Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Pensionär de luxe
> Die Erregung über Florian Gersters Abfindung ist berechtigt. Wer sich
> über aufgestiegene Kleinbürger wie den Exchef der Bundesanstalt für
> Arbeit echauffiert, der urteilt über die eigene soziale Gruppe
VON ULRIKE HERRMANN
Florian Gerster müsste man sein – so denken alle. Gestern wurde er vom
Kabinett entlassen, und nun geht das Kassieren los: Zunächst erhält der
Exchef der Arbeitsämter drei Monate lang sein Normalgehalt von monatlich
20.833,35 Euro. Danach, drei Jahre lang, geht es halbiert weiter, wenn
Gerster keinen neuen Job annimmt. Insgesamt beläuft sich die Abfindung auf
427.000 Euro. Das hätte jeder gern fürs Nichtstun.
Zumal es echtes Nichtstun ist: Anders als der normale Arbeitslose muss sich
Florian Gerster nicht permanent im Jobcenter melden; niemand schickt ihn in
unergiebige Trainingsmaßnahmen oder verlangt, dass er zehn sinnlose
Bewerbungen pro Monat aufsetzt. Gerster ist ein Arbeitsloser de luxe.
Anschließend steigt er zum Pensionär de luxe auf: Weil er zehn Jahre lang
Sozialminister in Rheinland-Pfalz war, darf Gerster mit etwa 8.000 Euro
Ruhegeld im Monat rechnen. Obwohl er als Beamter nicht in die
Pensionskassen eingezahlt hat. Durchschnittsrentner hingegen, die 45 Jahre
lang Beiträge abgeführt haben, erhalten nur etwa ein Achtel der
Gerster-Pension. Ist das gerecht? Oder ein Skandal? Man kann kaum noch Bus
fahren, ohne dies diskutieren zu müssen.
Wenn es ein Skandal ist, dann ist es jedenfalls kein Gerster-Skandal –
sondern trifft die gesamte politische Klasse: Der Exchef der Arbeitsämter
wird finanziell behandelt, als wäre er ein geschasster Bundesminister. Und
dies ist er faktisch auch, denn weder Gerster selbst noch die
Öffentlichkeit hat ihn je wie einen normalen Behördenleiter betrachtet.
Verdienen also deutsche Minister zu viel? Haben sie zu dolle Pensionen? Und
wie steht es mit dem Bundeskanzler? Die Betroffenen haben eine eindeutige
Antwort; sie bemitleiden sich selbst: Wenn sie Manager wären, dann würden
sie viel mehr verdienen!
Das stimmt, da braucht es nicht viel Recherche. Die IG Metall
veröffentlicht gerade in Anzeigen, wie viel die Vorstände großer deutscher
Unternehmen kassieren, um Stimmung für ihre bescheidene Streikforderung von
4 Prozent Lohnzuwachs zu machen.
Und so ist nun überall nachzulesen, dass ein DaimlerChrysler-Chef 50,8
Millionen Euro bekommt; bei Siemens sind es immerhin noch 22 Millionen
Euro. Da stellt sich natürlich die Frage, die sich unsere Politiker auch zu
stellen scheinen: Ja, warum sind sie nicht alle Manager geworden, wenn es
in der Wirtschaft doch so viel lukrativer zugeht?
Die bittere Antwort: Sie hätten keine Chance gehabt. Nicht weil sie dumm
sind oder nicht leistungsstark – sie kommen fast alle aus der falschen
Schicht. Die meisten von ihnen sind ehemalige Kleinbürger oder bestenfalls
untere Mittelschicht.
Schröders Vater war Kirmeshilfsarbeiter und ist im Krieg gefallen, die
Mutter brachte ihre fünf Kinder als Putzfrau durch. Oskar Lafontaine stammt
aus einer katholischen Arbeiterfamilie. Der Vater von Rudolf Scharping ging
mit seiner Möbelfirma Pleite, der Vater von Edelgard Bulmahn war
Flussschiffer. Die Eltern von Heidemarie Wieczorek-Zeul besaßen ein
Lebensmittelgeschäft. Nun sind solche Biografien vielleicht noch zu
erwarten bei Sozialdemokraten – aber in anderen Parteien sammelt sich
ähnliches Personal.
Joschka Fischers Eltern flüchteten aus Ungarn, der Vater war Metzger, der
Sohn hat bekanntlich nicht studiert. Auch Helmut Kohl stammte aus eher
bescheidenen Verhältnissen: Sein Vater war Steuersekretär am Finanzamt
Ludwigshafen. Insofern handelt es sich bei Friedrich Merz eher um eine
gutbürgerliche Ausnahme, wenn er sich rühmt, dass bereits sein Großvater
als Bürgermeister amtierte.
Die Kleinbürger drängen in die Politik, weil sie instinktiv wissen, dass
sie nur dort aufsteigen können. Nur in Volksparteien ist es ein Vorteil,
aus dem Volk zu stammen: Sind doch die meisten Wähler auch Kleinbürger.
In der Wissenschaft oder im Management hingegen bleibt man unter sich; da
zählt neben der Leistung vor allem der bürgerliche Habitus, wie der
Soziologe Michael Hartmann ermittelt hat. Die obersten 3,5 Prozent der
Bevölkerung stellen: 89 von 100 Chefs der größten deutschen Unternehmen,
die Hälfte aller Professoren und mindestens 60 Prozent der Richter.
Wer oben ankommt, ob in der Politik oder in der Wirtschaft, kann immer
etwas. Doch wo die Fähigen in Deutschland landen – ob im Bundestag, in der
Vorstandsetage oder im Nirgendwo –, das entscheidet meist die Herkunft.
Knallhart.
Wenn sich die Wähler nun erregen, dass Bundesminister zu viel verdienen –
dann urteilen sie über sich selbst, über ihre eigene soziale Gruppe. Das
macht das Urteil nicht zum Vorurteil, im Gegenteil. Gleiche wissen meist
sehr gut, ab wann Ungleichheit unverträglich wird.
29 Jan 2004
## AUTOREN
ULRIKE HERRMANN
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.