# taz.de -- „Der verarscht dich doch“ | |
> Er studierte mit Horst Jansson, Harry Rowohlt und Eckhard Henscheid | |
> bewundern seinen bizarren Humor. Trotzdem ist der Hamburger Künstler | |
> Heino Jaeger nie wirklich bekannt geworden. Heute wird im St. Pauli | |
> Theater eine Hommage für Jaeger gegeben. In der taz nord huldigen ihm | |
> drei Freunde | |
Interviews: VOLKER HUMMEL | |
taz: Herr Schamoni, hat sich Ihnen die Jaegersche Komik gleich beim ersten | |
Hören erschlossen? | |
Rocko Schamoni: Ja, ich habe mich gleich in Jaeger verliebt. 1990 lieh mir | |
ein Bekannter Vinyl-Weißpressungen mit Heino-Jaeger-Material. Als ich mir | |
die anhörte, ging ich gleich an die Decke, so bizarre Hörspiele hatte ich | |
nie zuvor gehört. Die Sachen waren aus seiner Spätphase, als er schon | |
leicht verrückt war. Das war so abwegig und bar jeder Pointe, dass es | |
niemals im Radio gelaufen wäre, und das gefiel mir. | |
Waren Sie dann enttäuscht, als Sie seine früheren Aufnahmen hörten? | |
Hätte ich ihn in den 70ern über seine Radiosendungen kennengelernt, hätte | |
ich ihn wohl für einen ganz normalen Gag-Vogel gehalten, einiges ist ganz | |
eindeutig NDR-Humor von 1978. Aber auch viele seiner älteren Sachen sind | |
absolut zeitlos. Wenn er groteske Situationen nimmt und sich dann | |
sprachlich mäandernd in den vollkommenen Wahnsinn hineinbewegt, kann man | |
nicht erkennen, aus welcher Zeit das stammt. | |
Interessiert Sie das grafische Werk von Heino Jaeger? | |
Bis vor zwei Jahren wusste ich nicht mal, dass er auch als Maler bedeutend | |
ist. Vor kurzem dann habe ich bei einer Ausstellung seine Bilder gesehen, | |
und seitdem ist sein Werk als darstellender Künstler für mich fast noch | |
wichtiger als seine Wortschöpfungen. Er lernte ja zeitgleich mit Horst | |
Jansson bei Alfred Mahlau an der Hamburger Kunsthochschule und hat einen | |
ähnlich genialischen und sicheren Strich wie Jansson, nur dass Jaeger | |
weitaus komischer, härter und tiefer mit seinen Sujets umging. Der hat | |
wirklich verrückte Sachen gemacht. Ich habe mir gerade eine Zeichnung von | |
ihm gekauft. | |
Warum ist Jaeger nicht berühmt geworden? | |
Er war nicht einzuordnen. Er hat sich verweigert und sich nicht | |
verständlich gemacht, er ist nicht in die großen Sendungen gegangen, | |
sondern hat nur seinen eigenen Kosmos bearbeitet. Er war nicht im | |
geringsten kompatibel mit den Marktmechanismen. Das ist natürlich | |
einerseits tragisch, aber auf der anderen Seite macht ihn das wahnsinnig | |
attraktiv und großartig. Das war jemand, der sich nicht hat verzehren | |
lassen. Dafür bewundere ich ihn sehr. | |
Stimmt es, dass Sie über Jaeger einen Film machen wollen? | |
Ja, seit ungefähr einem Jahr plane ich mit Lars Jessen, einen Spielfilm | |
über das Leben Heino Jaegers zu machen. Mir geht es dabei um eine ganz | |
bestimmte Zeit, in der sich die Wege vieler besonderer Hamburger Figuren | |
kreuzten, Menschen wie Norbert „Boxpinz“ Grupe, Wolfgang „Wolli“ Köhle… | |
Hubert Fichte und Heino Jaeger. In deren Umfeld etablierte sich zwischen | |
1970 und 1976 eine der wichtigsten Musikszenen Deutschlands. Das ist für | |
mich eine goldene und bislang noch unerzählte Ära deutscher Pop- und | |
Kulturgeschichte, in der wahnsinniges Material steckt. | |
*** | |
taz: Herr Pintschovius, wie haben Sie Heino Jaeger kennen gelernt? | |
Joska Pintschovius: Das war Mitte der 60er Jahre in Schleswig, wo wir beim | |
Landesmuseum arbeiteten. Er schlich damals immer mit einem urtümlichen | |
Mantel durch die Flure, der aus Krankenhausdecken während des Krieges | |
gemacht worden war. Irgendwann gingen wir dann mal gemeinsam essen. Er | |
wohnte in einem evangelischen Stift und beim ersten Treffen erzählte er von | |
seinem Nachbarn, der in seinem Raum ständig auf und ab ging und sagte: „Ist | |
das schrecklich.“ | |
Welche Wirkung hatte Jaeger auf Menschen? | |
Der normale Bürger war verunsichert von ihm. Man konnte ihn nicht in die | |
Künstler-Schublade stecken, denn er führte sich nicht auf wie einer. Er | |
sprach ganz normal mit einem, aber plötzlich schwante einem: Der verarscht | |
dich doch. Das war Jaeger selbst gar nicht bewusst. Ich war diesem Mann | |
richtiggehend verfallen, weil er unglaublich amüsant war. Man lernte durch | |
ihn, die Umgebung genauer zu beobachten – wir nannten uns „die | |
Röntgengeräte“. Das war zum Teil qualvoll, aber auch sehr bereichernd. | |
Diese Genauigkeit, auch in seinen Kritiken und Urteilen, verunsicherte die | |
Menschen. | |
Wie setzte er seine Beobachtungen künstlerisch um? | |
Im Grunde war er der begabtere Maler. Am Anfang stand bei ihm die Aufnahme | |
visueller Eindrücke, die er hinterher genau wiedergeben konnte, er hatte | |
die Gabe eines Eidetikers. Er malte also nicht nach der Natur, sondern nach | |
dem, was er sich im Kopf zusammengestellt hatte. Bei diesem Vorgang | |
entstanden dann auch die Geschichten. Sie sind keine Satiren, keine | |
Kabarett- Texte, sie sind noch nicht mal komisch im eigentlichen Sinne, es | |
sind wiedergegebene Bilder. | |
Arbeitete Jaeger an seinen Geschichten? | |
Überhaupt nicht, sie entstanden spontan und er hat sie auch nicht | |
aufgeschrieben. Das kam erst später, als er anfing, für den Rundfunk zu | |
arbeiten. Am witzigsten sind aber seine Stegreifgeschichten, die manchmal | |
nur so aus ihm heraussprudelten. Ich habe einige davon mitgeschnitten, die | |
müssen unbedingt auch noch veröffentlicht werden. | |
Was inspirierte Jaeger? | |
Merkwürdige Typen, Monomanen, Spinner. Mit denen kamen wir ja aufgrund der | |
Museumsarbeit oft in Berührung, wir besuchten sie und sahen und hörten | |
ihnen zu. Bei vielen Figuren seiner Radiosendung „Dr. Jaeger antwortet“ | |
weiß ich genau, welche Menschen als Inspiration dienten. Nur dass sie | |
Jaeger sie miteinander zu neuen und noch viel abstruseren Figuren verband. | |
Wonach suchten Sie auf Ihren gemeinsamen Reisen? | |
Es ging um Stimmungen. In Paris, London oder Belgien suchten wir nur ganz | |
bestimmte Gegenden auf, wir fuhren nur mit bestimmten Zügen. Die | |
Gründerzeit um 1900 war für uns der Höhepunkt der europäischen Kultur. In | |
diese tauchten wir stimmungsmäßig ein und beklagten die | |
Nachkriegspopeligkeit der Deutschen. | |
*** | |
taz: Herr Schulz, wann haben Sie Heino Jaeger für sich entdeckt? | |
Frank Schulz: Zum ersten Mal habe ich ihn in den 70er Jahren im Radio | |
gehört. Damals war ich wohl noch zu jung und dumm, jedenfalls hatte es da | |
noch nicht so recht gezündet. Dann gab es eine zweite Stufe Anfang der | |
80er, als mir ein Freund ein Jaeger-Stück auf Platte vorspielte. Da war ich | |
schon viel interessierter, bin dem aber auch noch nicht weiter | |
nachgegangen. Die dritte und entscheidende Stufe kam 1991. Ein damaliger | |
Kollege von mir war ein Riesenfan von Jaeger, und diese Neubegegnung führte | |
zu intensiverer Beschäftigung und letztlich Verehrung. | |
Gab es damals noch viele andere Fans? | |
Es gab mehrere kleine Zirkel, in dem Kassetten mit Aufnahmen seiner | |
vergriffenen Platten et cetera weitergereicht wurden. Sobald einer Feuer | |
fing, ergab sich sofort ein Kontakt zu einem anderen Jaeger-Fan, der wieder | |
einen anderen kannte und so weiter. | |
War das Publikum seiner Zeit zu beschränkt für den Humor Jaegers, wie | |
Eckhard Henscheid behauptet? | |
Möglich, aber ich würde das damalige Publikum nicht verteufeln, nur weil es | |
an den falschen Stellen lachte. Vielleicht muss man, um Jaeger vollständig | |
zu verstehen, in einen bestimmten Rezeptionsmodus geraten. Es gibt ja kaum | |
klassische Pointen bei ihm, da ist es möglich, dass das Gelächter mit | |
Verzögerung kommt – quasi nach einer gewissen Akkumulation. | |
Was fasziniert Sie an Jaegers Umgang mit Sprache? | |
Gesprochene Sprache ist für mich etwas sehr Vitales, etwas Umfassendes, hat | |
mit Libido und Schönheit und Heimat zu tun. Und Jaeger besaß die | |
erstaunliche Fähigkeit, Gehalt und Ton gesprochener Sprache genau | |
wiederzugeben. Er spulte sie aber nicht wie ein Aufnahmegerät ab, sondern | |
berücksichtigte alle geistigen und emotiven Aspekte des Gehörten und gab | |
sie durch Betonungen, Pausen, sanfte Übertragungen und leichte Verrückungen | |
auf eine Art und Weise wieder, dass man manchmal aus der Haut fahren möchte | |
vor lauter Begeisterung. | |
Hat Jaeger Ihr Schreiben beeinflusst? | |
Es ist eigentlich nicht so, dass ich Jaeger gehört und daraufhin „meinen | |
Stil“ entwickelt hätte. Vielmehr habe ich in ihm den wahren Meister dessen | |
entdeckt, was ich mit beschränkteren Mitteln tat – als Jugendlicher, als | |
ich mit einem Freund die Hagener Dorfhonoratioren nachäffte, wie später als | |
Debütant, als ich in „Kolks blonde Bräute“ meine Figuren durch ihre | |
Sprachgewohnheiten charakterisierte. Erst in „Morbus fonticuli“ habe ich | |
Heino Jaeger ganz bewusst als Leitmotiv eingearbeitet. | |
Was sehen Sie als Quelle von Jaegers Humor: Melancholie oder Lebensfreude? | |
Ich fürchte, als Quelle lässt sich das nicht trennen. Schließlich gibt es | |
für Lach- und Weintränen auch nur eine Drüse. | |
14 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
VOLKER HUMMEL | |
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