# taz.de -- Albanische Videokunst: United Colors of Migration | |
> Postkommunistischer Alltag, Migration und Identität, das sind die Themen | |
> des Italo-Albiners Adrian Paci. Der Kunstverein Hannover zeigt eine | |
> Überblicksschau des Künstlers. | |
Bild: Es geht ein Flug nach nirgendwo. | |
Vom Tod des Autors ist viel geredet worden, und jetzt ist auch noch der | |
Künstler tot. Adrian Paci nämlich. Geboren 1969 im albanischen Shkodra, | |
gestorben 2001 ebendort. Zwischendrin geheiratet. Lässt sich alles dem | |
Totenschein entnehmen. | |
Komisch, dass der Künstler gerade persönlich eine Ausstellung im | |
Kunstverein Hannover eröffnet hat. Adrian Paci ist quicklebendig. Sein | |
Totenschein, der in der Ausstellung hängt, eine Fälschung. Angefertigt hat | |
sie ein albanischer Kunstmaler, der im postkommunistischen Alltag für Geld | |
Nummernschilder, Klotürbeschriftungen oder gefälschte Dokumente hinpinselt. | |
Pacis Videoarbeit "Piktori" zeigt den Mann in konspirativer Rückenansicht | |
bei der Arbeit am Totenschein und dem Lamento über die Aufweichung des | |
Kunstbegriffs. "Er hat den Glauben an die Kunst verloren, weil er nur die | |
Wünsche anderer Leute erfüllt", erklärt Paci. Eine klapperige Bretterhütte | |
voller Gemälde in der Hannoveraner Ausstellung zeigt, dass sich der | |
39-Jährige einst selbst mit Auftragsarbeiten durchschlug. Das Datum auf | |
seinem Totenschein fällt ungefähr mit der Phase zusammen, in der seine | |
Karriere ins Rollen kam: Eine Wiedergeburt als freier, international | |
gefragter Künstler? | |
Vielleicht nicht ganz frei: Künstler aus Osteuropa werden oft diskursiv | |
vereinnahmt. Es störe ihn, wenn Betrachter aus seiner Kunst ein kohärentes | |
Albanienbild herauszudestillieren suchen, sagt Paci. Wie sehr sich jedoch | |
das von westlichen Augen kaum erforschte Land als Projektionsfläche eignet, | |
zeigt sein Werk "Turn On": 18 arbeitslose Albaner sitzen auf einer | |
nächtlich-schummerigen Treppe und halten recht sinnfrei leuchtende | |
Glühlampen in die Luft. Kritik an der maroden Stromversorgung? Eine | |
Neuauflage des Sisyphosmythos? Einfach ein wunderbar poetischer Anblick? | |
Der Künstler hält sich die Antwort glücklicherweise offen. Paci, das | |
beweist die sehenswerte Hannoveraner Überblicksschau, hat das Talent, | |
sozial engagierte Kunst aufregend zu inszenieren - und zwar so, dass die | |
Ästhetisierung den Inhalt nicht erdrückt. Das dürfte auch an einer | |
Strategie der Bescheidenheit liegen, die in vielen Werken des Künstlers zum | |
Vorschein kommt: Sei es, dass Paci Stills aus Pasolini-Filmen abmalt und so | |
den "einfachen Menschen" in Szene setzt. Oder dass er sich selbst schlicht | |
das Dach eines Modellhauses auf den Rücken schnallt, für Fotos. "Home to | |
go" heißt der Bilderzyklus, in dem nicht viel passiert, der aber trotzdem | |
vielfältige Assoziationen weckt. "Mich interessiert die Komplexität in den | |
simplen Dingen", sagt Paci. Das Einfache ist näher dran an der Realität. | |
Vieles in Pacis Kunst dreht sich um die Themen Migration, Heimat, | |
Identität. Im Jahr 1997 floh der Künstler mit seiner Frau und seinen zwei | |
kleinen Töchtern vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Albanien nach | |
Italien. Paci hatte dort bereits in den frühen 90er-Jahren als Einwanderer | |
ohne Aufenthaltsgenehmigung gelebt. Heute besitzt er die doppelte | |
Staatsbürgerschaft. In seinem Video "After the wall there are some walls" | |
schipperte Paci 2001 noch einmal in einem Boot über die Straße von Otranto, | |
jene Meerenge, über die albanische Migranten nach Italien kommen. Der | |
Künstler füllte Meerwasser in Plastikkanister und musste sich dabei die | |
rassistischen Anwürfe vom italienischen Bootsbesitzer und von | |
Wasserschutzpolizisten gefallen lassen. | |
Das Video wird nun in Hannover auf die 80 gefüllten Plastikkanister | |
projiziert. Wegen der Lichtbrechung erscheint der Film auf der Rückseite | |
der Kanister als abstraktes Wechselspiel bunter Flecken. Das Bild hat sich | |
aufgelöst - so wie nach einer Weile die Erinnerung an die Meerespassage | |
verwischt. Oft findet man in Pacis Arbeiten diese bestimmten | |
Spannungsmomente, in denen die Erzählung abrupt bricht und in eine andere | |
Geschichte hinübergleitet. Bei "After the wall …" ist es der Moment beim | |
Umschreiten der Kanisterwand. In seinem neuen Werk "Centro di permanenza | |
temporanea" ist es die Veränderung der Kameraperspektive: Eine | |
Menschengruppe marschiert über das Rollfeld eines Flughafens und steigt die | |
Treppe einer Gangway hinauf. In sympathisierender Nahaufnahme zeigt die | |
Kamera die Gesichter: ein Asiate, ein Afrikaner, eine Lateinamerikanerin. | |
United Colors of Migration. Die Kamera wechselt in die Totale und der | |
Betrachter erkennt, dass die Gangway ins Leere führt. Während um sie herum | |
ständig Maschinen starten und landen, verharren Pacis Protagonisten hilflos | |
auf ihrer Plattform. Die mehrfache Wiederholung der Schlusstotale | |
unterstreicht das Skurrile an der Situation: Für einen Moment scheinen sie | |
auf ihrem Podest zur Skulptur erhoben, diese Menschen, die sich nicht | |
bewegen können. Die keiner mehr abholt. | |
25 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Tim Ackermann | |
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