# taz.de -- Erfolg in Metaphern | |
> EUROPA Der niedersächsische Grünen-Politiker und Datenschutz-Aktivist Jan | |
> Philipp Albrecht ist mit 26 Jahren der jüngste Deutsche im Europäischen | |
> Parlament. Dennoch wird er gehört. Ein Ortstermin | |
AUS STRASSBURG JAN ZIER | |
Das Parlament ist nicht der Ort für große Debatten. Jedenfalls nicht in | |
Straßburg. Exakt eine Minute dauerte im September der erste Auftritt des | |
grünen Abgeordneten Jan Philipp Albrecht im Europäischen Parlament. Das | |
übliche Maß für eine Rede dort. Auf seinem schlabbrigen T-Shirt, das der | |
26-Jährige für diesen Auftritt gewählt hat, steht „Raven für Reformen“.… | |
ein Jackett darüber hat er verzichtet, auf eine Rasur auch. Im Plenum | |
zugehört hat seinerzeit kaum jemand, vielleicht drei Dutzend | |
Parlamentarier. Albrechts Thema: Das umstrittene Swift-Abkommen der EU mit | |
Amerika zur Weitergabe von Bankdaten zur „Terrorbekämpfung“. Eine | |
abgelesene, indes kämpferische Rede. | |
Am Montag soll der EU-Ministerrat über den Vertrag entscheiden, Albrecht | |
ist ein entschiedener Gegner des Abkommens. Und mittlerweile wird er | |
gehört: Von Spiegel online, von der Financial Times, der Frankfurter | |
Allgemeinen, selbst von der FDP. Die taz erhob Albrecht gar zum | |
„Innenexperten“. Das, sagt er, sei doch etwas „dick aufgetragen“. | |
Vor einem Jahr saß der Mann aus Wolfenbüttel noch im Bundesvorstand der | |
Grünen Jugend, studierte Jura. Er ist „eher ein Linker“, findet er, sagt | |
aber auch Sätze wie: „Man kämpft um Mehrheiten, nicht nur um das reine | |
Gewissen“. Ins traditionelle Realo-Fundi-Schema der Grünen ist er nicht so | |
recht einzuordnen. | |
Auf Platz zwölf der niedersächsischen Grünen zog er im Sommer ins | |
EU-Parlament ein, sitzt dort als jüngster von 99 Deutschen, als einer von | |
drei Grünen unter 30. Das verschafft Albrecht – aber nur für kurze Zeit – | |
Aufmerksamkeit. Er selbst spricht lieber von „Verantwortung“. Dennoch: | |
Einer wie Albrecht ist ein klarer Fall für die Hinterbank. 736 Abgeordnete | |
hat das Parlament derzeit. Und es kennt sie kaum einer. „Im Grunde“, sagt | |
Albrecht, „ist hier jeder Hinterbänkler“. Außer vielleicht Daniel | |
Cohn-Bendit, der charismatisch-autoritäre Fraktionschef der Grünen im | |
EU-Parlament, der Alt-68er, der gerne auch mal ein wenig Chauvi ist. | |
Albrecht sitzt nur wenige Reihen hinter ihm – seines Nachnamens wegen. | |
Einmal im Monat treffen sie sich hier in „Stressburg“, wie die | |
Parlamentarier es nennen. Sie sitzen dann auf halber Strecke zwischen dem | |
alten Straßburg und Kehl, in einer riesigen hölzern eingefassten Kugel in | |
einem noch riesigeren Bau aus Glas und Stahl, in kantigen blauen Sesseln, | |
die im weißen Neonlicht ein wenig an das Parlament aus „Star Wars“ | |
erinnern. Fehlt nur, dass sie schweben. | |
Nur einmal am Tag kommen wirklich alle Abgeordneten zusammen: wenn über | |
alles abgestimmt wird, in hektischer Abfolge über Hunderte von Anträgen und | |
Änderungsanträgen befunden wird, die sich um große Fragen drehen, auf | |
Ziffern reduziert, deren Inhalte nur noch Eingeweihte dechiffrieren können. | |
In dieser Woche etwa die EU-Erweiterung, der Klimagipfel von Kopenhagen, | |
der Vertrag von Lissabon. | |
Albrecht ist einer, der alle diese grundsätzlichen Fragen diskutieren will, | |
eigentlich noch lieber in der UNO-Vollversammlung, aber die wird ja nicht | |
vom Volk gewählt. Das Europaparlament, sagt er, sei sein Traum. Weil er | |
hier die „Zukunft der Leute“ am meisten verändern könne. Er ist ein | |
„Europa-Fanatiker“. Maximal zwei Legislaturperioden will er bleiben, zehn | |
Jahre, das hat er seiner grünen Jugend versprochen. Und danach sein zweites | |
Staatsexamen machen. Womöglich reicht es dann noch für den nächsten Traum: | |
den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, in Straßburg gleich neben | |
dem Parlament angesiedelt. | |
Vorerst will er, wie er es nennt, aber noch „ein bisschen rumpunken“. Und | |
Schlabberlook tragen. Nur als er dieser Tage im St. Pauli-Shirt reden | |
wollte, haben sie ihn gebremst. Zu groß war die Gefahr, als Pirat zu | |
gelten. Das „Stockholm-Programm“ war für drei Minuten sein Thema, also der | |
Fünf-Jahres-Plan der EU zur Innen- und Rechtspolitik. Eine Debatte, das man | |
„kaum jemand vermitteln kann“, sagt Albrecht. Eine, bei der das | |
EU-Parlament künftig mitentscheiden darf. Albrecht hat für die Grünen | |
mitverhandelt, erreicht, dass es in der Resolution nicht länger heißt, | |
„Sicherheit“ und „Freiheit“ sollten „in Balance“ stehen. Erstere, s… | |
neue Mantra, ist nur noch Mittel der Freiheit. Albrecht sieht das als einen | |
seiner größten Erfolge. Als Wandel im Diskurs um die Terrorbekämpfung. Ein | |
metaphorischer Triumph, der sogleich gebloggt, getwittert wird, für You | |
Tube festgehalten. | |
Albrecht, sagt einer in Straßburg, „rockt das Haus“. Zu Hause in seiner | |
Vierer-WG in Hannover interessieren sie sich nicht so für solche Fragen. | |
Oder überhaupt für Politik. Aber sie sollen ihn ja „am Boden halten“, wie | |
er sagt, ihm beibringen, wie man noch über Kinofilme redet, wenn man nur | |
„Swift“ im Kopf hat. Ob er an dem Klischee des grünen WG-Bewohners hängt? | |
Albrecht zögert. | |
Auch der Bürgermeister von Wolfenbüttel, mit dem er gestern verabredet war, | |
will von Stockholm oder Swift nichts hören. Und lieber über EU-Fördertöpfe | |
reden. Albrecht nicht. Er hat davon auch keine rechte Ahnung. Er spricht | |
lieber mit Schülern. Das, sagt er, ist „cool“. | |
28 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
JAN ZIER | |
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