# taz.de -- berliner szenen Berlin Heinrichplatz (2) | |
> Glamour im Bateau Ivre | |
In weißen Zelten wurde gefeiert, getanzt und viel gelacht. Ich trug | |
glänzende Seide und Pailletten. Meine Dankesrede fiel ein wenig matt aus, | |
des schweren Weines wegen. | |
Nein, das stimmt natürlich alles nicht. In Wahrheit trug ich ein hellblaues | |
Hemd, für das mich der graumelierte Kunsttyp, dessen Namen ich nicht kenne, | |
bereits am Nachmittag gelobt hatte. Ich saß auch nicht in einem weißen | |
Zelt, sondern an der Theke des Bateau Ivre und las Glamour. Ein kleines, | |
schnuckeliges Heft voller irrealer Sätze. „Verreisen Sie noch vor dem | |
Frühstück“, empfahl da zum Beispiel die Seite mit den Schminktipps. „Diese | |
Beauty-Produkte versprechen Ferien-Feeling in feinster Form.“ Warum nicht | |
Schönheitsprodukte? Warum nicht Urlaubsgefühle? Weil Englisch | |
anschmiegsamer klingt. | |
Neben mir näherte sich ein Paar behutsam einander an. Zuerst gab es | |
verstohlene Berührungen der Beine unter den Hockern, allmählich schraubte | |
sich der Mann, mitteljung, gut aussehend, auf seinem Hocker immer weiter in | |
ihre (brünett, hübsche Brille, kleine Haken auf der Nase) Richtung. Bis sie | |
schließlich vis-à-vis saßen und seine Beine die ihren schon fast im Griff | |
hatten. Man kennt das. Die nächsten Übungen sind die wie versehentlich | |
erscheinenden Berührungen der Arme beim Reden, und irgendwann lässt er oder | |
sie ihre oder seine Hand ganz liegen. Auf der anderen Seite neben mir blies | |
jemand den staubgrauen Rauch von Zigarillos in die Luft. | |
Es war kurz nach halb zwei in der Nacht. Ich begann, mich müde und etwas | |
einsam zu fühlen. Ich legte die Glamour beiseite, ging zu den Toiletten und | |
wusch mir nachher mit seifenfreier Waschlotion die Hände. Dann wurde es | |
Zeit, schlafen zu gehen. RENÉ HAMANN | |
22 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
RENÉ HAMANN | |
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