# taz.de -- Werder-Fan über Prügeleien: "Am Ende stand Randale" | |
> Dirk T. war viele Jahre nicht nur Werder-Fan, sondern auch mit | |
> Leidenschaft bei den Prügeleien dabei. Jetzt hat er darüber ein Buch | |
> geschrieben. | |
Bild: Alte Rivalität: Fans des Hamburger SV beim UEFA-Cup-Halbfinale 2009 im B… | |
taz: Herr T., wann erlebten Sie das erste Mal Fußballrandale? | |
Dirk T.: Als ich 11, 12 mit meinem Vater im Weserstadion an der | |
Würstchenbude stand, liefen ein paar Kutten-Fans vorbei und sangen: "Ich | |
sitz auf dem Klo / und hab kein Papier / da nehm ich die Fahne / von | |
Schalke 04". In dem Moment kamen ein paar Schalker und haben ihnen auf den | |
Kopf gehauen. Ein paar Tage später hab ich einen wieder getroffen, mit | |
blauem Auge. Er zeigte mir stolz seinen Schlagring und meinte: Das nächste | |
Mal nehm ich auf jeden Fall noch ein, zwei Leute mit, bevor ich umfall. | |
Damals fand ich das total schwachsinnig. Später hab ich das eher | |
verstanden. | |
Wie kam es dazu? | |
Mit der Zeit bin ich immer mehr in die Szene eingetaucht. Es fing an mit | |
der Leidenschaft für Werder. Und irgendwann kam die zweite Leidenschaft | |
dazu, die sich in erster Linie um Abenteuer drehte. Am Ende stand Randale. | |
In dem Buch heißt es: "Man musste mehr für seinen Verein geben als 90 | |
Minuten singen, singen, singen". Warum? | |
Es fing mit den Auswärtsspielen an, da kamst du um den Ärger schwer rum. Da | |
warteten immer Leute, die dir was auf den Kopf hauen wollten. Dem hast du | |
dich eben angepasst - oder bist nicht mehr zu Auswärtsspielen gefahren. Das | |
war der Einstieg, da bist du reingewachsen. Es ging nicht mehr nur darum, | |
den Verein anzufeuern. Sondern auch darum, für ihn gerade zu stehen. Zuerst | |
war es Spaß, ein Erlebnis. Dann wurde es immer mehr. | |
Man will nicht nur auf dem Platz der Stärkere sein? | |
Ja. | |
Wie viele Leute waren da dabei? | |
Mitte der Achtziger gab es bestimmt 200 bis 300 Leute, die sich nach dem | |
Spiel kloppen wollten. Die Fans waren damals anders als heute eher noch | |
eine einheitliche Gruppe. Es gab auch noch nicht so viel Polizei und Ordner | |
bei den Spielen. | |
Was ist das, was man seinem Verein gibt? | |
Schwer zu sagen. In erster Linie ging es um die Gruppe, mit der man | |
zusammengehangen hat. | |
Was für Menschen waren das? | |
Das sind keine Zombies, die irgendwann den Fußball für sich entdeckt haben. | |
Die kommen alle aus der Fanszene. Da haben Menschen aus ganz | |
unterschiedlichen Schichten Zugang. Jeder kann mitmachen. Es war egal, wer | |
du bist und was du hast. | |
Haben Sie das Spiel überhaupt noch geguckt? | |
Zuerst schon. Später wurde das weniger. Dann wieder mehr. | |
Nach welchen Regeln hat die Ostkurve im Weserstadion funktioniert? | |
Anfang der Achtziger war die Fankultur noch eine reine Subkultur. In der | |
Kurve hat das Recht des Stärkeren regiert. Aber es herrschte auch großer | |
Respekt untereinander, Solidarität. Zugleich war alles noch weniger | |
reguliert, impulsiver. Heute ist die Spontanität ziemlich verloren | |
gegangen, dafür wird der Normal-Fan eher in Ruhe gelassen. Das war am | |
Anfang anders. Wenn du einen Schal hattest, musste der her, egal ob du dich | |
prügeln wolltest. Da hat keiner groß nachgefragt. | |
Ist das das, was Ihr Buch eine "ehrliche Subkultur" nennt? | |
Es ist eben alles noch aus der Kurve erwachsen, wurde noch nicht von | |
Medien, Sozialpädagogen bis ins Detail zerlegt. Später wurde das Ganze mehr | |
zu einer Karnevalsveranstaltung für Landeier, die sich am Samstag mal eine | |
Kutte übergeworfen haben. | |
Wann hat es aufgehört, eine Subkultur zu sein? | |
Mitte der Achtziger haben sich die Verhältnisse verändert. Vorher warst du | |
schon Prolet, wenn du nur zum Fußball gegangen bist. 1988 wurde Werder | |
Meister, 1990 Deutschland Weltmeister. Dadurch fanden ganz andere Leute | |
Zugang zum Fußball. Hinzu kam die viele Vermarktung. | |
Wann haben Sie sich das erste Mal gekloppt? | |
Mit 16 hatte ich die erste Anzeige. | |
Wie lief so eine Schlägerei ab? | |
Du hast dich in Bremen an den Osterdeich gelegt und gewartet, bis | |
irgendjemand aus der anderen Stadt kam. Oder du hast nach dem Spiel mit | |
deinen Leuten am Kassenhäuschen gewartet. Und dann ging das los. Aber wenn, | |
dann kloppst du dich immer als Gruppe, nie als Einzelner. Sonst hast du | |
verloren. Eigentlich kann eine Fußball-Mannschaft davon lernen: Es geht | |
nicht darum, für die Fans, den Trainer oder sich selbst den Arsch | |
aufzureißen, sondern für den Nebenmann. Nur so kannst du bestehen. | |
Wie lange dauerte so eine Schlägerei? | |
Kommt darauf an, wie das Zahlenverhältnis war, wann die Polizei kam - | |
maximal fünf Minuten. Aber: Wenn man zehnmal irgendwohin fährt, passiert | |
vielleicht zwei Mal etwas. | |
Was ist eine "faire Prügelei"? | |
Dass sich die Leute kloppen, die da Lust zu haben. Beide Seiten sollten | |
etwa gleich viele Leute haben. Und unbewaffnet sein. Wer am Boden liegt, | |
sollte in Ruhe gelassen werden. Am Anfang, als das losging, war das aber | |
noch anders. Später war das so: Keiner wollte jemand ernsthaft verletzten. | |
Man wollte beweisen, wer die bessere Crew hat. Du kannst dich prügeln, aber | |
trotzdem Respekt vor deinem Gegner haben. Das finde ich wichtig. | |
Halten sich alle an die Regeln? | |
Die allermeisten. | |
Ein Spruch auf Ihrer ersten Kutte war: "Tod und Hass dem HSV". Hass: ja - | |
aber Tod? | |
Das konnte man nicht so ernst nehmen. | |
1982 starb ein Werder-Fan beim Nord-Derby gegen den HSV an den Folgen eines | |
Steinwurfes. | |
Das hat weder zur Radikalisierung noch zur Besserung beigetragen, sondern | |
war Ausdruck der Verschärfung, die stattfand. | |
Was bedeutete Ihnen dieser Todesfall? | |
Das war schlimm. Es hätte jeden treffen können, auch mich. Damals war ich | |
16, schwor ewige Rache. Heute denke ich da anders. | |
Haben Sie sich auch für Politik interessiert? | |
Das war bei uns nie Thema. Das erste Mal war ich wählen, um Kohl | |
abzuwählen. Das Ansehen in der Gruppe hing davon ab, ob und wie du dich | |
prügelst, nicht von der Gesinnung. Man wurde nach seiner Leistung | |
beurteilt. | |
Worin besteht die Leistung? | |
Letztendlich geht es darum, dass du zusammenhältst, anderen den Rücken | |
freihältst. | |
Was genau macht den Kick aus? | |
Das Adrenalin. | |
Wie oft waren Sie dafür im Knast? | |
Ich bin vielleicht hundert Mal bei Spielen in Gewahrsam genommen worden. | |
Dazu kamen vier Wochen Jugendarrest. | |
Welche Verletzungen haben Sie davon getragen? | |
Mal einen Nasenbeinbruch, mal eine kaputte Hand. Es war nicht so | |
dramatisch. Das ist kein Mythos, nichts heldenhaftes. | |
Zu Beginn der Achtziger entstanden die ersten Fan-Projekte. Was haben die | |
erreicht? | |
Ganz am Anfang hat sich da keiner dafür interessiert. Mit Sozialarbeitern | |
wollte man nichts zu tun haben. Das war ja das Geile in der Kurve - dass | |
sich da jeder ausleben konnte, wie er wollte. Im Laufe der Jahre ist da | |
aber Vertrauen gewachsen. Nachhaltig hat das sehr viel bewirkt. | |
Was mussten die Sozialpädagogen tun, um ihren Respekt zu gewinnen? | |
Sie mussten präsent sein, nach Möglichkeit bei jedem Spiel. | |
Wann dachten Sie das erste Mal, "geheilt" zu sein von Randale? | |
Ende der Achtziger. Als ich Jugendarrest hatte war klar, beim nächsten Mal | |
wird es nicht dabei bleiben. Da hab ich mich ein bisschen zusammengerissen. | |
Aber es kam dann anders. | |
Ja. | |
Ist Fußballrandale aus Ihrer Sicht mit einer Krankheit zu vergleichen, mit | |
Sucht? | |
Ja. Es konnte immer wieder kurz ausbrechen, je nach Situation. | |
Sind Sie geheilt? | |
Ich bin seit 1999 clean. | |
Wie fällt Ihre Bilanz aus? | |
Ich verurteile oder bereue diese Zeit nicht. Es war eine intensive Zeit. Es | |
ist viel passiert, ja, auch manches, auf das ich hätte verzichten können. | |
Dann hätte ich auch meine Zähne noch. | |
Haben Sie noch die Dauerkarte? | |
Ja. Ich bin ja immer noch Fan. | |
1 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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