# taz.de -- Listen der Linken: "Wir sind keine Einheitsergebnis-Partei" | |
> Manfred Sohn Frontmann der Niedersachsen-Linken erklärt die Relevanz von | |
> Karl Marx - und welche Rolle er im Landtagswahlkampf spielen wird. | |
Bild: Viel Kopf, viel Bart, kaum Körper: Karl Marx-Denkmal in Chemnitz. | |
taz: Herr Sohn, darf man der neuen niedersächsischen Doppelspitze der | |
Linken gratulieren – angesichts magerer 76 Prozent für Sie und 61 Prozent | |
für Ursula Weisser-Roelle? | |
Manfred Sohn: Ich habe mich über die taz-Schlagzeile „Misstrauensvotum | |
gegen Sohn“ sehr gefreut. Wenn 76 Prozent Zustimmung ein Misstrauensvotum | |
bedeutet, dann hätte ich so eins gern täglich oder stündlich. Wir sind | |
keine Einheitsergebnis-Partei, sondern ein lebhaft streitender Laden fern | |
von jedem Personenkult. 76 Prozent Zustimmung sind für uns richtig gut. | |
Trotzdem zeigen die erwähnten Ergebnisse, dass Teile der Partei nicht | |
hinter dieser Doppelspitze stehen. Wie wollen Sie auf dieser Basis breite | |
Zustimmung unter den Wählern erreichen? | |
Wir sind beide mit unserem Ergebnis zufrieden und hauen den Wahlkampf | |
zusammen durch. | |
Wo nehmen Sie angesichts des fatalen Bundestrends der Linkspartei den | |
Optimismus her, in Niedersachsen mit sechs bis acht Prozent ins Ziel zu | |
kommen? | |
Solche Trends sind sehr schnelllebigm, und bis zur Wahl ist noch ein halbes | |
Jahr Zeit. Was mich am meisten ermutigt ist, dass gerade in der Krise viele | |
Leute aus dem gewerkschaftlichen aber auch aus dem ökologischen aber auch | |
sozialdemokratischen Lager zu mir gekommen sind und mir gesagt haben: Reißt | |
euch zusammen! Wir brauchen euch im Landtag, sonst rutschen SPD und Grüne | |
noch weiter nach rechts. | |
Mit welchen Themen werden Sie in den Wahlkampf ziehen? | |
Ich sehe drei Schwerpunkte: Es gibt in Niedersachsen über 100.000 Menschen, | |
die Vollzeit arbeiten und trotzdem ergänzend auf Hartz IV angewiesen sind. | |
Land und Kommunen können etwas dagegen tun, indem sie Aufträge nur an | |
Firmen vergeben, die einen Mindestlohn von 10 Euro bezahlen. Zweitens: | |
Rings um Niedersachsen wurden Studiengebühren überall abgeschafft. Wir | |
dürfen keine Insel sein, auf der Studierende eine Art Sondersteuer fürs | |
Studium bezahlen. Zum Dritten darf Niedersachsen nicht das Atomklo für die | |
ganze Nation werden. Wir pochen darauf, dass Gorleben aus dem Topf kommt, | |
weil wir spätestens seit Asse wissen, dass Salz ungeeignet für die Lagerung | |
von Atommüll ist. | |
Darauf kann ein Bundesland nur begrenzt Einfluss nehmen. | |
Niedersachsen kann da eine Menge machen. Es kann sich etwa weigern, | |
Gorleben-Transporte zu schützen, weil dieser Schutz zu teuer ist. Das Land | |
muss die Fantasie, die es aufgebracht hat, den Atomwiderstand zu | |
unterdrücken, dafür verwenden, ihn fortan zu fördern. | |
Die Linke will einen Regierungswechsel durch das Tolerieren einer | |
rot-grünen Mehrheit befördern – ein Modell, das vor allem die SPD scheut. | |
Neben dem Worst Case – dass wir nicht wieder in den Landtag einziehen – | |
gibt es auch einen Best Case, der gar nicht Regierungsbeteiligung bedeutet. | |
Er besteht darin, dass die Kräfte links von der Union so stark werden, dass | |
sie sich eine rot-grüne Regierung und dazu eine kräftige linke Opposition | |
leisten können. | |
Sie verharren also lieber in der Opposition, als in einer Regierung Ihre | |
Politik umzusetzen? | |
Wir würden am liebsten jenseits der Kabinettsdisziplin auf eine rot-grüne | |
Regierung Druck ausüben. Aber wenn das Wahlergebnis das nicht hergibt, | |
schließen wir andere Modelle bewusst nicht aus. | |
Also auch keine Koalition? | |
Auch die nicht. Wir klären das nach der Wahl – und wären im Fall der Fälle | |
ein ungemütlicher Verhandlungspartner. Egal, wie die Konstellation nach der | |
Wahl aussieht: Ohne die Linke wird eine Linksentwicklung in Niedersachsen | |
nicht möglich sein. | |
Zu ihrer Person: Sie sind bekennender Marxist und bieten damit dem | |
politischen Gegner eine denkbar breite Angriffsfläche. | |
Soweit kommt es noch, dass man sich wegen Marx verstecken soll. Dazu habe | |
ich keine Lust. Marx ist nach allen Umfragen noch immer eine der | |
geachtetsten Persönlichkeiten der deutschen Geistesgeschichte. | |
Ihnen hängt das Zitat nach, „dass die DDR über 40 Jahre der friedlichere | |
und sozial gerechtere Teil Deutschlands war“. Eine Position, die Sie noch | |
heute ungeschmälert vertreten? | |
So ungeschmälert habe ich das nie vertreten. Ich habe zu dieser Äußerung | |
von Hans Modrow gesagt, dass er bezogen auf Soziales und Krieg und Frieden | |
gar nicht so falsch liegt. In meinem Buch „Der dritte Anlauf“ habe ich | |
skizziert, dass in der DDR 1989 zu Recht alles in die Grütze ging, weil die | |
Lehre der Pariser Kommune nicht beachtet wurde: dass Sozialismus nur mit | |
dezentralen Strukturen funktionieren kann. | |
Wie fließt Ihre marxistische Grundhaltung in die praktische | |
parlamentarische Arbeit ein? | |
Wir wollen nicht wie die SPD und Grüne Everybody’s Darling sein. Ein | |
marxistischer Ansatz ist, dass das nicht funktionieren kann in einer | |
Gesellschaft, die nach wie vor von Interessengegensätzen geprägt ist. Ich | |
habe ja gar nichts dagegen, wenn sich Unternehmer dafür einsetzen, dass ihr | |
Profit zu Ungunsten des Lohnes steigt. Nur stehen wir da klar auf der | |
anderen Seite der Gewerkschaften, der Angestellten und Arbeiter, fordern | |
höhere Mindestlöhne, die selbstverständlich die Gewinne schmälern. | |
3 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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