# taz.de -- Die Wahrheit: Aber hallo, Hallo! | |
> Zeit, eine Lanze zu brechen. Zur Verteidigung eines geschmähten und | |
> verleumdeten Wortes, in dem die herrschaftsfreie Gesellschaft anklingt. | |
Bild: Namibier grüßen gern mit Hallo. Ob namibische Pinguine das auch können… | |
Es wird Zeit, eine Lanze zu brechen. Für ein Wort, das jeden Tag unter | |
neuen Schmähungen zu leiden hat, das verleumdet wird von speckig glänzenden | |
Bildungshubern, von blutleeren Begrüßungsfaschisten, von sexuell | |
ausgezehrten Studiendirektorinnen im Bayerischen oder Berliner Stilaposteln | |
mit abgestorbenem Werte-Sensorium. Was hat euch "Hallo" jemals getan? | |
Kein Wort ist so unschuldig. "Hallo Hitler" als Parteigruß der Nazis - | |
unvorstellbar! Oder: "Hallo deutsches Volk, kämpft bis zum Tod" - als | |
Parole undenkbar. Im "Hallo" klingt eine Ahnung von der herrschaftsfreien | |
Gesellschaft an. "Hallo", der Gruß der Humanisten! "Hallo, Herr | |
Generaldirektor", "Hallo, ausgebeuteter Arbeiter" - sofort wird ein | |
gemeinsamer Windkanal etabliert, ein dichtes Netzwerk gehäkelt; die | |
Seeanemone Semantik wirft ihre Fangarme aus und zieht uns hinein in eine | |
Welt anlassloser Freude. | |
Kein Wort ist so musikalisch. Nur winzige Halbtonschritte genügen, um ihm | |
neue Bedeutungsnuancen abzuzwingen. Da ist das neugierige, sehnsuchtssatte | |
"Hallo?" der Angerufenen, die sich auf Klatsch oder verbale Zärtlichkeiten | |
freuen; da ist das kecke, fast anzügliche "Hallóoh!", das dem potenziellen | |
Sexualpartner schon akustisch zu verstehen gibt, welche geheimen | |
Möglichkeiten der Abend bietet. | |
Da ist aber auch das scharf gepresste "Háaaallo Leeuuute" der Sozial- und | |
Jugendarbeiter, das noch die größten Quatschköpfe zur Räson bringt; das | |
urban-fragende, die Tonleiter streng nach oben stapfende, mit Verve ans | |
Trommelfell pochende "Hallóooo, gehts noch", das selbst ugandische | |
Kindersoldaten einschüchtert, ihr Fehlverhalten schmerzfrei sanktioniert. | |
Die Vernunft selbst spricht im "Hallo" zu uns! Noch als Füllsel macht es | |
sich gut: "Aber hallo!" - wie viel inniger, festlicher klingt das als das | |
tumbe "Okay", das devote "Aha", das debile "Mh-hm". | |
Kein Wort ist so universell. "Hallo" - das wird überall verstanden, | |
unabhängig von Geschlecht, Ausbildung oder Pigmentierung. Ob Buschmann oder | |
Busenpräsidentin - die halbe Erde grüßt so am Telefon, ein deftiges, froh | |
herausgekrähtes "Hallo" verbindet die Völker. Wie lächerlich anmaßend | |
dagegen "Guten Tag", gar "Grüß Gott" paradieren - wie zwei aufgeblähte | |
Provinzmatronen wackeln sie einher, die glauben, mit ihrer scheußlichen | |
Landhausmode beim Tee mit dem UN-Generalsekretär eine gute Figur abzugeben, | |
während ihnen die billige und übelriechende Schminke in großen Flocken von | |
der ausgedörrten, entzündeten Gesichtshaut und stracks in ihre Tassen | |
bröselt. | |
Und welch primitive magische Vorstellungen diesen Grüßen innewohnen! Die | |
Guten-Tag-Sager glauben, sie könnten durch die Kraft des blanken Wunsches | |
die Geschicke des Tages lenken; die restlos enthirnten Grüßgötter schenken | |
sich sogar den guten Wunsch, sondern befehlen gleich, einem unerreichbaren | |
Geistwesen die Grüße abzustatten, die sie selbst uns vorenthalten. Wer so | |
grüßt, will betrügen. Von "Hi!" und "Na?" wollen wir ganz schweigen! Diese | |
gedankenlos hingehauchten Unverbindlichkeiten, diese kalten, kraftlosen und | |
zum funktionalen Bellen erstarrten Schrumpelgrüße! | |
Und was für Gegenargumente bringen uns die Gegner des "Hallo"? "Unhöflich" | |
sei das Wort, schnatterte es aus der von jahrzehntelanger Gedanken- und | |
Liebesarmut verdorrten Passauer Rektorin, die es ihren Schülern an der | |
St.-Nikola-Schule neulich verbieten wollte. "Grüß Gott, du alte Pottsau" - | |
ist das die Höflichkeit, die Sie sich wünschen, Frau Direx? | |
"Hallo" sei unpersönlich, sagen die Mandarine des Benimms und halten sich | |
ihre parfümierten Seidentücher vors bemalte Antlitz. Ah, welche Wohltat | |
aber liegt in dieser Unpersönlichkeit! Während ein nicht enden wollender | |
Güllestrom aus personalisierter Werbung, individuellen Anlagestrategien und | |
maßgeschneiderten Anzügen auf uns herabregnet, erlaubt uns das kleine, | |
feine "Hallo", Achtung zu zeigen ohne Ansehen der Person! Jeder Mensch wird | |
gleich und gerecht behandelt vom "Hallo", niemand bevorzugt, jedermann | |
gleichermaßen geliebt und geehrt. | |
Sagen wir "Hallo" zum "Hallo"! Und grüßen wir so ein besseres Morgen. | |
18 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Leo Fischer | |
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