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# taz.de -- „Urbanität lässt sich nicht durch bauliche Maßnahmen herstelle…
> Wie kommt ein Arbeiterstadtteil damit klar, wenn es keine Arbeit mehr
> gibt? Welche Rolle spielen Kulturprojekte bei der Stadtsanierung? Der
> Soziologe Lutz Liffers hat das drei Jahre lang untersucht – in
> Gröpelingen. Fotos von Kathrin Doepner
taz: Es gibt in Gröpelingen zwei baulich gesehen herausragende Wahrzeichen:
die Moschee mit ihrem Minarett und der Space Park mit der Rakete davor.
Welches Projekt hat den Stadtteil mehr vorangebracht?
Lutz Liffers, Soziologe: Die Moschee. Der Space Park hat zunächst sehr viel
Hoffnungen geweckt. Auf einen ökonomischen Wandel, auf die Ankurbelung
einer lokalen Ökonomie, auf Arbeitsplätze. Aber die Leute haben auch
gehofft, dass ihr Stadtteil und ihre Probleme – auch in der Wahrnehmung der
Politiker – mehr ins Zentrum rücken.
Und? War das so?
Nein. Diese Hoffnungen sind ganz grundlegend enttäuscht worden. Weder sind
in nennenswertem Umfang Arbeitsplätze für Gröpelinger entstanden, noch hat
sich tatsächlich für die Binnenentwicklung des Stadtteils irgend etwas
verändert. Der Space Park wird sehr stark als Fremdkörper empfunden, der
nichts mit dem Stadtteil und seiner Entwicklung zu tun hat. Ganz im
Gegensatz zur Moschee.
Die gehört demnach richtig zu Gröpelingen dazu?
Sie war als repräsentativer Bau, mit Kuppel und Minarett, natürlich sehr
umstritten. Es gab Unterschriftenlisten dagegen, viele Leute fühlten sich
bedroht durch dieses selbstbewusste offensive und öffentliche Auftreten der
Muslime. Aber es hat dann einen langen, langen Prozess gegeben,
Diskussionen auch sehr heftiger, aber auch kollegialer oder
freundschaftlicher Art – Diskussionen, die wahrscheinlich deshalb möglich
waren, weil Gröpelingen als alter Arbeiterstadtteil eben eine lange
Tradition hat, mit Fremden umzugehen.
Der Bau der Moschee wäre in keinem anderen Stadtteil möglich gewesen?
Nein, das kann man so nicht behaupten. Aber in Gröpelingen waren die
Voraussetzungen besonders gut. Weil es hier eine Kultur von urbaner
Diskussion gibt.
Warum?
Hier hat es immer heftige Auseinandersetzungen sozialer Art gegeben. Aber
man hat hier dabei eine Kultur entwickelt, miteinander auszukommen – weil
es eben seit über 100 Jahren Migration, Einwanderung in diesen Stadtteil
gibt. Auf dieser Grundlage ist die Diskussion um den Neubau der Moschee
ganz anders verlaufen, als sie es vielleicht in anderen Stadtteilen wäre –
sehr positiv verlaufen. Und man muss jetzt im Nachhinein sagen: Diese
Moschee hat nicht die befürchtete Segregation von Muslimen vorangetrieben,
sondern im Gegenteil: Sie hat einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der
eigentlich seit zwei Jahrzehnten überfällig war, nämlich: Wie halten wir es
mit den Muslimen in unserer Gesellschaft, mit anderen Kulturen? Das wurde
und wird immer noch in Gröpelingen diskutiert – und das ist auch stark
darauf zurückzuführen, dass der Moscheeneubau so ein spektakuläres und
öffentliches Ereignis war. Die Moschee ist heute das von den Gröpelingern
meistgenannte Wahrzeichen des Stadtteils – nach dem Hafen und dem
Werftarbeiterdenkmal.
Die EU hat bei ihrem Programm „Urban“, das Teil der Stadtteilsanierung war,
sehr viel Wert auf Kulturförderung gelegt. Warum?
Die waren davon überzeugt, dass Kultur, wenn man einen Stadtteil, der so
einen heftigen Strukturwandel erlebt, wirklich tragfähig und langfristig
revitalisieren will, eine ganz entscheidende Rolle spielen muss. Dass
städtebauliche Verschönerungsmaßnahmen da nicht ausreichen, sondern dass
auch das urbane Leben neue Impulse braucht. Dass die Stadtgesellschaft die
Chance braucht, herauszubekommen: Wie wird es denn eigentlich demnächst
sein, wenn wir nicht mehr hauptsächlich Industriearbeit hier haben, wie
sieht dann eigentlich die Stadt aus? Man war davon überzeugt, dass Kultur
dabei ein ganz wichtiger Transmissionsriemen ist.
Hat sich diese Überzeugung in Ihrer Untersuchung bestätigt?
Ja. Die Impulse, die über die Kultur, vor allem über den damals gegründeten
Träger „Kultur vor Ort“ in die Stadtentwicklung gegeben wurden, sind enorm.
Wenn man das vergleicht mit den realtiv geringen Mitteln, die dafür
eingesetzt wurden, ist das riesig. Wir nennen das „urbane
Bildungsprozesse“. Dass sich die Leute darüber verständigen: Wie leben wir
künftig zusammen? Wie werden öffentliche Plätze genutzt? Was wollen wir
hier? Dass neue Riten entwickelt werden, Riten, die wichtig sind für einen
ehemaligen Arbeiterstadtteil, der keine Arbeiterkultur mehr hat. Es gibt
hier nur noch Erinnerungen daran, das Quartier braucht ein neues
Selbstverständnis. Und diese Kulturarbeit entwickelt das mit.
Was bringt das?
Darüber entsteht neues Selbstbewusstsein. Das Stigma, das Gröpelingen hat,
wirkt sich ja nicht nur für die Menschen hier im Stadtteil negativ aus, die
tatsächlich an der Armutsgrenze leben, die arbeitslos sind, die, weil sie
in Gröpelingen wohnen, schwerer an eine Lehrstelle kommen. Nicht nur die
sind betroffen, sondern alle Schichten in diesem Stadtteil. Alle gemeinsam,
kollektiv, empfinden, dass sie als Gröpelinger stigmatisiert werden. Und
ein neues Selbstbewusstsein, sei es über Kunstarbeit mit Kindern, sei es,
dass man hier modellhaft mit Muslimen diskutiert und zusammenlebt, oder sei
es, dass man hier ganz eigenwillige Dinge etabliert wie die „Feuerspuren“,
ein eigener Stadtteilumzug mit 10.000 Teilnehmern mittlerweile … das sind
Prozesse, mit denen die Gröpelinger für sich ein neues Selbstbild
entwickeln, mit dem sie viel eher in der Lage sind, Probleme zu lösen. Die
Gröpelinger können heute sagen: Wir leben hier eine internationale,
multikulturelle Stadtteilgesellschaft vor, das ist, bei allen Problemen,
ein urbanes Modell für die Zukunft. Da können andere Stadtteile erstmal
kucken, wie wir das machen.
Kultur als Motor der Stadtentwicklung, das ist ja keine ganz neue Idee. Das
hat man doch schon in den 80er-Jahren gesagt.
Das wird auch heute noch oft gesagt. Das Problem ist: Die reale
Tagespolitik sieht oft anders aus. Da werden gerade die kleinteiligen
Strukturen, die sehr viel Mühe, sehr viel personellen Aufwand, sehr viel
gewachsene Verbindungen, Strukturen, Netzwerke erfordern, die werden im
Moment sehr stark geschädigt, behindert, gefesselt durch die Sparpolitik,
durch einen politischen Paradigmenwechsel und den Wegfall von
soziokulturellen Einrichtungen. Das konterkariert alle verbalen
Bekenntnisse, die Kultur sei gut für die Stadt. Wenn man sich das hier im
Detail anschaut, und das haben wir ja drei Jahre lang gemacht, dann sieht
man, wie intensiv und wie wertvoll lokale Kulturarbeit ist für eine
Stadtgesellschaft.
Arbeitsplätze schafft sie aber nicht.
Doch. „Kultur Vor Ort“ beispielsweise hat zehn Arbeitsplätze im Stadtteil
angesiedelt und wirtschaftliche Impulse gesetzt. Kultur kann aber nicht
allein das Problem der Erwerbslosigkeit lösen, sie kann nicht eine
zusammengebrochene lokale Industrieökonomie ersetzen. Sie kann sich auch
nicht selbst ernähren, da bleibt die öffenliche Hand in der Verantwortung.
Aber man muss Stadtentwicklung und Kultur gemeinsam denken und das als ein
Terrain begreifen, auf dem man wirken kann.
Es gibt auch städtebauliche Sanierungs-Projekte, die sehr gut
funktionieren, etwa der Platz vor der Bibliothek an der Lindenhofstraße.
Was macht das Besondere dieses Platzes aus?
Erstens: Er liegt an einem historisch wichtigen Ort, nämlich an der Passage
zwischen der früheren AG Weser und dem Einkaufszentrum Heerstraße. Die
Lindenhofstraße war immer die Pulsader des urbanen Lebens hier. Mit dem
Platz hat diese Ader wieder ein neues Herz bekommen. Zweitens: Es ist ein
funktional offener Platz. Man kann hier feiern, flanieren, einfach nur
sitzen und kucken, Eis essen, spielen, toben, kicken. Drittens: Dank
Bibliothek und Gastronomie gibt es eine Öffentlichkeit hier. Und viertens
wurde der Platz systematisch von „Kultur Vor Ort“ bespielt. Er ist
eingebunden worden in neue städtische Riten.
Als Ideal eines Platzes gilt vielen immer noch der Brunnen in der Mitte.
Hier steht er aber am Rand.
Das war eine Idee der Stadtplaner. Die haben gesagt: Der Platz darf nicht
zugebaut sein, die Fläche braucht man, um ihn zu bespielen. Das war eine
sehr gute Entscheidung.
Sie haben jetzt drei Jahre lang Stadtteilentwicklung untersucht. Welchen
Rat geben Sie den Sanierern?
Unsere Beobachtung ist: Urbanität ist etwas, das nicht durch bauliche
Maßnahmen oder durch Sanierung einfach hergestellt werden kann. Das stellen
die Leute im Stadtteil selbst her. Und die Bewohner haben ein ungeheures
Potenzial, sozialer und kultureller Art, das jedoch wie gefesselt ist – vor
allem durch die neue städtische Armut wie gefesselt. Dieses Potenzial kommt
immer dann zur Geltung, wenn man kleine Türen öffnet, die es den einzelnen
Gruppen ermöglichen, ihr Milieu auch zu verlassen, über den kleinen
Tellerrand der Nachbarschaft hinauszukucken und das Gesamte zu entdecken.
Da ist Kultur ein großer Faktor. Das heißt: Förderung von Soziokultur und
von künstlerischen Aktivitäten und Einrichtungen hat enorme Wirkungen und
ist bestens dazu geeignet, die Menschen in den Stadtteilen zu „entfesseln“.
Das ist nicht das Allheilmittel für Alles. Aber es ist ein ganz wichtiger
Punkt, um sowas wie Stadtgesellschaft neu entwickeln zu können und zu einem
neuen Selbstbewusstsein zu kommen. Und das ist ’ne Grundlage für einen
lebendigen Stadtteil. Interview: Armin Simon
14 Aug 2004
## AUTOREN
Armin Simon
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