# taz.de -- Abschied von Zoran Djindjić | |
> Hunderttausende Menschen geben dem ermordeten serbischen Regierungschef | |
> in Belgrad das letzte Geleit. Der Trauermarsch ist zugleich eine | |
> Demonstration für Demokratie, Reformen und die Annäherung an Europa und | |
> gegen den Nationalismus | |
aus Belgrad ANDREJ IVANJI | |
Totenstill war es am Samstag in Belgrad. Für einen Tag hörte der Puls der | |
Großstadt auf zu schlagen. Das Zentrum war für den Verkehr gesperrt. | |
Hunderttausende zogen schweigsam bei kaltem, sonnigem Wetter zum | |
Karadjordjev Park genannten Hügel, von dem aus die riesige | |
serbisch-orthodoxe Kirche des Heiligen Save die Innenstadt dominiert: ein | |
neues, im byzantinischen Stil errichtetes Gebäude, das das moderne Serbien, | |
das Djindjić verkörperte, an seine Wurzeln und Tradition mahnen sollte. | |
In der Kirche versammlten sich vor dem Sarg des ermordeten serbischen | |
Regierungschefs Zoran Djidnjić seine politischen Freunde und Feinde sowie | |
Delegationen aus aller Herren Ländern. EU-Kommissionspräsident Romano | |
Prodi, Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Deutschlands | |
Außenminister Joschka Fischer und viele anderen wollten mit ihrer | |
Anwesenheit Serbien Beileid und Unterstützung nach dem tödlichen Anschlag | |
auf den prowestlichen Reformpremier zusichern. Ihr seid nicht allein, | |
sollte die Botschaft der EU-Vertreter lauten. | |
Am Grab Djindjić’ sahen die Serben deutlicher als je zuvor, wie schnell es | |
der energische Politiker geschafft hatte, die Kluft zwischen dem unter | |
Milošević isolierten, international verhöhnten Serbien und Europa zu | |
überbrücken. Im krassen Gegensatz dazu stand der Ablauf der Beerdigung. Die | |
höchsten Würdenträger der orthodoxen Kirche, angeführt vom greisen | |
Patriarchen Pavle, erwiesen Djindjić die letzte Ehre. Ausgerechnet der | |
nationalistische Hardliner Bischof Anfilohije wurde von der Kirche | |
bestellt, die Zeremonie zu leiten. Die Gäste mussten sich Anspielungen auf | |
die Verbrechen der Nato und der Kosovo-Albaner gegenüber den Serben | |
anhören. | |
Der kilometerlange Trauermarsch von der Kirche zum Friedhof war | |
überwältigend. Wie früher, als Djindjić lautstarke Massendemonstrationen | |
gegen das Milošević-Regime anführte, folgten ihm hunderttausende – zum | |
letzten Mal. Nur Blasmusik und ein Hubschrauber waren zu hören. Nie zuvor | |
war eine Demonstration in Belgrad so massiv und so still, und nie zuvor | |
waren Trauer, Empörung und Wut so groß gewesen. Und der Trauermarsch war | |
eine Demonstration: für Demokratie, für Reformen, für Europa und gegen die | |
konservativen, nationalistischen Kräfte, die wieder an die Macht kommen | |
wollen. | |
„Die Mörder wollten den Glauben und die Hoffnung unseres Volkes töten“, | |
sagte Serbiens Justizminister Vladan Batić vor dem offenen Grab. Sie hätten | |
es nicht geschafft, versicherte er, und erklärte nicht nur den Mördern des | |
Premiers und ihren Auftraggebern einen unerbittlichen Kampf, sondern allen | |
politischen Kräften, deren nationalistische Ideologie zu einem solchen | |
Anschlag geführt habe. | |
Die Sicherheitsvorkehrungen waren massiv. In den Hauptstraßen stand alle | |
fünfzig Meter ein Polizist. Schwer bewaffnete Spezialeinheiten mit | |
Gesichtsmasken vermittelten das Gefühl des Ausnahmezustands. Nach wie vor | |
steht Serbien im Krieg mit der Mafia und den politischen Nachfolgern von | |
Slobodan Milošević. | |
Die serbisch-montenegrinische Botschafterin in Mexiko, Vesna Pesić, die | |
gemeinsam mit Djindjić unzählige Massenproteste gegen Milošević anführte, | |
schrieb in ihrem Nachruf: „Die Mörder haben noch immer hohe Ränge als | |
Generäle und Obristen, die sie deshalb bekommen haben, weil sie gemordet | |
hatten.“ | |
meinung und diskussion SEITE 13 | |
17 Mar 2003 | |
## AUTOREN | |
ANDREJ IVANJI | |
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