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# taz.de -- 10 Jahre Nordirland-Abkommen: Einer der Brüder muss gehen
> Am Karfreitag 1998 wurde das Belfaster Abkommen unterzeichnet. Nordirland
> erfährt inzwischen einen Aufschwung. Daran wird auch der Abschied von
> Premier Paisley nichts ändern.
Bild: Einst Todfeinde, weihen sie heute gerne zusammen Shopping Malls ein. Ian …
BELFAST taz Die "Kicherbrüder", so werden sie in Nordirland genannt. Ian
Paisley, Protestantenpfarrer und Chef der Demokratischen Unionistischen
Partei (DUP), und Martin McGuinness von Sinn Féin, dem politischen Flügel
der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), leiten seit knapp einem Jahr die
nordirische Regierung. Die Fotos der beiden, wie sie bei der Einweihung der
Filiale eines schwedischen Möbelhauses in Belfast kichernd auf einem Sofa
sitzen oder bei der Eröffnung eines Einkaufszentrums miteinander scherzen,
symbolisieren die veränderte Atmosphäre in der ehemaligen Krisenprovinz.
Es war ein langer Weg vom "Belfaster Abkommen", das am Karfreitag vor zehn
Jahren unterzeichnet wurde, bis zur Mehrparteienregierung, die im vorigen
Mai gebildet wurde. Es ist noch kein Jahr her, dass Paisley zum ersten Mal
direkt mit einem Sinn-Féin-Mitglied gesprochen hat. Die Verhandlungen
mussten bis dahin durch Mittelsmänner geführt werden, die wie Laufburschen
zwischen den Büros hin und her eilten.
Doch inzwischen zeigt das Friedensabkommen auch im wirtschaftlichen Bereich
deutliche Wirkung. Belfast erlebt einen Bauboom. Neue Wohn- und
Bürogebäude, Einkaufszentren und Hotels, Bars und Restaurants entstehen,
Altbauten wurden saniert, Straßen und Plätze neu hergerichtet. Ursache des
Aufschwungs ist nicht zuletzt der Tourismus: Die Besucherzahlen nehmen
kontinuierlich zu. Wichtiger aber sind die zahlreichen Firmenansiedlungen
und die Zuwanderung von Menschen, die durch die niedrige Arbeitslosigkeit
angelockt werden.
Die innige Beziehung zwischen Paisley und McGuinness neigt sich nun
freilich dem Ende zu. Vor zwei Wochen kündigte der fast 82-jährige Pfarrer
seinen Rücktritt an, beim Parteitag im Mai wird er wohl gehen. Im Januar
ist er bereits als Chef der "Freien Presbyterianischen Kirche" abgelöst
worden, die er vor 51 Jahren gegründet hatte. Sein Rücktritt war nicht
freiwillig, genauso wenig, wie es seine Amtsniederlegung als
DUP-Vorsitzender und Premierminister ist - auch wenn alle beteuern, dass es
sein eigener Wunsch war. Die Fundamentalisten in Kirche und Partei nehmen
es ihm übel, dass er sich mit Sinn Féin eingelassen und obendrein seinen
Spaß dabei hat.
Paisleys Ankündigung, in Rente zu gehen, hat eine Flut von Elogen
ausgelöst. Der irische Premierminister Bertie Ahern nannte ihn einen
"ehrenwerten Giganten in der irischen Geschichte, der stets getan hat, was
er für richtig hielt". Aherns britischer Amtskollege Gordon Brown lobte
"Paisleys Mut" und meinte, sein "Einsatz und sein Engagement für die
Menschen in Nordirland verdient unsere Dankbarkeit". Browns Vorgänger Tony
Blair fügte hinzu: "Paisleys Beitrag zum Frieden war entscheidend und
bestimmend." Selbst Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams stimmte in den Chor
ein: "Ich möchte den positiven Beitrag loben, den Herr Paisley in letzter
Zeit geleistet hat."
Das sind erstaunlich wohlwollende politische Nachrufe auf einen Mann, der
nur zweimal in seinem Leben ja gesagt hat: einmal bei seiner Hochzeit im
Jahr 1956, das andere Mal im vorigen Mai, als er der Regierung unter
Beteiligung von Sinn Féin zustimmte. Dazwischen lagen 50 Jahre des Hasses
und der Demagogie.
Paisley ist verantwortlich für den Beginn des Nordirland-Konflikts. Als die
Bürgerrechtsbewegung Ende der Sechzigerjahre mit ihren moderaten
Forderungen nach katholischer Gleichberechtigung antrat, malte Paisley die
Apokalypse für den Unionismus an die Wand. Die IRA existierte damals nur
als Veteranenverein, aber die Angstmache wirkte. Protestantische Kommandos
griffen Bürgerrechtsmärsche an und verwüsteten katholische Viertel. In
dieser Atmosphäre begann die IRA, sich zu reorganisieren. Paisleys
Prophezeiung hatte sich selbst erfüllt, die Gewaltspirale war in Gang
gesetzt.
Auf dem Höhepunkt dieser "Troubles", wie der Krieg euphemistisch genannt
wurde, waren 15 Bataillone der britischen Armee alleine in Belfast
stationiert - mehr, als in den Kriegen im Irak und in Afghanistan zusammen
eingesetzt wurden.
In den folgenden 35 Jahren blieb Paisley die größte Hürde für eine
politische Lösung. Jeder vorsichtige Versuch eines Unionistenführers,
kleine Zugeständnisse zu machen, wurde von Paisley mit Judasrufen
quittiert. Seine Agitation zwang nacheinander vier nordirische
Premierminister zum Rücktritt, zuletzt David Trimble, der für seine
Unterschrift unter das Belfaster Abkommen vor zehn Jahren den
Friedensnobelpreis erhalten hatte. Für Paisley war dieses Abkommen, auf
dessen Basis die nordirische Regierung gebildet wurde, ein Teufelswerk.
Paisleys Ablehnung jeglicher Reformen trieb der IRA neue Mitglieder in die
Arme, und je stärker IRA und Sinn Féin wurden, desto stärker wurde auch
Paisley. Als seine DUP die bis dahin dominierende Ulster Unionist Party von
Trimble bei den britischen Wahlen 2005 überflügelt hatte, war er am Ziel.
Nun konnte er verhandeln, und da Sinn Féin bei denselben Wahlen die
Sozialdemokraten auf katholischer Seite als stärkste Partei abgelöst hatte,
musste er irgendwann auch mit der IRA-Partei verhandeln. Kein anderer
Unionistenführer wäre dazu in der Lage gewesen, denn der wortgewaltige
Pfarrer hätte das verhindert.
Um Paisleys Gesicht zu wahren, formulierten die Regierungen in London und
Dublin im Jahr 2006 das Belfaster Abkommen etwas um und nannten es
"Abkommen von St. Andrews". Es enthält nicht viel anderes als frühere
Abkommen in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren, die allesamt von Paisley
torpediert worden waren. Diesmal, 3.500 Tote später, unterschrieb er,
nachdem die IRA ihre Waffen abgegeben, das Kriegsende erklärt und ihre
Unterstützung für die Polizei zugesagt hatte.
"Wer hätte sich getraut vorherzusagen", fragte McGuinness auf dem
Sinn-Féin-Parteitag im Februar, "dass Ian Paisley und ich gemeinsam eine
Regierung im Norden führen werden? Es hat einen Nutzen für alle Menschen,
die hier leben, wenn dieses Abkommen funktioniert. Es hat bisher
funktioniert, und es wird auch weiterhin funktionieren."
Was kommt nach Paisley? Es gilt als sicher, dass sein bisheriger
Stellvertreter, Peter Robinson, sein Nachfolger wird. Der 59-Jährige hat
seine Basis in der urbanen protestantischen Arbeiterklasse, während Paisley
den ländlichen, religiös-fundamentalistischen Flügel vertritt. Robinson ist
ein Technokrat, bei seinen Auftritten mit McGuinness wird es kein Kichern
geben. "Wir werden nicht zusammen angeln gehen", sagte er.
Das Misstrauen sitzt noch tief. Um es abzubauen, wollte London ursprünglich
eine "Opferkommission" nach Vorbild der südafrikanischen "Truth Commission"
ins Leben rufen. "Die Terroristen auf beiden Seiten müssen anerkennen, dass
sie viel Leid zugefügt haben", hieß es vor zwei Jahren. Seitdem hört man
nichts mehr davon. Offenbar ist der Regierung klar geworden, dass dann auch
ihre Rolle zur Sprache kommen müsste. Britische Soldaten haben in zahllosen
Fällen gemeinsame Sache mit protestantischen Terroristen gemacht, auf ihr
Konto gehen mindestens 120 Morde.
Noch sind die protestantischen paramilitärischen Organisationen bis an die
Zähne bewaffnet, und auf der Gegenseite haben die Dissidenten der "Real
IRA" Anfang Februar gedroht, dass sie eine neue Offensive starten werden.
Eine Rückkehr zum bewaffneten Kampf ist jedoch ausgeschlossen, dafür fehlt
die Unterstützung der Bevölkerung.
Selbst die Queen kommt
Ob die Mehrparteienregierung mittelfristig Bestand haben wird, ist dagegen
nicht sicher. Sie steuert gerade auf eine Krise zu. Sinn Féin will, dass
die Zuständigkeiten für Polizei und Justiz im Mai von London auf Belfast
übertragen werden, doch die DUP winkte ab: Es sei viel zu früh, um
Exterroristen Polizei und Justiz anzuvertrauen.
Diese Streitigkeiten tun dem Optimismus in Nordirland aber keinen Abbruch.
Das deutlichste Zeichen für den Wandel ist der morgige Besuch der Königin.
Sie wird in Belfast das "Maundy Money" an Bedürftige verteilen: Jeder
Beschenkte erhält eine Summe Geldes, die der Zahl der Lebensjahre des
Monarchen in Pence entspricht - ein Relikt aus dem 13. Jahrhundert, als die
Queen auch noch die Füße der Untertanen wusch. Es ist das erste Mal, dass
Elisabeth ihren Besuch in Nordirland vorher angekündigt hat. Bisher hatte
man von ihren Stippvisiten erst erfahren, als sie schon wieder weg war.
18 Mar 2008
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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