# taz.de -- Von Pygmäen und Kannibalen | |
> Die Pygmäen, ursprüngliche Bewohner der Regenwälder Zentralafrikas, sind | |
> im Kongo der Willkür der Kriegsparteien ausgeliefert. Nun wollen sie | |
> Bürgerrechte | |
BRÜSSEL taz ■ Traditionell ist der Regenwald von Ituri im Nordosten der | |
Demokratischen Republik Kongo Siedlungsgebiet der Mambuti-Pygmäen, eines | |
der ältesten Völker Afrikas, das von Jagen und Sammeln im Urwald lebt. | |
Heute sind Ituris Wälder Kriegsgebiet. Der Machtkampf zwischen den | |
Rebellengruppen MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) und RCD-ML | |
(Kongolesische Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung) sowie diverser | |
irregulärer Milizen hat in den letzten Wochen Zehntausende in die Flucht | |
getrieben. Und es häufen sich Vorwürfe vor allem gegen die MLC, | |
Kannibalismus an Pygmäen zu begehen. Die RCD-ML behauptet, MLC-Kämpfer | |
würden Geschlechtsorgane der „Waldmenschen“ essen, um sich deren angebliche | |
übernatürliche Kräfte einzuverleiben. | |
Kapupu Diwa Mutimanwa, Leiter der ostkongolesischen Pygmäenorganisation | |
„Programme d’Intégration et de Développement du Peuple Pygmée au Kivu“, | |
sagt, dass sein Volk von allen Kriegsparteien als Zielscheibe gesehen wird. | |
„Die Pygmäen wissen nicht, welche Bewaffneten für welche Armee kämpfen.“ | |
Oft verwechseln Rebellen die Waldbewohner wegen ihrer zerrissenen Kleidung | |
mit irregulären Mayi-Mayi-Milizionären und erschießen sie, so Kapupu. Oder | |
es kommt ein ganzes Bataillon, erlegt einen Elefanten oder ein Dutzend | |
Antilopen und lässt sich dann nieder, sagt der Pygmäenführer. „Aber bei uns | |
reicht eine einzige Antilope aus, um ein ganzes Dorf zu ernähren. Wir | |
können nicht mehr jagen und sammeln, sondern wir müssen hungern.“ | |
Bereits im April 2002 stellte Kapupu bei einer Ituri-Reise fest, dass die | |
meisten Walddörfer der Pygmäen leer waren. Auf der Flucht vor den Kämpfen | |
verlassen die Pygmäen ihre Heimatwälder, wo sie jeden Baum und jede | |
Lichtung kennen, und ziehen in unbekanntes Gebiet, wo sie oft den | |
ansässigen Bantu-Bauernbevölkerungen hilflos ausgeliefert sind. | |
Pygmäen werden von vielen afrikanischen Völkern als Untermenschen | |
angesehen, die höchstens zur Versklavung und zur Zwangsarbeit auf den | |
Feldern taugen. Da die Mambuti-Pygmäen ihre Wohnorte im Wald häufig | |
wechseln, haben sie einen anderen Begriff von Landeigentum als die | |
Bauernvölker um sie herum. „Aber die Bantu benutzen uns als Späher“, so | |
Kapupu. „Wenn sie sehen, dass irgendwo Pygmäen leben, lassen sie sich | |
nieder. Wir wissen nicht, was sie wollen, und irgendwann überlassen wir | |
ihnen das Land, zumal wir ja keine Eigentumstitel haben. Man ruft den | |
Familienchef, gibt ihm Bier und dann ist die Sache erledigt. Die Verträge | |
sind ungerecht. Meinem Großvater sagten sie, sie wollten ein Jahr lang von | |
ihm Land pachten, aber dann blieben sie dauerhaft. Meine Organisation ging | |
vor Gericht. Ich gewann sogar, aber die Bantu legten in Kinshasa Berufung | |
ein.“ | |
Politisch sind Kongos Pygmäen marginalisiert. An den unzähligen | |
Friedenskonferenzen und Dialogrunden sind sie nicht beteiligt. Die | |
allerwenigsten Pygmäen haben überhaupt Personalausweise oder sind irgendwo | |
als Bürger registriert – ob die Bambuti im Kongo, die Baka in Kamerun, die | |
Aka in Gabun und der Zentralafrikanischen Republik oder die Twa in Ruanda, | |
Burundi und Ostkongo. In Kamerun mussten Pygmäen dem Bau einer Ölpipeline | |
weichen; in Burundi vertrieben Hutu-Rebellen sie aus dem Bergwald Kibira, | |
und im Ostkongo wurden sie aus dem Nationalpark Kahuzi-Biéga verjagt. | |
Die Gesundheit der Pygmäen leidet, wenn sie die Wälder verlassen. Zwar ist | |
dort die Sterblichkeit hoch, aber sie haben Zugang zu traditioneller | |
Pflanzenmedizin, die oft nur ihnen bekannt ist. Woanders müssen sie zahlen, | |
um zum Arzt zu gehen. Um Geld zu verdienen, wenden sich viele Pygmäen der | |
traditionellen Töpferei zu – oder der Prostitution. Sex mit einer | |
Pygmäenfrau, erklärt Kapupu, gilt bei vielen Völkern als medizinisch | |
heilsam. FRANÇOIS MISSER | |
14 Jan 2003 | |
## AUTOREN | |
FRANÇOIS MISSER | |
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