war Pop.
Seinen Lebensunterhalt während des „Exils“ (Ali) bestritt er mit Vorträge…
auch in einem Broadway-Stück trat er auf. Ali war eben Pop. In den USA
hatte ihn ein Kolumnist schon Anfang der Sechziger Jahre den „fünften
Beatle“ genannt, heute gilt er als der erste Rapper.
Mit Alis Rückkehr in den Ring ging es dem Boxen wie zuvor Ali. Es wurde
Politik und mehr als das: Boxen wurde Pop. Ali-Kämpfe wurden in der ganzen
Welt ein Generationenerlebnis. Väter weckten ihre Söhne, damit sie die
großen Kämpfe sehen konnten. Weil Ali mittlerweile mit Joe Frazier und
George Foreman gleichwertige Gegner hatte, waren die Fights Weltsensationen
mit gigantischer Symbolkraft. Frazier und Foreman erhielten die Rolle der
„bad guys“, der Repräsentanten des weißen Amerika.
Während die USA Vietnam bombardierten, traten Frazier und Ali am 8. März
1971 zum „Fight of the Century“ um den vakanten WM-Titel an. Es wurde eine
Ringschlacht, die Frazier gewann, es war Alis erste Niederlage. Ali schien
geschlagen, wie der Vietkong in Vietnam geschlagen schien. Frazier verlor
seinen Titel 1973 an George Foreman, während Ali gegen den kaum bekannten
Ken Norton verlor. Spätestens da schien Alis Karriere vorbei. Die Botschaft
lautete: Das offizielle Amerika hat sich durchgesetzt, Ali ist kein
Herausforderer mehr.
Doch Ali arbeitete sich wieder hoch: Er bezwang im Rückkampf Norton,
besiegte Frazier, und am 30. September 1974 kam es zum großen Showdown
zwischen Muhammad Ali und George Foreman in Kinshasa, der Hauptstadt von
Zaire, dem heutigen Kongo. Der „Rumble in the Jungle“. Der „Rumble“ wur…
die boxerische Inszenierung von Vietnam. Der Boxkampf wiederholte den Krieg
zwischen der aufbegehrenden Dritten Welt, repräsentiert von Ali, und dem
US-Imperialismus, repräsentiert von Foreman. Der war schon 1968 in Mexiko
mit einer Stars-and-Stripes-Flagge durch den olympischen Ring gestiefelt.
In dem Dokumentarfilm „When We Were Kings“ von Leon Gast berichten
zairische Ali-Fans, wie sie sich über Foremans schwarze Hautfarbe
wunderten. Ali hatte ihnen doch einen Vertreter des weißen Amerika
angekündigt.
Der Kampfverlauf entsprach der Symbolik: Wie die USA in Vietnam den Gegner
mit einem Flächenbombardement überzogen, hatte Foreman in den meisten der
sieben Runden auf Ali eingedroschen. Und wie der Vietkong mit überlegener
Taktik und großer Leidensfähigkeit operierte, hing Ali in den Seilen und
zermürbte den an Schlagkraft überlegenen Gegner. In der achten Runde setzte
Ali die entscheidende rechte Gerade, Foreman ging zu Boden. Es war Alis
größter Sieg, es war seine Eroberung der Welt. Zum zweiten Mal war er
Schwergewichtsweltmeister geworden. 1975 lieferte er sich noch einen
dritten Kampf mit Joe Frazier, den „Thrilla of Manila“ – eine Schlacht, d…
Ali gewann, die aber beide Kämpfer ins Krankenhaus brachte.
Danach begann der Niedergang. 1978 verlor er seinen Titel an Leon Spinks,
gegen den er ihn im gleichen Jahr zurückholte. 1979 trat Ali vom Boxen
zurück, und ohne den Sport verlor Ali auch seine politische Bedeutung. Er
ließ sich von US-Präsident Jimmy Carter dazu bewegen, in Afrika für den
Boykott der Olympischen Spiele in Moskau zu werben. Die Mission scheiterte,
Alis Ruf war angeschlagen, seine Gesundheit auch. 1980 trat er zum Comeback
an – und blamierte sich in Kämpfen gegen Larry Holmes und Trevor Berbick.
Anfang der Achtzigerjahre diagnostizierten die Ärzte bei ihm das
Parkinson-Syndrom. „Das ist nicht die Parkinson-Krankheit“, stellt sein
Arzt Stanley Fahn klar. „Die Symptome zeigen sich in der Motorik: der
Bewegung, dem Sprechen und dem Gesichtsausdruck. Sein Zustand berührt nicht
seine Intelligenz oder die Schnelligkeit seiner Gedanken.“ Ob die Krankheit
vom Boxen kommt, will Fahn nicht mit Sicherheit sagen. Es war diese
Krankheit, die Ali half, zum Mythos zu werden. „Ohne meine Probleme hätten
die Leute wohl Angst vor mir. Nun haben sie Mitleid“, sagte er 1988. „Sie
dachten, ich wäre Superman, jetzt aber sagen sie: Er ist ein Mensch wie
wir, er hat nämlich Probleme.“
Als Kranker machte er eine dritte Karriere. „Ali erreichte mehr Menschen,
als jeder Papst oder Präsident je erreichen wird“, befindet sein Biograf
Thomas Hauser. „Mehr als jede andere öffentliche Figur seiner Zeit gehörte
er den Massen. Er gehört der Welt.“ In einer bewegenden Szene vor 3,5
Milliarden Fernsehzuschauern entzündete Ali 1996 das Olympische Feuer in
Atlanta. Dann übergab ihm das IOC eine Kopie seiner 1960er-Goldmedaille.
„Das Establishment kann man nicht wirklich bekämpfen, weil es zu stark ist.
Es besitzt zu viele Waffen – Flugzeuge, Bomben und Geschütze“, resümierte
Ali 1999. „Ich forderte es aber symbolisch heraus. Und im Nachhinein war
ich der Sieger.“
Es scheint, als stünde der dreifache Boxweltmeister Muhammad Ali kurz vor
seiner Heiligsprechung. Doch in den letzten Monaten setzte auch eine
Korrektur dieses Bildes ein. Eine Dokumentation im amerikanischen TV-Sender
HBO und das Buch „Ghosts of Manila“ von Mark Kram sorgten für Diskussionen.
Der Sportjournalist Kram verweist darauf, dass sich Alis Rhetorik vor allem
gegen schwarze Boxer richtete.
Ali nannte Frazier einen „Gorilla“, der „zu hässlich ist, Weltmeister zu
werden“, und beschimpfte ihn als „tumben Onkel Tom“. Joe Frazier, den die
Häme am schlimmsten traf und ohne dessen grandiose Gegenwehr sich Ali nicht
als der überragende Boxer des Jahrhunderts hätte präsentieren können, hat
diese öffentlichen Demütigungen nie verziehen. „Joe war tief in seinem
Innern sehr religiös und hatte deswegen auch großen Respekt vor Alis
religiösen Überzeugungen“, erinnert sich der Sportjournalist Dave Wolf.
„Erst als Ali vor ihrem ersten Kampf begann, Joe einen Uncle Tom zu nennen,
änderten sich Joes Gefühle.“
Baseballprofi Reggie Jackson erinnert sich an den „Thrilla of Manila“ 1975:
„Ich liebte Ali, ich liebe ihn immer noch. Aber in den Tagen vor dem Kampf
in Manila fühlte ich für Joe. Joe Frazier ist nämlich ein hart arbeitender,
ehrenwerter und zurückhaltender Mensch, der aus einer Kleinstadt kommt und
wenig formale Bildung besitzt. Er ist ein stolzer Mann. Und er verdient
ganz große Ehre, das wurde auch in dem Kampf in Manila klar. Aber Ali
machte Joe lächerlich, er demütigte ihn vor den Augen der Welt.“
Immer wieder gibt es Meldungen über eine Versöhnung. Aber zu mehr als
Höflichkeitsbegegnungen ist Frazier nicht bereit. Er sagt: „Ich hasse Ali.
Gott will nicht, dass ich so rede, aber es kommt von Herzen. Ich hasse
diesen Mann. In den ersten zwei Kämpfen wollte er mich zum Weißen machen,
danach machte er mich zum Nigger.“ Und er fügt hinzu: „Ich würde gerne
gegen Ali-oder-Clay-oder-wie-er-heißt noch mal kämpfen, am liebsten morgen.
Seit Jahrzehnten bekämpfe ich Ali, und ich möchte ihn immer noch Stück für
Stück auseinander nehmen und an Jesus zurücksenden.“
Es wird nicht geschehen.
Ali ist heute einer der bekanntesten Menschen der Welt, mindestens so
berühmt wie Elvis Presley, John F. Kennedy oder Michael Jackson. Einer, der
sein Leben begleitet hat, der Box-Experte Alex Wallau, sagt: „Wenn die
Leute sagen: Boxen ist schrecklich, schau, was es aus Ali gemacht hat –
dann muss ich fragen: Welches Leben hätte er denn ohne Boxen gelebt? Es
wäre gewiss nicht viel gewesen.“
17 Jan 2002
## AUTOREN
MARTIN KRAUSS
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.