# taz.de -- „Ich jamme nicht mehr“ | |
Eine Showlegende, ein bisschen aus dem Rampenlicht verschwunden, begeistert | |
mit einer wiederaufgelegten Jazz-CD. Zeit für ein Comeback? Caterina | |
Valente sagt: „Nein. Ich habe alles geschafft.“ Ein Gespräch über fünfzig | |
Jahre im Unterhaltungsgeschäft | |
von JAN FEDDERSEN | |
Man hört sie lange, bevor man sie sieht. 47 Treppenstufen lang. Caterina | |
Valente lacht. Von wegen the girl next door, das Mädchen von nebenan, wie | |
sie sich mal in einer Talkshow genannt hat. Ihr Lachen klingt nicht so, | |
eher wie man ihr schallendes Lachen aus dem Fernsehen eben kennt. Ein | |
wunderbares Gelächter. Schallend, sich ausschüttend, wechselnd ins Kichern. | |
Es steckt an. | |
Wir werden erwartet. In einem Zürcher Hotel sitzt sie im Restaurant und | |
nimmt einen Lunch zu sich. Die Polydor konnte sie zu einer kleinen | |
Interviewsession überreden. Ihr neues Produkt soll gut beleumundet sein, | |
ein recyceltes, weil die CD „Caterina Valente in New York“ – unter dem | |
Titel „Plenty Valente“ schon vor über vier Jahrzehnten in den USA | |
produziert für den damals erst neuen Vinylmarkt – ihren Ruhm jenseits von | |
Deutschland auch in Jazzkreisen begründete. | |
Sie sitzt am Tisch, ihr Manager an ihrer Seite, der Mann, der Anekdoten aus | |
ihrem Leben besser im Kopf hat als sie selbst: „Ich muss ja nicht alles | |
behalten“, wird sie später erklären. Jetzt deutet sie an, aufstehen zu | |
wollen, eine feine Geste, gibt die Hand, lächelt fast scheu, guckt sehr | |
genau und sagt: „Ich freue mich, Sie zu sehen.“ | |
Eine Stunde darf das Gespräch dauern, das ist der Deal. Extra aus Lugano | |
ist die Showlegende gekommen. „Eine schöne Fahrt“, sagt sie. „Man guckt … | |
dem Fenster, liest und guckt wieder. Schön, nicht?“ Lesen Sie gerne, Frau | |
Valente? „Oh, ja, immer lieber.“ Und momentan? „Die Biografie von Quincy | |
Jones. Ein ganz Lieber. Ganz Großer. Und wie er schreibt, hinreißend, da | |
ist nichts Negatives.“ | |
Geht es Ihnen gut, Frau Valente?“ Sie lacht herzlich und sagt: „Ja, | |
wirklich, sehr gut.“ Was genießen Sie? „Das Leben. Ja, das Leben. Dass ich | |
einfach mit meinem Auto zum Bahnhof in Lugano fahren kann, um von dort nach | |
Zürich zu reisen.“ Ist Reisen nicht langweilig? Immerhin hat die Valente | |
früher so gut wie jeden Tag einmal den Koffer aus- und wieder eingepackt? | |
New York, Rio, Berlin, Köln, Baden-Baden, Rom, Paris, Amsterdam, Stockholm, | |
Lugano … und retour … „Nein, nein, das macht überhaupt erst jetzt Spaß. | |
Früher, da habe ich doch außer Flughäfen, Autos, die mich irgendwohin | |
brachten, den Studios oder den Bühnen fast gar nichts gesehen.“ | |
Das muss ein heftiger Fall gewesen sein – einst ein Star, hofiert auf allen | |
Entertainmentstegen der Welt, Jetset, die Welt der feinen Kleider und | |
Manieren. Und jetzt ein lebender Evergreen. Sie überlegt sich eine Antwort, | |
nicht einmal zwei Sekunden, bestellt einen Salat („Mehr jetzt nicht“) und | |
sagt: „Oh nein, das war überhaupt nicht so. Ich trete nicht mehr auf. Hier | |
mal eine Talkshow, aber ich vermisse nichts. Ich besuche viel lieber | |
Konzerte in kleinen Clubs, hier in Zürich oder in London, freue mich, wenn | |
die Show gut war und der Swing über die Bühne kam.“ Und kichert, als | |
schlüge sie sich selbst ein Schnippchen: „Ich jamme nicht mehr“ – nicht | |
einmal in kleinen Clubs. | |
Wie war das denn damals, nach New York zu kommen und dort auf den berühmten | |
Bandleader Sy Oliver zu treffen? „Oh, das weiß ich genau. Fast in Ohnmacht | |
bin ich gefallen. Da saßen all die berühmten Leute, die ich verehrt habe. | |
Und Sy sagte nur zu mir, wir machen jetzt alles für dich. Unvorstellbar.“ | |
Das muss es für die amerikanischen Musiker auch gewesen sein. Annonciert | |
war ihnen eine deutsche Sängerin – und nie wären sie auf die Idee gekommen, | |
dass sie es mit einer zu tun bekämen, die sich auf Jazz, die elf Jahre | |
zuvor noch unter den Nazis verpönte Musik, versteht. Die swingen kann. Die | |
jede Note beherrscht und vor keinem Notenblatt Angst hat, ihre Stimme als | |
Instrument zu nutzen weiß, Stimmungen mit ihr erzeugt, traurige, | |
zweifelnde, verführende und erotische. Die zu phrasieren weiß und jedes | |
Timing drauf hatte – eine Sängerin, die den Deutschen zunächst nicht | |
behagte, weil sie einen fremden Ton in deren marschfoxverseuchtes Land | |
trug, weil sie nicht hymnisch oder zackig klang, nicht einmal | |
skandinavisch-blond-mädchenhaft wie Bibi Johns oder Alice Babs, auch keine | |
schlechten Interpretinnen, aber in Deutschland nur gefragt als Vorbotinnen | |
der späteren Teenagerkulturen mit Idolen wie Siw Malmkvist, Wencke Myhre, | |
Gitte und Lill Lindfors. | |
Können Sie beschreiben, Frau Valente, was Sie angetrieben, hat? Sie lacht | |
zunächst. Fast keine Antwort mehr, ohne dass ihr Lachen wie ein ziemlich | |
entspannter Kommentar zum Vergangenen und Begrabenen klingt. Und, ja, sie | |
kann, knapp: „Ich wollte es schaffen.“ Anfang der Fünfziger war sie noch | |
ein wichtiges Mitglied der Artistenfamilie Valente – aber eben nur ein | |
Mitglied, keine Solistin. Kapricen dieser Art mochte ihre Mutter Maria gar | |
nicht. Dann lernte sie Eric van Aro kennen, ihren ersten Mann, einen | |
Jongleur, der aber selbst nicht ein Valente werden wollte – und Caterina | |
hätte dies erst recht nicht gefallen. Kontakte hatte sie in Paris oder wo | |
die Truppe sonst auftrat, genug gesammelt. | |
Alles war in ihr drin, das Stehvermögen, die Disziplin, die | |
Selbstverleugnung („Nie auf der Bühne weinen, es sei denn, es gehört zur | |
Nummer“), das Tanzen, das Singen, überhaupt die körperliche Präsenz, die | |
Konzentration auf den Punkt „wenn die Scheinwerfer angehen“. Sie konnte | |
schon früh auftreten und sich ihrer Mittel sicher sein. Sie kannte Gilbert | |
Bécaud und Charles Aznavour – Anfänger damals wie sie –, wollte mit ihnen | |
musizieren, solistisch, ohne familiäres Korsett. Ihre Mutter war dagegen. | |
„Das war eine Hassliebe“, sagt sie heute, „viel Liebe, viel Hass, denn sie | |
wollte, dass ich arbeite, aber bei ihr.“ Sie verließ den Clan, sie musste | |
es, wollte sich auch etwas beweisen, aber auf jeden Fall ihrer Mutter, der | |
„Frau, der ich alles verdanke“ und die doch von ihr sagte, es sei „Dreck�… | |
was sie ohne die Familie im Mittelpunkt darstelle. | |
Sie stand also unter mächtigem Druck. „Ja, aber es wäre nicht anders | |
gegangen.“ Und sie hatte nicht einmal nur Glück: Das bestimmt auch. Glück, | |
das wäre zu gering, ihre Karriere zu beschreiben, nein, sie konnte wirklich | |
was – und es gab Leute, die beeindruckt waren und dies zu würdigen wussten. | |
Werner Müller, der Orchesterchef vom Südwestfunk, Kurt Edelhagen vom | |
Westdeutschen Rundfunk, Freunde in den USA, in Frankreich und Italien. | |
Eine Stimme wie ihre, klar, souverän und ein wenig kühl, ihr musikalisches | |
Vermögen überhaupt gab es ja nicht unter den Deutschen in jenen Jahren. | |
Irgendwie hatten alle eingeborenen Deutschen noch am Nazidreck zu knabbern, | |
am ästhetischen zunächst. Unbelastete, frische Figuren gab es kaum. Aber | |
was die Valente ihnen voraushatte – und zwar zeit ihrer Karriere –, war ihr | |
handwerkliches Können, war das Selbstvertrauen, mit Produzenten und | |
Orchesterleitern auf Augenhöhe umgehen zu können – denn sie war eine der | |
Ihren, Musikerin, keine Marionette, kein Objekt von Marketingerwägungen. | |
Und doch hat sie sich stets marktgerecht verhalten, nicht wahr? „Mögen Sie | |
die Schlager, die Sie in Deutschland gesungen haben?“ Diese Lieder, dass | |
der Sheriff von Arkansas eine Lady sei, die Nebensächlichkeiten namens | |
„Rosalie“, „Tipitipitipso“, „Spiel noch einmal für mich, Habanero“… | |
„Das Publikum. Das geht immer vor. Man muss singen, was ihm gefällt. Warum | |
soll ich mein Publikum enttäuschen. Und ohne meine Schlager hätte ich | |
keinen Jazz machen können, nicht Lieder von Michel Legrand, Songs mit Count | |
Basie, Carlos Jobim, Louis Armstrong. Schlager haben mir Freiheit gegeben.“ | |
Und räumt schließlich, gekrönt von herzhaftem Kichern, ein: „Na klar, über | |
viele Lieder lache ich mich heute kaputt. Aber ‚Ganz Paris träumt von der | |
Liebe‘ ist immer noch ein wunderschönes Lied.‘ “ Beendet ihr karges Mahl | |
aus etwas Salat und Dressing und fügt sehr ernsthaft an: „Ich habe immer | |
versucht, die Schlager besser zu singen.“ | |
Wie haben Sie den Stress überhaupt bewältigen können? In manchen Jahren | |
dreihundert Auftritte in zwölf Monaten, ständig auf Achse, nur selten haben | |
Sie sich rar gemacht. „Es hat großen Spaß gemacht. Es war oft wie Urlaub | |
für mich.“ Aber in Ihrer Biografie ist auch von Schlafkuren die Rede … | |
„Manchmal war ich zu erschöpft – und dann halfen nur noch viel Schlaf und | |
einige Vitaminspritzen.“ Drogen? Captagon, andere Mittel zum Aufputschen? | |
Einen kleinen Moment lang schweigt sie, erschrocken vielleicht, lacht nicht | |
und sagt dann, wieder sicher: „Adrenalin. Und der Tanz. Tanzen hat mich | |
wach gehalten.“ Hatte in den Sechzigern Ihre Mutter Ihnen endlich | |
verziehen, den Clan verlassen zu haben? „Längst.“ | |
Wobei dieses Jahrzehnt, das der aufrührenden Sechziger, jenes war, das sie | |
ein wenig von Deutschland entfremdete. Viel war sie in den USA. Jazzte sich | |
durch Clubs von New York bis Los Angeles. Trat in den angesagtesten | |
TV-Shows auf – und war doch ein wenig aus der Zeit, denn die Ära des Beat | |
hatte begonnen, handwerkliches Können war weniger wichtig als die | |
Künstleraura des Authentischen: Und in dieser Hinsicht galt die Valente in | |
Deutschland als allzu schlagerhaft. Dass sie lange vor Astrud Gilberto in | |
Brasilien den Bossa entdeckte, ihn in den USA popularisieren half, diesen | |
Rhythmus als ihrem Herzschlag am nächsten erkannte, das zählte hierzulande | |
nicht. | |
Hat man Sie denn schlecht behandelt? „Nein, das Publikum ging mir nicht | |
verloren.“ Und sie erzählt, als gehörte es nicht zur Frage, dass sie einmal | |
bei einem Empfang für einen deutschen Kanzler („Ich erinnere mich nicht an | |
seinen Namen“) in New York eingeladen war, dessen Tischdame zu sein. Auf | |
Geheiß des deutschen Diplomatischen Korps hätten die Amerikaner von der | |
Einladung höflich, aber bestimmt, wieder Abstand genommen. Die Deutschen | |
mokierten sich über die, wie es geheißen habe, „Unterhaltungszicke“. | |
Statt ihrer kam Anneliese Rothenberger zu dieser Ehre – ausgerechnet der | |
Deutschen liebste Soubrette mit dem wie von Haarspray eingehegten Lächeln. | |
„Aber kurze Zeit später wurde ich doch noch bei einer offiziellen | |
Gelegenheit geladen – drei Deutsche sollten wir sein: Greta Keller, Lotte | |
Lenya und ich. Wir waren doch alle keine Deutschen.“ Das einzige Mal, dass | |
sie beim Gespräch vergisst, auch einen deutschen Reisepass zu haben. | |
Können Sie heute jemand bewundern, Frau Valente? „Ja, natürlich.“ Aber | |
niemand kann mehr, was Sie können. „Ich komme aus einer anderen Zeit. | |
Früher hat man dem Künstler mehr Ruhe gelassen.“ Mögen Sie Céline Dion? | |
„Ich weiß nicht, warum alle Sängerinnen singen wollen wir Barbra Streisand. | |
Céline, Mariah Carey …“ Nie klingt die Dion intim. „Ich weiß, dass sie … | |
kann. Ich habe es selbst gehört. Ein Piano und ihre Stimme. Aber es taucht | |
nicht auf Platten auf. Leider.“ | |
Dass ihren Erbinnen weniger Zeit zum Ausprobieren bleibt, dass sie | |
womöglich gar nicht so viel Lust auf Weiterentwicklung haben – ist das der | |
Unterschied? „Das mag sein.“ | |
Berüchtigt die Sessions, wenn die Valente nachts um drei den Stab | |
zusammenrief, ärgerlicherweise auch noch gut gelaunt, um eine noch nicht | |
astreine Nummer auf Perfektion zu trimmen. „Das kann ja kein Vorwurf sein. | |
Eine Nummer muss perfekt sein.“ Ist es das, was Ihre Mutter Ihnen | |
überliefert hat? „Auf jeden Fall.“ Die Tränen der Clowns sollen nicht | |
öffentlich geweint werden, ihre nur als Performance: „Die private Caterina | |
hatte auf der Bühne nie etwas zu suchen.“ | |
Möchten Sie wirklich nicht einmal wieder auftreten? Wie andere | |
Künstlerinnen Ihrer Generation, die oft nur behaupten, noch gefragt zu | |
sein. „Sie versuchen mich zu verführen. Das dürfen Sie. Ich bin sehr | |
geehrt. Aber ich habe mein Leben auf der Bühne gehabt. Genug.“ Hat das | |
etwas mit dem Alter zu tun? 72 ist sie, was, ausgesprochen fit, wie sie | |
wirkt, tatsächlich nicht ins Gewicht fallen kann. „Nein“, lacht sie, | |
„wirklich nicht. Mir fehlt einfach die Zeit. Ich verbringe gern Zeit mit | |
meinen Kindern. Ich koche gern. Ich liebe es, zu reisen. Zum Lesen komme | |
ich jetzt, wann und wo ich will. Endlich.“ | |
Nicht wie andere Künstlerinnen ihrer Generation ein spätes Revival, etwa | |
mit HipHoppern x-beliebiger Art oder einer Band wie Wolfsheim … „Nein, ich | |
müsste mich selbst überreden.“ Man könnte … Sie fällt in den Satz und s… | |
„Ja, man könnte. Ich möchte aber nicht.“ | |
Was werden Sie in den nächsten Tagen tun? „Die Biografie von Quincy Jones | |
zu Ende lesen. So viele Menschen kommen dort vor, die ich noch kannte und | |
kenne.“ Frau Valente, wie würden Sie Ihr Leben in einem Satz | |
zusammenfassen: „Ich habe es geschafft.“ | |
JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, taz.mag-Redakteur, lernte die Valente erst | |
schätzen, nachdem er vor zehn Jahren ihre Bossa-Aufnahmen – vor allem die | |
Interpretation von „Canto de Ossanha“ – hörte | |
12 Jul 2003 | |
## AUTOREN | |
JAN FEDDERSEN | |
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