# taz.de -- Es geht auch anders | |
„Man muss bloß lieben, was man macht“: Abini Zöllner, gelernte Friseurin, | |
ehemalige Revuetänzerin und Rockstar-Ehefrau, Mutter und Autorin, hat keine | |
Lust auf schlechte Laune. Ein Gespräch über Lebenspläne | |
Interview WIEBKE HOLLERSEN | |
taz.mag: Sie haben gerade Ihre Autobiografie veröffentlicht. Sind Sie nicht | |
eigentlich noch ein bisschen jung für eine Lebensbilanz? | |
Abini Zöllner: Ich bin 35. Aber ich habe voriges Jahr aus Versehen schon | |
meinen 36. Geburtstag gefeiert. Während der Party meinte meine Mutter, sag | |
mal, Kindchen, wirst du nicht erst 35? Tja, so war es tatsächlich. Ich habe | |
aber kein Buch über mein Leben geschrieben, das wäre anmaßend. Das sind | |
autobiografische Geschichten, nicht mehr und nicht weniger. | |
Das Buch heißt „Schokoladenkind“ und erzählt laut Untertitel von „meiner | |
Familie und anderen Wundern“. Warum ist Ihre Familie ein Wunder? | |
Meine Mutter war als Einzige ihrer jüdischen Familie übrig geblieben, und | |
jetzt ist daraus so ein richtiger Rattenschwanz geworden, das ist das erste | |
Wunder. Der engste Kreis sind meine Mutter und Kinder, dazu kommen mein | |
Freund und die ganzen Tanten und Onkel, die keine Tanten und Onkel sind, | |
sondern Freunde meiner Mutter. Was für ein Glück: Die meisten Leute können | |
sich ihre Familie nicht aussuchen. Und die ich mir nicht aussuchen konnte, | |
die einfach so dazugeboren wurden, meine Kinder, die sind toll geworden. | |
Ihre Mutter ist Jüdin, sie war bei Ihrer Geburt schon 42, Ihr Vater war | |
Nigerianer und hat nicht lange bei Ihnen gelebt. Nicht gerade eine | |
Durchschnittsfamilie. | |
Meine Mutter war viel älter als andere Eltern, das ist mir aufgefallen, | |
aber ein Problem war das nicht. Sie ist so jung geblieben im Denken. Meine | |
Hautfarbe war mir ganz lange nicht bewusst. Manchmal habe ich in den | |
Spiegel geguckt und gestaunt: Mensch, du bist ja braun! So was beschäftigt | |
einen doch nicht 24 Stunden am Tag. Manchmal, wenn ich mit anderen Kindern | |
gestritten habe, gab es solche Ausdrücke. Meine Mutter hat dann gesagt, sag | |
zu denen weißer Käse. Hat sich leider kein Schwein was draus gemacht. Aber | |
Kinder, die einen dicken Hintern hatten oder eine Brille, waren genauso | |
dran. Da habe ich dann genauso mitgemacht. Alle Kinder haben irgendwie ihr | |
Fett wegbekommen. | |
Sie haben nie unter rassistischen Sprüchen gelitten? | |
Es gibt schwarze Deutsche, für die ist alles eine Beleidigung: Mulatte, | |
Mischling, Farbiger. Ich finde das Wort Neger auch nicht toll. Aber was | |
soll man schon immer sagen? Schwarzer Deutscher? Ich weiß doch gar nicht, | |
welche Nationalität jemand hat. Ich bin aber auch ein Glückskind. Schwarze | |
Jungs haben es schwerer als Mädchen, auf dem Dorf ist es viel schwerer als | |
in der Stadt. Andererseits bin ich bloß Tänzerin geworden aufgrund meiner | |
Hautfarbe. Hinter mir standen Mädels in der Reihe, die alles in Grund und | |
Boden tanzten, mit super Ballettausbildung, und haben den Job nicht | |
bekommen. Ich konnte modeln und war nur 1,64 Meter groß. Jetzt im Westen | |
als allein erziehende, dunkelhäutige Frau aus dem Osten könnte ich ein | |
Quotenknaller sein und bei jeder Partei große Karriere machen. | |
Mit Ihrer Herkunft könnten Sie aber auch schwere Identitätsprobleme haben. | |
Meine Mutter hat ihr Judentum nicht praktiziert, von meinem Vater habe ich | |
nicht viel mehr mitbekommen als seine Art, afrikanisch zu kochen. Ist doch | |
toll, diese Vielfalt im Blut zu haben. Niemand, der reich ist, macht sich | |
darüber großartige Gedanken. Ich brauchte keine Aufarbeitung, um mich zu | |
finden. Ich habe mir die Frage nach meiner Herkunft ein paar Mal gestellt, | |
bin bei meiner Mutter gelandet, und dann war die Antwort da. | |
Dann haben Sie also von Ihrer Mutter die Zuversicht, dass im Leben alles so | |
kommt, wie es soll? | |
Auf alle Fälle weiß ich von ihr, dass im Leben immer etwas anderes kommen | |
kann als das, was man sich vorgenommen hat, und dass es ganz furchtbar ist, | |
wenn man anfängt zu verkrampfen. Wenn man sich einen festen Lebensplan | |
aufbaut und wenn dann etwas nicht klappt, gleich meschugge wird. Okay, | |
jetzt ist es etwas anders, gucken wir, wie wir daraus das Beste machen. | |
Sie planen Ihr Leben nicht? | |
Ich suche immer ein Ziel, das ich als Nächstes erreichen kann. Aber ich | |
plane nie bis zum Ende. Ich habe immer gedacht, dass ich auch ganz spät | |
Kinder bekommen will, weil ich das so toll fand bei meiner Mutter. Und, | |
zack!, war ich mit neunzehn schwanger. Da war schon zum ersten Mal klar, | |
dass es anders kommen kann. Ich hatte gerade im Friedrichstadtpalast | |
angefangen als Tänzerin. Na gut, dann eben Windeln wechseln und keine | |
Federboas schwingen. Der Zeitpunkt, ein Kind zu bekommen, ist immer falsch. | |
Man kann nur zur falschen Zeit etwas richtig machen, wenn man ein Kind | |
kriegt. | |
Und Ihre Karriere? Nach der Schule haben Sie erst mal eine Friseurlehre | |
begonnen. | |
Eigentlich sollte ich Abitur machen. Ich wollte aber nicht studieren, das | |
dauerte mir alles viel zu lange. Ich war lebenshungrig. Ich wollte | |
Empfangssekretärin im Hotel werden, weil meine Mutter das auch gemacht hat. | |
Aber es gab nur drei Lehrstellen in Ostberlin. Ich wurde mit der blöden | |
Begründung abgelehnt, dass mein Vater Ausländer sei. Da bin ich mit | |
sechzehn erst mal Friseur geworden, um später eine Maskenbildnerausbildung | |
zu machen. Nach zwei Jahren hatte ich die Nase voll. Aber ich bin froh, | |
dass ich die Ausbildung zu Ende gemacht und einen bodenständigen Beruf | |
habe. Ich habe das Gefühl, dass ich schon mal ganz dicht am Leben dran war, | |
ich weiß, wie es ist, morgens um fünf aufzustehen und in zwei Schichten zu | |
arbeiten. | |
Ein glatter Lebenslauf ist Ihnen nicht wichtig? | |
Mich begeistern Seiteneinsteiger. Die haben sich zwar erst später gefunden, | |
wussten erst später, was sie wollen. Aber um das zu bekommen, mussten sie | |
viel schwierigere Hürden nehmen, nachholen, was andere in ihrem Alter | |
längst schon hatten. Seiteneinsteiger gehen mit viel Verve an die Sache. | |
Das sind Leute, die Enttäuschungen erlebt und daraus gelernt haben. | |
Ziemlich konsequent. | |
Wann haben Sie gewusst, was Sie wollten? | |
Mit der Geburt meines Sohnes, mit neunzehn, ist mir langsam klar geworden, | |
was ich nicht mehr will. Vorher habe ich einfach alles gemacht, was sich | |
auftat. Dann fing ich an zu sortieren. | |
Dass Sie nicht alles so geplant haben, hatte das auch mit der DDR zu tun? | |
Ein Kind zu bekommen, damit konnte man in der DDR wirklich sehr sorglos | |
umgehen. Bei meinem ersten Kind war alles sehr einfach, die Betreuung war | |
kein Problem. Meine Tochter wurde 1992 geboren, da war das schon anders. | |
Die DDR hat manches leichter gemacht, wie das Kinderkriegen, anderes | |
schwerer, wie die Lebensplanung. In der DDR ist viel über Beziehungen | |
gelaufen, über Parteibücher. Jeder hat eigentlich nur daran gedacht, wie er | |
sich mit seinem Nutznetzwerk über Wasser hält. Nach der Wende hatten wir so | |
viel damit zu tun, unseren Alltag zu organisieren, dass keine Zeit zum | |
Nachdenken blieb. Ich hatte 1990 bei einer Zeitung angefangen, für meinen | |
Mann Dirk war neu, sich als Musiker selbst zu organisieren. Im Osten gab es | |
nur eine Plattenfirma, entweder die hat mit dir verhandelt oder nicht. | |
Sie haben Ihren Mann, den Rocksänger Dirk Zöllner, geheiratet, als Sie ihn | |
gerade ein paar Wochen kannten. Denken Sie nie länger nach, bevor Sie | |
Entscheidungen treffen? | |
Wenn mir mein Gefühl sagt, dass etwas richtig ist, dann mache ich das auch. | |
Ich habe in meinem Leben auch ein paar langwierige Kopfentscheidungen | |
getroffen und bin damit nicht besser gefahren als mit den spontanen | |
Bauchentscheidungen. Von denen waren zwar auch ein paar falsch, aber von | |
denen habe ich mich dann scheiden lassen. | |
Sie trauen Ihrem Bauch dennoch? | |
Ich traue meinem Kopf nicht. Wenn ich jetzt was entscheiden muss, dann nur | |
noch nach Gefühl. Nachdenken frisst Kraft, und die brauche ich für meinen | |
Beruf und für meine Familie. Für mich bleibt nicht viel übrig. Aber das ist | |
nicht weiter schlimm. Wenn es meinen Kindern gut geht, dann geht es mir | |
automatisch gut. | |
Sie suchen nicht nach Selbstverwirklichung? | |
Viele Leute sind immerzu auf der Suche, und auf einmal ist die Zeit | |
vergangen, und dann wundern sie sich. Ich will bloß glücklich sein. Beruf | |
und Familie bekomme ich locker unter einen Hut, alles gut. Ich mache immer | |
mal eine Zwischenbilanz: Wo stehe ich jetzt? Wo will ich hin? Bin ich | |
zufrieden? Je nach dem, wie ich antworte, ändere ich was. Und wenn ich doch | |
mal in ein tiefes Loch falle, habe ich gelernt, mich noch tiefer reinfallen | |
zu lassen, mich an meinem Unglück zu weiden. Irgendwann habe ich keine Lust | |
mehr, traurig zu sein, dann habe ich es ausgelebt. Dann geht es weiter. | |
Aber Ihre Kinder müssen doch auch mal schwierig sein und Arbeit machen? | |
Klar, das ganze Programm. Und? Man kann, Kinder und Beruf zu vereinen, zum | |
Problem machen, aber ich finde wirklich, dass es das nicht ist. Man muss | |
bloß lieben, was man macht. Seinen Job, dazu gehört auch, zweimal im Jahr | |
zu sagen, ich steig da aus. Aber in so einer Grundstimmung sollte man | |
lieben, was man tut. Bei den Kindern ist es genauso. Wenn mein Sohn nachts | |
um halb zwei von Polizisten nach Hause gebracht wird, mache ich die Tür auf | |
und wundere mich, aber im gleichen Moment weiß ich, ich liebe ihn so, wie | |
er ist. | |
Fehlt Ihnen nicht wenigstens Zeit? | |
Ich finde immer noch genug, um nachts vorm Fernseher zu hängen, eine | |
furchtbare Krankheit von mir. Wenn ich stundenlang Schrott sehen kann, kann | |
das Zeitproblem ja noch nicht so schlimm sein. | |
Ich habe lange nicht so einen positiven Menschen getroffen. | |
Meine Mutter hat viel durchgemacht und trotzdem immer wieder versucht, | |
irgendwo das Gute zu finden. Ich finde auch, dass es sich so besser lebt. | |
Aber eines ist Fakt: Wenn du gut drauf bist, halten dich viele Leute für | |
oberflächlich, auf alle Fälle für naiv. Ich habe mich lange dagegen | |
gewehrt, weil ich auch gern schlau sein wollte. Früher habe ich viel damit | |
zu tun gehabt, mich ins rechte Licht zu rücken. Meine größte | |
Lebenserfahrung war, das nicht mehr zu machen. Ich habe mich so verrenkt, | |
dass ich mich nicht mehr entknäulen konnte. Seit ich gelernt habe, auch die | |
Gefahr einzugehen, dass mich jemand nicht leiden kann, geht es mir viel | |
besser. | |
WIEBKE HOLLERSEN, 28, ist freie Journalistin in Berlin | |
5 Apr 2003 | |
## AUTOREN | |
WIEBKE HOLLERSEN | |
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