# taz.de -- Kein Mann, ein Werk | |
> Die Kunstfigur im Spiegel ihrer Sammelleidenschaft: Martina Werners | |
> erfundener Señor Mendoza lebt auf dem Lande, nahe der Küste, direkt auf | |
> der Grenze zwischen Realität und Phantasie | |
Señor Mendoza lebt! Nur – wer zum Teufel ist Señor Mendoza? Ein | |
südamerikanischer Totengräber? Ein abnormer Fetischist? Oder berühmter | |
Geisterkleid-Designer? Holzfäller, Gräberarchitekt, Sternengucker, | |
manischer Schriftkünstler? Ein obskurer Zeremonienmeister des ominösen | |
C-Stammes vielleicht? Ein religiöses Symbol? | |
Verwirrung. Der Fragen so viele – inmitten flirrend-hüpfender bunter | |
Objekte (Artefakte?), deren vorgebliches Chaos erstaunlich geometrisch | |
angeordnet ist und augenscheinlich auf einen Sinn hindeuten. Ablehnung – | |
gezeitigt durch Unverständnis. | |
Da steht man in der Kleinstadt Otterndorf, Nähe Bremerhaven, in einem | |
uralten denkmal-geschützten Fachwerkhaus, das sich als verschachteltes | |
Labyrinth entpuppt und im Kopf toben plötzlich Stürme; würfeln Gekanntes | |
durcheinander: Die Welt scheint aus den Fugen. | |
Die Künstlerin Martina Werner hat den Hebel angesetzt. Und mit ihr: | |
SeñorMendoza! Wer ist nun – zum Teufel noch mal – jener Herr (oder wäre | |
esgar ‚Der HERR‘, El Señor also = Gott? ogottogott!) offenkundiger | |
spanischer Abkunft? Die „Landkarte“ für das unbekannte Territorium weist | |
den Weg über fiktive Grenzen. Die Neugier treibt zur Überschreitung. | |
Eingekesselt und vergittert, erhöht auf einem Podest liegt die Welt des | |
Namensgebers der Ausstellung: „El mundo del Señor Mendoza“. | |
Das ist es: Er war offenkundig ein Forscher, Entdecker, Archäologe, dessen | |
ausgegrabener Nachlass nun analysiert und kategorisiert auf seine | |
Vergangenheit hinweist. Ein Wissenschaftler, ganz offenbar ein Ethnologe, | |
der den Kult des untergegangen C-Stammes erforschte. | |
Denn darauf verweisen all die ausgestellten Untersuchungs-Instrumente. | |
Drumherum sind im ganzen Haus die Resultate seiner Forschung zu finden: | |
Relikte, Kultur- und Alltagsgegenstände des „C-Stammes“ - nüchtern und | |
exakt gesammelt, präzise katalogisiert und feierlich präsentiert. Auf | |
einmal scheint alles so klar. Oder doch nicht? | |
Da entdeckt man ramponierte Gegenstände, Müll vielleicht sogar, der nur aus | |
dem 20. Jahrhundert stammen kann. Stoffe, Papier, Ziegel, Gips, Aluminium, | |
Draht. Neue Zweifel. Was ist hier Wahrheit, was Imagination? Alles und | |
nichts. | |
Mendoza ist eine Kunstfigur – kreiiert vor über 20 Jahren von Martina | |
Werner. Ein „Wissenschaftler, Träumer und Abenteurer“ – ihrer Fantasie | |
entsprungen und gewachsen. Und stetig weiterwachsend – zu einem | |
beachtlichen Gesamtkunstwerk. | |
Langsam nur kommt man dahinter, dass es sich hier um ein ironisches | |
Wechselspiel zwischen wissenschaftlichem Exaktheits- und | |
Rekonstruierungswahn auf der einen und künstlerischem Schöpfertum auf der | |
anderen Seite handelt. Zugleich ist es ein Spiel mit Vergangenheit und | |
Gegenwart. Mit gefundenen und erfundenen Objekten (mittlerweile sind es | |
über1.000 Gegenstände) manifestiert Martina Werner einen fiktiven Kult. | |
„Alles, was uns heute alltäglich erscheint, trägt ja den Keim der | |
Vergangenheit in sich“, erklärt die 73-jährige Künstlerin. Es beinhalte | |
also schon die Bedeutung, einst Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu | |
sein. Da drängt sich auf: Muss die Frage nicht heißen, wer ist Martina | |
Werner? | |
Mutter von fünf Kindern, gelernte Journalistin. 1929 in Köln geboren, | |
aufgewachsen in Wien. Entstammt einer Künstlerfamilie, zumeist Maler. 1965 | |
wurde sie von Hans-Magnus Enzensberger entdeckt, der ihre Gedichte im | |
„Kursbuch 1“ herausgab. Fast zeitgleich mit dem Suhrkamp-Verlag, der ihre | |
„Monogramme“ veröffentlichte. Werner flüchtet für mehrere Jahre vor dem | |
„möglichen Ruhm, der nicht mehr als Verkauf bedeutet“ nach Spanien. | |
„Damals hatte ich den Spleen, dass kein Künstler seine Werke zu Lebzeiten | |
veröffentliche solle, sondern erst posthum.“ Dieser Gedanke scheint sie | |
nicht mehr losgelassen haben. Sie verkauft ihre Kunst nicht. | |
Die deutsche Literatenwelt spekulierte zu der Zeit, dass „Martina Werner“ | |
gar nicht existiere, sondern eine erfundene Figur sei. Weil niemand sie | |
persönlich kannte, eben nur ihre Monogramme. Hat das Werner inspiriert? | |
Vielleicht. In Spanien schenkt ihr ein alter Maler all seine Utensilien. | |
Sie beginnt zu malen, kommt Ende der 70er Jahre nach Bremen, ist in der | |
„Gruppe Grün“ aktiv. Zieht aufs Land: Worpswede, Grasberg, nun in die Nähe | |
von Otterndorf. Die „Senor Mendoza“-Ausstellung war in mehreren deutschen | |
Museen zu sehen, unter anderem im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg – in | |
der Abteilung Vor- und Frühgeschichte. | |
Seit 2001 gibt es das „Señor Mendoza“-Haus samt | |
„Señor-Mendoza-Gesellschaft“ in Otterndorf. „Was sich einprägt, ist nic… | |
Dauer, was sich einprägt ist nicht Augenblick, was sich einprägt, ist eines | |
Augenblicks Dauer“, heißt es in einem von Werners Monogrammen. Es lebe also | |
Señor Mendoza! Daniela Barth | |
Die Ausstellung „Señor Mendoza und der C-Stamm“ ist bis zum 30. September | |
in Otterndorf, Marktstraße 12, zu entdecken | |
11 Apr 2003 | |
## AUTOREN | |
Daniela Barth | |
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