# taz.de -- Das Offene, das Verborgene | |
> Garageneinfahrten und andere Dinge, die keine Repräsentation | |
> beanspruchen: Ein Porträt der Berliner Bildhauerin Sabine Hornig, deren | |
> Skulpturen in der Galerie Barbara Thumm zu sehen sind | |
von KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Eine Kiste ist mehr als eine Kiste. Eine offene Kiste, auf die Seite | |
gelegt, kann Bushaltestellen überall auf der Welt meinen: die Reduktion der | |
Architektur auf die pure Funktion, das Warten und das bisschen Schutz vor | |
dem Wetter eingeschlossen, nicht ganz drinnen und nicht ganz draußen sein. | |
In Griechenland hat Sabine Hornig, Bildhauerin aus Berlin, eine solche | |
Bushaltestelle fotografiert, weiß gekalkt im Sonnenlicht, ein wenig | |
Schatten spendend in einer vor Hitze glühenden Landschaft. Die Fotoarbeit | |
„Bushaltestelle“ übersetzt sie zur Zeit für eine Ausstellung in Schweden … | |
eine Skulptur aus Granit, verkleinert im Maßstab. | |
Sich vom Vertrauten zu entfernen, um einen freien Blick zu gewinnen, ist | |
für Sabine Hornig zu einer Methode geworden. 1995 war sie Artist in | |
Residence am UC in Los Angeles und brachte hunderte von Fotos von | |
Garageneinfahrten und Hauseingängen mit. Das Interesse für die | |
pragmatischen Formen entstand in der Ferne: Aber erst zurückgekehrt wusste | |
sie, wie sie den angesammelten Formenvorrat in ihren Skulpturen weiter | |
nutzte. Die Fotografie ist das Medium, mit dem sie die Architektur aus dem | |
Kontext ihrer Herkunft löst und zur Abstraktion zurückkehrt. Das ist eine | |
seltsame Ökonomie: ein großer Aufwand an Recherche, um zu dem Schlichtesten | |
zu finden. | |
1999/2000 war Sabine Hornig ein Jahr in New York, mit einem Stipendium im | |
PS1. Die großen Fotografien, die sie jetzt im Project Space des Museum of | |
Modern Art in New York und in Berlin bei Barbara Thumm ausstellt, | |
entstanden danach in der Leipziger Straße in Berlin vor den Schaufenstern | |
leerer Geschäfte. „Wahrscheinlich“, vermutet Sabine Hornig, „habe ich den | |
Blick für die runtergewirtschafteten Räume und auch für die | |
gesellschaftliche Leere, die in ihnen spürbar wird, aus New York | |
mitgebracht. In den USA wird das Thema mehr überspielt, in Berlin | |
beschäftigt sich die Stadt eher mit den eigenen Problemen der Entwicklung.“ | |
Das Interesse an ihren Bildern in New York aber belegt, wie sehr das Gespür | |
für die Fragilität des urbanen Raums wächst. | |
Vor den Bildern, die hell und schwebend scheinen, verliert man die | |
Orientierung, ob man einem Blick von innen nach außen oder von außen nach | |
innen folgt. Im Glas der Fenster treffen der Durchblick und die Spiegelung | |
der anderen Seite zusammen. Innen zeugt alles von Momenten des Übergangs | |
zwischen Geschäftsschließung, Räumung, Abbau und Ungewissheit, ob überhaupt | |
eine Zukunft kommen wird. Manchmal wird die dünne Membran des Fensterglases | |
überlagert von einem Scherengitter, das nur noch die leere Hülle schützt. | |
Das gespiegelte Außen, menschenleer, mit hellen Himmeln und kahlen Bäumen, | |
lässt die Konturen der Baumassen erkennen, den Pragmatismus der Moderne. Es | |
ist auch immer ein wenig dieses Erbe der Moderne und ihrer euphorischen | |
Hoffnungen, mit der ästhetischen Gestaltung der Egalität auch ihre soziale | |
in den Griff zu bekommen, das in den Fotografien und Skulpturen von Sabine | |
Hornig bearbeitet wird. Als ob sie den verlorenen Utopien kleine Denkmäler | |
setzen würde. | |
Je weniger Kultur und Repräsentation ein Ding für sich beansprucht, umso | |
mehr interessiert es sie. „Minimaler Formwillen, Raumökonomie und | |
Pragmatismus“ prägen auch die Skulptur „Stromkasten“ in der Galerie Thum… | |
Sie ist von einem eigenartigen Rahmen umgeben, tatsächlich auch ein | |
Fundstück aus der Realität, um den Stromkasten, der auf einem Parkplatz | |
stand, gegen die Autos zu schützen. Ein Stahlseil, ebenfalls mit | |
Schutzummantelung, ergänzt das nüchterne Ensemble, das sich fast nur durch | |
den gleichmäßig grauen Anstrich von dem wirklichen Ding abhebt. Die | |
Merkmale der Unterscheidung zwischen Kunst und Realität aber bis auf ein | |
Minimum zurückzuschrumpfen, machte schon oft die Spannung in Hornigs | |
Skulpturen aus. | |
Vor allem in den Einbauten, die sie mit der Verdoppelung von Wänden in | |
Galerien und musealen Räumen einzog: Architektur wurde umgestülpt, | |
verkleinert, verdreht. Was so entstand, war meistens doppeldeutig. Zum | |
einen extrem sachlich und damit andockend an eine Kunstszene der | |
Neunzigerjahre, die sich der kritischen Untersuchung von Architektur | |
verschrieben hatte. Das galt zugleich als ein Bekenntnis zur sozialen | |
Verantwortung in Gestaltungsprozessen; Sabine Hornig war an vielen | |
Projekten in diesem Kontext beteiligt. Auf einer anderen Ebene aber | |
formulierten ihre Einbauten einen extremen Gegensatz zwischen „geöffnet“ | |
und „geschlossen“, zwischen dem Zugänglichen und dem Verborgenen, dem | |
Faktischen und dem Unheimlichen. „Ob das nun die Realität ist oder nur ihre | |
Imitation“, diese Frage stellen ihre Werke immer wieder. | |
Ihre meisten Ausstellungen entstanden in den letzten beiden Jahren, obwohl | |
die 1964 geborene Künstlerin in der Zeit auch ein Kind bekam. Das Thema | |
„Künstlerin mit Kind“, sagt sie, „bleibt noch immer an den Frauen hänge… | |
Dabei liegt es an den Männern, ob es zum Problem wird oder nicht.“ Im | |
Rückblick stellt sie fest, seitdem auf „positive Art empfindlicher | |
geworden“ zu sein und „klarer und präziser“ in ihren Entscheidungen. Es | |
wird einfach nicht mehr so viel Zeit verschwendet. | |
Das Private und das Öffentliche: In ihren Arbeiten tauchen keine Menschen | |
oder Figuren auf, aber dennoch sind die beschriebenen Situationen davon | |
geprägt, als Lebensraum befragt zu werden. Der Balkon, den sie letztes Jahr | |
als Skulptur in die Galerie Thumm einbaute, oder der Hauseingang zwei Jahre | |
zuvor: Das waren Schnittstellen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. | |
Die Oberflächengestaltung aber verwischte die Grenzen der Trennung zwischen | |
innen und außen wieder, ließ das eine im anderen aufgehen. So werden die | |
skultpuralen Elemente fast zu Stellvertretern eines empfänglichen | |
Organismus und seiner Fähigkeiten, zwischen innen und außen zu vermitteln. | |
Sabine Hornig in der Galerie Barbara Thumm, bis 1. November, Dircksenstr. | |
41, 10178 Berlin, Di.–Fr. 13–19 Uhr, Sa. 13–18 Uhr | |
14 Oct 2003 | |
## AUTOREN | |
KATRIN BETTINA MÜLLER | |
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