# taz.de -- Vom Gedächtnis einer Hochschule | |
> Eckart Krause hat die „Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte“ | |
> aufgebaut, der Historiker Rainer Nicolaysen widmet sich ihrer | |
> wissenschaftlichen Auswertung. Dafür erhalten die beiden heute den mit | |
> 15.000 Euro dotierten Max-Brauer-Preis | |
Es sei schon eine Art mentale Krankheit, sagt Eckart Krause. Tag für Tag | |
geht er in die Mensa, um die neuen Flugblätter der Studierenden | |
einzusammeln. Als er einmal nicht da ist, kommen die Studierenden zu ihm. | |
In Krauses Büro auf dem Hamburger Uni-Campus brennt abends Licht, da | |
klopfen sie von draußen ans Fenster und reichen ihm ihr Flugblatt rein. | |
Seine Sammlung ist mittlerweile auf 54 Ordner angewachsen. Sie datiert | |
zurück auf das Jahr 1967, und wer nur ein bisschen in den Ordnern blättert, | |
wird Krauses Befund recht geben müssen: „Früher wurde viel geschrieben“, | |
sagt er, „jetzt drängt sich das Design in den Vordergrund.“ Krause verweist | |
auf die Hamburger Hochschulzeitung: Längere Texte finden sich darin kaum | |
noch, dafür Bilder zufriedener Studenten. „Früher war die Zeitung schön | |
politisch“, sagt Krause, „jetzt ist sie ein reines Lifestylemagazin.“ | |
Seit 2003 leitet Eckart Krause die „Hamburger Bibliothek für | |
Universitätsgeschichte“, die neben hunderten von Materialordnern etwa | |
16.500 Bände umfasst. Das Besondere: Krause, der über 30 Jahre | |
Fachbereichsplaner für den Fachbereich Geschichtswissenschaften war, hat | |
die Bibliothek selbst aufgebaut, ehrenamtlich. Über vierzig Jahre lang hat | |
er alles gesammelt, was über die Universität Hamburg Auskunft gibt, deren | |
Telefonnummernverzeichnisse genauso wie die Schriften von Karl Rathgen, dem | |
einstigen Gründungsrektor. Dafür erhält Krause jetzt den Max-Brauer-Preis, | |
der von der Alfred-Toepfer-Stiftung für kulturelle oder wissenschaftliche | |
Verdienste in Hamburg vergeben wird. | |
Den mit 15.000 Euro dotierten Preis teilt sich Krause mit dem Historiker | |
Rainer Nicolaysen, Privatdozent an der Uni Hamburg und derzeit zudem | |
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der „Arbeitsstelle für | |
Universitätsgeschichte“ – mit deren Aufbau war im Jahr 2003 wiederum Krause | |
betraut. Das Zusammentragen sei ja das eine, sagt Krause mit Blick auf die | |
Bibliothek, „ein anderes deren wissenschaftliche Auswertung“. Die soll | |
Nicolaysen übernehmen, der sich bereits um die Universitätsgeschichte | |
verdient gemacht hat. Promoviert wurde er mit einer Biographie über den | |
Hamburger Politologen Siegfried Landshut, der Anfang der 1920er Jahre Marx’ | |
philosophisches Frühwerk wiederentdeckte und herausgab, das „Dritte Reich“ | |
im Exil überlebte, und 1951 den ersten Hamburger Lehrstuhl für | |
Politikwissenschaft übernahm. | |
Das Interesse für die Hochschule zur Zeit des Nationalsozialismus war es | |
auch, das Krause und Nicolaysen zusammenbrachte. Krause initiierte 1983 ein | |
Forschungsprojekt, in dem mehr als 50 Beteiligte aus verschiedenen | |
Wissenschaftsdisziplinen die Geschichte ihrer jeweiligen Fächer zwischen | |
1933 und 1945 erforschten. Die Publikation der durchweg ehrenamtlich | |
verfassten Beiträge fiel 1991 mit „Enge Zeit“ zusammen: An dieser | |
Ausstellung über vertriebene und verfolgte Universitätsangehörige wiederum | |
hatte Nicolaysen maßgeblich mitgewirkt. | |
Zuletzt entrissen die beiden gemeinsam Magdalene Schoch, die erste in | |
Deutschland habilitierte Juristin, dem Vergessen. Schoch, die siebzehn | |
Jahre an der Universität Hamburg als Privatdozentin gelehrt hatte, ging | |
1937 ins amerikanische Exil – erklärtermaßen, weil sie sich dem | |
nationalsozialistischen Unrecht nicht beugen wollte. Krause schlug sie als | |
Namenspatronin für einen der alten Hörsäle im Uni-Hauptgebäude vor. Und | |
Nicolaysen begab sich auf Spurensuche, die ihn zu dem Jazzmusiker Lennie | |
Cujé führte, einem Neffen von Magdalene Schoch, der heute in Washington im | |
Haus seiner Tante wohnt. Mit dessen Hilfe und im Rückgriff auf ihre im | |
Keller lagernden Aufzeichnungen gelang es ihm, das couragierte Leben von | |
Magdalene Schoch zu rekonstruieren. Wenn ihm die Toepfer Stiftung heute | |
auch dafür den Max-Brauer-Preis verleiht, wird Schochs Neffe anwesend sein: | |
Der Vibraphonist sorgt für die musikalische Gestaltung des Abends. | |
Zurzeit erforscht Nicolaysen die Geschichte der Uni Hamburg in der | |
Nachkriegszeit. Darüber nämlich sei so gut wie nichts bekannt – anders als | |
über die Anfangsphase der Hochschule, die 1919 als erste demokratische | |
Universität in Deutschland gegründet wurde; anders auch als über die Zeit | |
des Nationalsozialismus, die seit Krauses Projekt als erschlossen gelten | |
darf. Vielleicht, sagt Krause verschmitzt, wolle ja irgendwann irgendwer | |
wissen, was 1968 los gewesen sei: „Eine Studie darüber würde er derzeit | |
vergeblich suchen.“ MAXIMILIAN PROBST | |
2 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
MAXIMILIAN PROBST | |
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