| # taz.de -- Fußball-Gast in der Grotenburg | |
| > Die Krefelder Grotenburg-Kampfbahn ist hässlich und bietet keine | |
| > Atmosphäre. Trotzdem weckt die Rückkehr anlässlich des Niederrheinpokals | |
| > wehmütige Erinnerungen – vor allem an Niederlagen | |
| AUS KREFELDHOLGER PAULER | |
| Wenn man es nicht besser wüsste, der Name „Grotenburg-Kampfbahn“, hätte | |
| etwas Furchteinflößendes, Erhabenes – wäre die ideale Bühne, für | |
| kampfbetonten, intensiven Fußball. Weit gefehlt: Das alte Stadion im | |
| Krefelder Nobel-Vorort Bockum, der Heimat des KFC, vormals Bayer Uerdingen, | |
| strahlt so ziemlich alles aus, nur keinen Glamour. | |
| Vier Tribünen dokumentieren die Entstehungsgeschichte. Vier Einzelteile, in | |
| unterschiedlichen Zeitfenstern errichtet: Die große, alte Haupttribüne mit | |
| ihren überdachten Stehreihen. Die fünfstufige Gästekurve aus Lehm und Erde | |
| wurde irgendwann aufgestockt – lange her. Die alte Holztribüne auf der | |
| Gegengeraden musste einem lieblosen Betonbau weichen. Die Sitze in | |
| grün-orange. Und irgendwann kam noch die Stehgerade am Zoo hinzu. | |
| Freistehend ohne Verbindung zum Rest, kein Dach. Eine architektonische | |
| Katastrophe. Auch die Anbindung an die örtliche Bevölkerung war kaum | |
| vorhanden. „Bayer“ und „Uerdingen“ zogen einfach nicht. Zu | |
| Bundesligaspielen blieben die Zahlen oft im vierstelligen Bereich. Es war | |
| ruhig. | |
| Trotzdem hängen viele persönliche Erinnerungen an diesem Ort. Im Alter von | |
| sieben Jahren sah ich dort mein erstes Bundesligaspiel. An einem tristen, | |
| grauen Novembersamstag. Mein Vater hatte über seine Arbeit bei Bayer Karten | |
| besorgt – obwohl er den Verein nie wirklich ausstehen konnte. Er kannte die | |
| Nürnberger Meisterspieler der Saison 1947/48 persönlich. Für den Fußball im | |
| Westen hatte er nur ein müdes Lächeln übrig. Dennoch: Die Zeit schien | |
| irgendwie reif. Ich sollte mit zum Fußball. | |
| Gerade 10.000 Zuschauer wollten damals den Kick zwischen Bayer Uerdingen | |
| und Hertha BSC Berlin sehen – mit ein Grund, weshalb meine Eltern mich | |
| damals auf die Stehplätze ließen. Bei Bayer spielte der alte Siggi Held, | |
| bei Hertha hütete Wolfgang Kleff das Tor. Uerdingen siegt mit 3:1, am Ende | |
| der Saison besiegelten die beiden Tore Differenz den Abstieg der Hertha. | |
| Die Westdeutsche Zeitung schrieb von einem Arbeitssieg. Kann sein. An das | |
| Spiel selbst habe ich keine Erinnerungen mehr. Der Blick durch die | |
| quadratischen Zaunfenster ließ mich die Abläufe nur schemenhaft erkennen, | |
| irgendwann waren die Reaktionen der übergroß wirkenden Stadienbesucher | |
| interessanter: Das Aufstöhnen, die üblen Beschimpfungen („Eschweiler du | |
| Arschloch“) und der Jubel. Von da an gehörte ich dem Fußball. | |
| In der Folge besuchte ich noch häufiger die Heimspiele von Bayer Uerdingen. | |
| Meine Sympathie galt in der Regel den Gästen. Egal ob sie MSV Duisburg, | |
| Borussia Mönchengladbach oder VfB Stuttgart hießen. Zwischen 1986 und 1995 | |
| begleitete ich dann meinen Verein in die Grotenburg. Insgesamt zehn Mal. In | |
| einer Zweitligasaison sogar doppelt. Doch dort gab es nie etwas zu holen, | |
| nicht einen mickrigen Punkt. Auch nicht am drittletzten Spieltag der Saison | |
| 1994/95: In der Nachspielzeit wurde der endgültige Abstieg besiegelt. | |
| Frontzeck, oder sein Double, hatte am Ball vorbei getreten, Reiner Krieg | |
| bedankte sich mit dem natürlich völlig unverdienten 2:1. Mein absoluter | |
| Tiefpunkt. | |
| Für die feiernden Uerdinger sollte er indes noch folgen. Bayer kündigte in | |
| der folgenden Saison den Uerdingern die Sponsorenschaft, um sein Geld | |
| fortan in den Leverkusener Hauptsitz zu pumpen. Aus Bayer wurde KFC | |
| Uerdingen. Der Club stieg in der Folge mehrmals ab und fristet mittlerweile | |
| in der Regionalliga Nord sein bescheidenes Dasein – vor kaum mehr als 1.500 | |
| schmerzlos treuen Fans. Seit meinem Abstieg betrat ich die Grotenburg | |
| übrigens nie wieder. | |
| Bis Mittwoch. Bis zum Finale im ARAG-Pokal zwischen Fortuna Düsseldorf und | |
| Rot Weiß Essen. 16.000 Zuschauer wollten das Spiel um diesen völlig | |
| belanglosen Titel sehen. Essen gewann mit 2:0. Die „Kampfbahn“ heißt | |
| inzwischen „Stadion“. Der Schriftzug wurde billig übermalt. Trotzdem: Es | |
| war eine Reise in die Vergangenheit – zurück zu den Wurzeln meiner | |
| Fußballsucht. | |
| Interessanter als das Spiel war das Drumherum. 11.000 Düsseldorfer sorgten | |
| für eine nie da gewesene Grotenburg-Atmosphäre. Beschwingt vom Aufstieg in | |
| die Regionalliga. 25 Jahre nach dem verlorenen Endspiel im Europapokal der | |
| Pokalsieger, in Basel, gegen den FC Barcelona, 3:4 nach Verlängerung. Das | |
| Spiel lief zuletzt in den Kinos der Rhein-Metropole rauf und runter. | |
| Vor dem Spiel am Mittwoch wurde über die komplette Gegentribüne eine | |
| Choreographie entrollt: „Fortuna Deluxe“. Abgebildet waren der DFB-Pokal, | |
| dazu die Zahlen 1979, 1980, die Jahreszahlen der beiden letzten großen | |
| Erfolge. Das Ergebnis war egal. Die Fans waren nur zum Feiern da – in der | |
| Hoffnung auf anhaltende Besserung. Bei den 50 anwesenden Fans des KFC | |
| Uerdingen, die vergeblich um Aufmerksamkeit bettelten, dürfte die | |
| Inszenierung ein Trauma auslösen. Waren sie wirklich in ihrer Grotenburg? | |
| 14 May 2004 | |
| ## AUTOREN | |
| HOLGER PAULER | |
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